Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

muß ich ihr den Willen thun. Geduldet Euch, die Braut wird bald erscheinen!"

Rolf Lembeck schwieg; und unter all den Menschen war es wieder lautlos still.

Da nahte sich ein Rauschen hinter den geschlossenen Thoren, ein Zug von langsamen Schritten wurde hörbar, und indem die Thore sich öffneten, scholl, von jungen Frauenstimmen gesungen, ein De profundus wie von den Sternen nieder.

Ein Schauer schlug Rolf Lembeck durch die Glieder; aber schon hatte der Zug der Jungfrauen die Schwelle überschritten. Er streckte sich und hob den Kopf; so stand er wie erstarrt, und nur sein Auge wurde wie das eines Raubvogels. Er sah die singenden Jungfrauen eine Todtenlade von den Schultern heben und sie auf die Sammet-Bühne niederlassen; er sah in weißen Sterbgewändern ein Weib - nein, nicht ein Weib; ans weißen Binden sah ein todtes Kinderantlitz - da ließ der Bann von ihm: ein furchtbarer Schrei scholl durch die Halle. Der Gesang riß ab, und mit erhobenen Armen brach Rolf Lembeck durch die Menschen; er stürzte am Sarge nieder, er preßte seine Lippen auf das todte Antlitz seiner Liebe: "O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!"

muß ich ihr den Willen thun. Geduldet Euch, die Braut wird bald erscheinen!“

Rolf Lembeck schwieg; und unter all den Menschen war es wieder lautlos still.

Da nahte sich ein Rauschen hinter den geschlossenen Thoren, ein Zug von langsamen Schritten wurde hörbar, und indem die Thore sich öffneten, scholl, von jungen Frauenstimmen gesungen, ein De profundus wie von den Sternen nieder.

Ein Schauer schlug Rolf Lembeck durch die Glieder; aber schon hatte der Zug der Jungfrauen die Schwelle überschritten. Er streckte sich und hob den Kopf; so stand er wie erstarrt, und nur sein Auge wurde wie das eines Raubvogels. Er sah die singenden Jungfrauen eine Todtenlade von den Schultern heben und sie auf die Sammet-Bühne niederlassen; er sah in weißen Sterbgewändern ein Weib – nein, nicht ein Weib; ans weißen Binden sah ein todtes Kinderantlitz – da ließ der Bann von ihm: ein furchtbarer Schrei scholl durch die Halle. Der Gesang riß ab, und mit erhobenen Armen brach Rolf Lembeck durch die Menschen; er stürzte am Sarge nieder, er preßte seine Lippen auf das todte Antlitz seiner Liebe: „O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="216"/>
muß ich ihr den Willen thun. Geduldet Euch, die Braut wird bald erscheinen!&#x201C;</p>
        <p>Rolf Lembeck schwieg; und unter all den Menschen war es wieder lautlos still.</p>
        <p>Da nahte sich ein Rauschen hinter den geschlossenen Thoren, ein Zug von langsamen Schritten wurde hörbar, und indem die Thore sich öffneten, scholl, von jungen Frauenstimmen gesungen, ein <hi rendition="#aq">De profundus</hi> wie von den Sternen nieder.</p>
        <p>Ein Schauer schlug Rolf Lembeck durch die Glieder; aber schon hatte der Zug der Jungfrauen die Schwelle überschritten. Er streckte sich und hob den Kopf; so stand er wie erstarrt, und nur sein Auge wurde wie das eines Raubvogels. Er sah die singenden Jungfrauen eine Todtenlade von den Schultern heben und sie auf die Sammet-Bühne niederlassen; er sah in weißen Sterbgewändern ein Weib &#x2013; nein, nicht ein Weib; ans weißen Binden sah ein todtes Kinderantlitz &#x2013; da ließ der Bann von ihm: ein furchtbarer Schrei scholl durch die Halle. Der Gesang riß ab, und mit erhobenen Armen brach Rolf Lembeck durch die Menschen; er stürzte am Sarge nieder, er preßte seine Lippen auf das todte Antlitz seiner Liebe: &#x201E;O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0220] muß ich ihr den Willen thun. Geduldet Euch, die Braut wird bald erscheinen!“ Rolf Lembeck schwieg; und unter all den Menschen war es wieder lautlos still. Da nahte sich ein Rauschen hinter den geschlossenen Thoren, ein Zug von langsamen Schritten wurde hörbar, und indem die Thore sich öffneten, scholl, von jungen Frauenstimmen gesungen, ein De profundus wie von den Sternen nieder. Ein Schauer schlug Rolf Lembeck durch die Glieder; aber schon hatte der Zug der Jungfrauen die Schwelle überschritten. Er streckte sich und hob den Kopf; so stand er wie erstarrt, und nur sein Auge wurde wie das eines Raubvogels. Er sah die singenden Jungfrauen eine Todtenlade von den Schultern heben und sie auf die Sammet-Bühne niederlassen; er sah in weißen Sterbgewändern ein Weib – nein, nicht ein Weib; ans weißen Binden sah ein todtes Kinderantlitz – da ließ der Bann von ihm: ein furchtbarer Schrei scholl durch die Halle. Der Gesang riß ab, und mit erhobenen Armen brach Rolf Lembeck durch die Menschen; er stürzte am Sarge nieder, er preßte seine Lippen auf das todte Antlitz seiner Liebe: „O Dagmar, das ist unsere Hochzeit!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/220
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/220>, abgerufen am 21.11.2024.