Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.ich Ihnen wohl nicht zu erzählen; aber soviel sah ich, die Apothekermädchen hatten jedenfalls nur mäßig übertrieben; die Herren aus der Centralhalle aber waren freilich Biedermänner, der eine ein Graf, der andere ein Baron. "Riekchen, geht in Euch!" rief ich, "besinnt Euch! Biedermänner, und Grafen und Barone, und mit Euch in der Centralhalle?" Das war zu viel. "Ohm Riew'," sagte sie, "unsere Anna ist ein Kind; - ich aber bin mein langes Leben hindurch eine ehrenwerthe Frau gewesen. Wir werden sie nicht verunehrt haben!" Du lieber Gott! sie wußte nicht einmal, weshalb Rick Geyers in sein frühes Grab getaumelt war. Nicht lange darauf kam ich eines Abends spät nach Hause; da die Straßenthür noch offen stand, so trat ich, ohne daß es schellte, in den Flur. Es war schon dunkel hier, nur durch das Guckfenster in der Ladenthür fiel ein Schein heraus. Ich stand einen Augenblick, denn ich hörte, wie drinnen eine Herrenstimme sprach, und allerhand, was ich erst nicht reimen konnte. ich Ihnen wohl nicht zu erzählen; aber soviel sah ich, die Apothekermädchen hatten jedenfalls nur mäßig übertrieben; die Herren aus der Centralhalle aber waren freilich Biedermänner, der eine ein Graf, der andere ein Baron. „Riekchen, geht in Euch!“ rief ich, „besinnt Euch! Biedermänner, und Grafen und Barone, und mit Euch in der Centralhalle?“ Das war zu viel. „Ohm Riew’,“ sagte sie, „unsere Anna ist ein Kind; – ich aber bin mein langes Leben hindurch eine ehrenwerthe Frau gewesen. Wir werden sie nicht verunehrt haben!“ Du lieber Gott! sie wußte nicht einmal, weshalb Rick Geyers in sein frühes Grab getaumelt war. Nicht lange darauf kam ich eines Abends spät nach Hause; da die Straßenthür noch offen stand, so trat ich, ohne daß es schellte, in den Flur. Es war schon dunkel hier, nur durch das Guckfenster in der Ladenthür fiel ein Schein heraus. Ich stand einen Augenblick, denn ich hörte, wie drinnen eine Herrenstimme sprach, und allerhand, was ich erst nicht reimen konnte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061" n="57"/> ich Ihnen wohl nicht zu erzählen; aber soviel sah ich, die Apothekermädchen hatten jedenfalls nur mäßig übertrieben; die Herren aus der Centralhalle aber waren freilich Biedermänner, der eine ein Graf, der andere ein Baron.</p> <p>„Riekchen, geht in Euch!“ rief ich, „besinnt Euch! Biedermänner, und Grafen und Barone, und mit Euch in der Centralhalle?“</p> <p>Das war zu viel. „Ohm Riew’,“ sagte sie, „unsere Anna ist ein Kind; – ich aber bin mein langes Leben hindurch eine ehrenwerthe Frau gewesen. Wir werden sie nicht verunehrt haben!“</p> <p>Du lieber Gott! sie wußte nicht einmal, weshalb Rick Geyers in sein frühes Grab getaumelt war.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Nicht lange darauf kam ich eines Abends spät nach Hause; da die Straßenthür noch offen stand, so trat ich, ohne daß es schellte, in den Flur. Es war schon dunkel hier, nur durch das Guckfenster in der Ladenthür fiel ein Schein heraus. Ich stand einen Augenblick, denn ich hörte, wie drinnen eine Herrenstimme sprach, und allerhand, was ich erst nicht reimen konnte.</p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0061]
ich Ihnen wohl nicht zu erzählen; aber soviel sah ich, die Apothekermädchen hatten jedenfalls nur mäßig übertrieben; die Herren aus der Centralhalle aber waren freilich Biedermänner, der eine ein Graf, der andere ein Baron.
„Riekchen, geht in Euch!“ rief ich, „besinnt Euch! Biedermänner, und Grafen und Barone, und mit Euch in der Centralhalle?“
Das war zu viel. „Ohm Riew’,“ sagte sie, „unsere Anna ist ein Kind; – ich aber bin mein langes Leben hindurch eine ehrenwerthe Frau gewesen. Wir werden sie nicht verunehrt haben!“
Du lieber Gott! sie wußte nicht einmal, weshalb Rick Geyers in sein frühes Grab getaumelt war.
Nicht lange darauf kam ich eines Abends spät nach Hause; da die Straßenthür noch offen stand, so trat ich, ohne daß es schellte, in den Flur. Es war schon dunkel hier, nur durch das Guckfenster in der Ladenthür fiel ein Schein heraus. Ich stand einen Augenblick, denn ich hörte, wie drinnen eine Herrenstimme sprach, und allerhand, was ich erst nicht reimen konnte.
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/61>, abgerufen am 31.07.2024. |