Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Ein Seufzer unterbrach mich. "Ja, Ohm, und seine Mutter steht dann da und ist ein altes Mädchen!" "Deine Schuld! deine Schuld!" schrie es wieder in mir, so laut und schaurig, wie aus einem Nebelhorn; man hört's und weiß in der grauen Finsterniß nicht, woher es kommt. Da fuhr's in meiner Noth mir durch den Kopf, ich sagte: "Anna, ich weiß, ich bin nichts als Dein alter Ohm, schon über Sechzig, und morgen mach' ich mein Testament: was ich habe - es ist ein anständig' Bürgertheil - kommt Dir und Deinem Jungen zu; und willst Du die paar Jahr' noch meine Frau heißen - denn es bleibt trotzdem beim Alten, Anna - aber ein altes Mädchen brauchst Du nicht zu werden!" Ich weiß nicht, Nachbar, es war vielleicht was ungeschlacht; ich wußte mir nur anders nicht zu helfen; es ist ja nun auch einerlei. Aber Anna hatte sich strack emporgerichtet. "Nein!" schrie sie, "nein, das will ich nicht! Du bist so ehrenhaft und brav! Ach, Ohm," - und ich sah, wie sie in sich zusammenschauderte - "Du weißt es doch - die Schande ist so ansteckend!" Sie hatte krampfhaft meine Hand ergriffen und geküßt. "Anna," sagte ich, "ich kann Dich hiezu nicht Ein Seufzer unterbrach mich. „Ja, Ohm, und seine Mutter steht dann da und ist ein altes Mädchen!“ „Deine Schuld! deine Schuld!“ schrie es wieder in mir, so laut und schaurig, wie aus einem Nebelhorn; man hört’s und weiß in der grauen Finsterniß nicht, woher es kommt. Da fuhr’s in meiner Noth mir durch den Kopf, ich sagte: „Anna, ich weiß, ich bin nichts als Dein alter Ohm, schon über Sechzig, und morgen mach’ ich mein Testament: was ich habe – es ist ein anständig’ Bürgertheil – kommt Dir und Deinem Jungen zu; und willst Du die paar Jahr’ noch meine Frau heißen – denn es bleibt trotzdem beim Alten, Anna – aber ein altes Mädchen brauchst Du nicht zu werden!“ Ich weiß nicht, Nachbar, es war vielleicht was ungeschlacht; ich wußte mir nur anders nicht zu helfen; es ist ja nun auch einerlei. Aber Anna hatte sich strack emporgerichtet. „Nein!“ schrie sie, „nein, das will ich nicht! Du bist so ehrenhaft und brav! Ach, Ohm,“ – und ich sah, wie sie in sich zusammenschauderte – „Du weißt es doch – die Schande ist so ansteckend!“ Sie hatte krampfhaft meine Hand ergriffen und geküßt. „Anna,“ sagte ich, „ich kann Dich hiezu nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0090" n="86"/> <p>Ein Seufzer unterbrach mich. „Ja, Ohm, und seine Mutter steht dann da und ist ein altes Mädchen!“</p> <p>„Deine Schuld! deine Schuld!“ schrie es wieder in mir, so laut und schaurig, wie aus einem Nebelhorn; man hört’s und weiß in der grauen Finsterniß nicht, woher es kommt. Da fuhr’s in meiner Noth mir durch den Kopf, ich sagte: „Anna, ich weiß, ich bin nichts als Dein alter Ohm, schon über Sechzig, und morgen mach’ ich mein Testament: was ich habe – es ist ein anständig’ Bürgertheil – kommt Dir und Deinem Jungen zu; und willst Du die paar Jahr’ noch meine Frau heißen – denn es bleibt trotzdem beim Alten, Anna – aber ein altes Mädchen brauchst Du nicht zu werden!“</p> <p>Ich weiß nicht, Nachbar, es war vielleicht was ungeschlacht; ich wußte mir nur anders nicht zu helfen; es ist ja nun auch einerlei.</p> <p>Aber Anna hatte sich strack emporgerichtet. „Nein!“ schrie sie, „nein, das will ich nicht! Du bist so ehrenhaft und brav! Ach, Ohm,“ – und ich sah, wie sie in sich zusammenschauderte – „Du weißt es doch – die Schande ist so ansteckend!“ Sie hatte krampfhaft meine Hand ergriffen und geküßt.</p> <p>„Anna,“ sagte ich, „ich kann Dich hiezu nicht </p> </div> </body> </text> </TEI> [86/0090]
Ein Seufzer unterbrach mich. „Ja, Ohm, und seine Mutter steht dann da und ist ein altes Mädchen!“
„Deine Schuld! deine Schuld!“ schrie es wieder in mir, so laut und schaurig, wie aus einem Nebelhorn; man hört’s und weiß in der grauen Finsterniß nicht, woher es kommt. Da fuhr’s in meiner Noth mir durch den Kopf, ich sagte: „Anna, ich weiß, ich bin nichts als Dein alter Ohm, schon über Sechzig, und morgen mach’ ich mein Testament: was ich habe – es ist ein anständig’ Bürgertheil – kommt Dir und Deinem Jungen zu; und willst Du die paar Jahr’ noch meine Frau heißen – denn es bleibt trotzdem beim Alten, Anna – aber ein altes Mädchen brauchst Du nicht zu werden!“
Ich weiß nicht, Nachbar, es war vielleicht was ungeschlacht; ich wußte mir nur anders nicht zu helfen; es ist ja nun auch einerlei.
Aber Anna hatte sich strack emporgerichtet. „Nein!“ schrie sie, „nein, das will ich nicht! Du bist so ehrenhaft und brav! Ach, Ohm,“ – und ich sah, wie sie in sich zusammenschauderte – „Du weißt es doch – die Schande ist so ansteckend!“ Sie hatte krampfhaft meine Hand ergriffen und geküßt.
„Anna,“ sagte ich, „ich kann Dich hiezu nicht
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus). Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss). Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |