Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.drängen; aber Schande ist nur unter den Menschen und verweht in einem guten Leben. Denk' an Dein Kind, und daß ich nichts für mich will." - "Nein Ohm, nie - nie." Ihre Augen bewegten sich zitternd, sie hatte die Arme ausgestreckt und rang die schmalen Hände um einander. "Aber - das Andre, was Du sagtest," begann sie schüchtern wieder, "mein Kind, es wird zu leiden haben um seiner Mutter willen. Hilf ihm, Ohm! Kannst Du es wirklich mir versprechen, mein Kind niemals, auch bei Deinem Tode nicht zu vergessen?" Die großen Augen waren angstvoll auf mich gerichtet. Da legte ich meine Hand auf ihr armes junges Haupt: "Niemals Anna;" sagte ich, "sonst vergesse mich unser Herrgott in der letzten Stunde! Schon morgen soll Dein Sohn mein Erbe sein." Wie mit einem Seufzer der Erlösung sank sie zurück in ihre Kissen. "Ich danke Dir, mein geliebter Ohm! Und nun geh! Nun möcht' ich schlafen!" Ich stand noch eine kurze Weile und blickte auf ihr jetzt so blasses Angesicht, in welchem die Augen schon geschlossen waren. "Gute Nacht, liebe Anna!" sagte ich und küßte ihr die Stirn. Sie schlug noch einmal ihre Augen zu mir auf und bewegte leis das Haupt; dann ging ich. drängen; aber Schande ist nur unter den Menschen und verweht in einem guten Leben. Denk’ an Dein Kind, und daß ich nichts für mich will.“ - „Nein Ohm, nie – nie.“ Ihre Augen bewegten sich zitternd, sie hatte die Arme ausgestreckt und rang die schmalen Hände um einander. „Aber – das Andre, was Du sagtest,“ begann sie schüchtern wieder, „mein Kind, es wird zu leiden haben um seiner Mutter willen. Hilf ihm, Ohm! Kannst Du es wirklich mir versprechen, mein Kind niemals, auch bei Deinem Tode nicht zu vergessen?“ Die großen Augen waren angstvoll auf mich gerichtet. Da legte ich meine Hand auf ihr armes junges Haupt: „Niemals Anna;“ sagte ich, „sonst vergesse mich unser Herrgott in der letzten Stunde! Schon morgen soll Dein Sohn mein Erbe sein.“ Wie mit einem Seufzer der Erlösung sank sie zurück in ihre Kissen. „Ich danke Dir, mein geliebter Ohm! Und nun geh! Nun möcht’ ich schlafen!“ Ich stand noch eine kurze Weile und blickte auf ihr jetzt so blasses Angesicht, in welchem die Augen schon geschlossen waren. „Gute Nacht, liebe Anna!“ sagte ich und küßte ihr die Stirn. Sie schlug noch einmal ihre Augen zu mir auf und bewegte leis das Haupt; dann ging ich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0091" n="87"/> drängen; aber Schande ist nur unter den Menschen und verweht in einem guten Leben. Denk’ an Dein Kind, und daß ich nichts für mich will.“</p> <p>- „Nein Ohm, nie – nie.“ Ihre Augen bewegten sich zitternd, sie hatte die Arme ausgestreckt und rang die schmalen Hände um einander. „Aber – das Andre, was Du sagtest,“ begann sie schüchtern wieder, „mein Kind, es wird zu leiden haben um seiner Mutter willen. Hilf ihm, Ohm! Kannst Du es wirklich mir versprechen, mein Kind niemals, auch bei Deinem Tode nicht zu vergessen?“ Die großen Augen waren angstvoll auf mich gerichtet.</p> <p>Da legte ich meine Hand auf ihr armes junges Haupt: „Niemals Anna;“ sagte ich, „sonst vergesse mich unser Herrgott in der letzten Stunde! Schon morgen soll Dein Sohn mein Erbe sein.“</p> <p>Wie mit einem Seufzer der Erlösung sank sie zurück in ihre Kissen. „Ich danke Dir, mein geliebter Ohm! Und nun geh! Nun möcht’ ich schlafen!“</p> <p>Ich stand noch eine kurze Weile und blickte auf ihr jetzt so blasses Angesicht, in welchem die Augen schon geschlossen waren. „Gute Nacht, liebe Anna!“ sagte ich und küßte ihr die Stirn.</p> <p>Sie schlug noch einmal ihre Augen zu mir auf und bewegte leis das Haupt; dann ging ich.</p> </div> </body> </text> </TEI> [87/0091]
drängen; aber Schande ist nur unter den Menschen und verweht in einem guten Leben. Denk’ an Dein Kind, und daß ich nichts für mich will.“
- „Nein Ohm, nie – nie.“ Ihre Augen bewegten sich zitternd, sie hatte die Arme ausgestreckt und rang die schmalen Hände um einander. „Aber – das Andre, was Du sagtest,“ begann sie schüchtern wieder, „mein Kind, es wird zu leiden haben um seiner Mutter willen. Hilf ihm, Ohm! Kannst Du es wirklich mir versprechen, mein Kind niemals, auch bei Deinem Tode nicht zu vergessen?“ Die großen Augen waren angstvoll auf mich gerichtet.
Da legte ich meine Hand auf ihr armes junges Haupt: „Niemals Anna;“ sagte ich, „sonst vergesse mich unser Herrgott in der letzten Stunde! Schon morgen soll Dein Sohn mein Erbe sein.“
Wie mit einem Seufzer der Erlösung sank sie zurück in ihre Kissen. „Ich danke Dir, mein geliebter Ohm! Und nun geh! Nun möcht’ ich schlafen!“
Ich stand noch eine kurze Weile und blickte auf ihr jetzt so blasses Angesicht, in welchem die Augen schon geschlossen waren. „Gute Nacht, liebe Anna!“ sagte ich und küßte ihr die Stirn.
Sie schlug noch einmal ihre Augen zu mir auf und bewegte leis das Haupt; dann ging ich.
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/91>, abgerufen am 28.07.2024. |