Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Und das Weib, by Jove, Herr Nachbar, sah mich an wie ein Engel der Geduld; und mit der Trauer in meinem Herzen, die ich noch auf sie abladen sollte, ich hätt' ihr Alles abbitten mögen, was ich sonst über sie geredet und gelacht hatte. Als ich meine Todesbotschaft ihr verkündete, legte sie das Kind mit zitternden Händen in die Wiege, die vor ihrem Bette stand. "Gott steh' mir armem schwachen Menschen bei!" Das war Alles, was sie sagte; und als sie Anstalt machte, aus dem Bette aufzustehen, ließ ich sie allein und ging auf mein Zimmer, wo ich die Vierländerin schier vergessen hatte. Da stand sie mit ihrem leeren Korbe und ihrem Rundhut mitten auf der Diele; die Maililien aber hatte sie alle in meine große Waschschaale geordnet und auf den Tisch gestellt. "Bist Du schon fertig?" frug ich. "Ja, Herr; und dank' auch!" Und als ich ihr zwei Thaler auf die Hand legte, lachte das ganze runde Gesichtlein. "Wie heißt Du?" frug ich noch; denn mir war, als dürfte ich das Kind nicht lassen, als trüge sie das letzte Lebewohl von Anna mit sich fort. "Trienke!" sagte sie fröhlich. Und das Weib, by Jove, Herr Nachbar, sah mich an wie ein Engel der Geduld; und mit der Trauer in meinem Herzen, die ich noch auf sie abladen sollte, ich hätt’ ihr Alles abbitten mögen, was ich sonst über sie geredet und gelacht hatte. Als ich meine Todesbotschaft ihr verkündete, legte sie das Kind mit zitternden Händen in die Wiege, die vor ihrem Bette stand. „Gott steh’ mir armem schwachen Menschen bei!“ Das war Alles, was sie sagte; und als sie Anstalt machte, aus dem Bette aufzustehen, ließ ich sie allein und ging auf mein Zimmer, wo ich die Vierländerin schier vergessen hatte. Da stand sie mit ihrem leeren Korbe und ihrem Rundhut mitten auf der Diele; die Maililien aber hatte sie alle in meine große Waschschaale geordnet und auf den Tisch gestellt. „Bist Du schon fertig?“ frug ich. „Ja, Herr; und dank’ auch!“ Und als ich ihr zwei Thaler auf die Hand legte, lachte das ganze runde Gesichtlein. „Wie heißt Du?“ frug ich noch; denn mir war, als dürfte ich das Kind nicht lassen, als trüge sie das letzte Lebewohl von Anna mit sich fort. „Trienke!“ sagte sie fröhlich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0097" n="93"/> Und das Weib, <hi rendition="#aq">by Jove</hi>, Herr Nachbar, sah mich an wie ein Engel der Geduld; und mit der Trauer in meinem Herzen, die ich noch auf sie abladen sollte, ich hätt’ ihr Alles abbitten mögen, was ich sonst über sie geredet und gelacht hatte.</p> <p>Als ich meine Todesbotschaft ihr verkündete, legte sie das Kind mit zitternden Händen in die Wiege, die vor ihrem Bette stand. „Gott steh’ mir armem schwachen Menschen bei!“ Das war Alles, was sie sagte; und als sie Anstalt machte, aus dem Bette aufzustehen, ließ ich sie allein und ging auf mein Zimmer, wo ich die Vierländerin schier vergessen hatte.</p> <p>Da stand sie mit ihrem leeren Korbe und ihrem Rundhut mitten auf der Diele; die Maililien aber hatte sie alle in meine große Waschschaale geordnet und auf den Tisch gestellt. „Bist Du schon fertig?“ frug ich.</p> <p>„Ja, Herr; und dank’ auch!“</p> <p>Und als ich ihr zwei Thaler auf die Hand legte, lachte das ganze runde Gesichtlein.</p> <p>„Wie heißt Du?“ frug ich noch; denn mir war, als dürfte ich das Kind nicht lassen, als trüge sie das letzte Lebewohl von Anna mit sich fort.</p> <p>„Trienke!“ sagte sie fröhlich.</p> </div> </body> </text> </TEI> [93/0097]
Und das Weib, by Jove, Herr Nachbar, sah mich an wie ein Engel der Geduld; und mit der Trauer in meinem Herzen, die ich noch auf sie abladen sollte, ich hätt’ ihr Alles abbitten mögen, was ich sonst über sie geredet und gelacht hatte.
Als ich meine Todesbotschaft ihr verkündete, legte sie das Kind mit zitternden Händen in die Wiege, die vor ihrem Bette stand. „Gott steh’ mir armem schwachen Menschen bei!“ Das war Alles, was sie sagte; und als sie Anstalt machte, aus dem Bette aufzustehen, ließ ich sie allein und ging auf mein Zimmer, wo ich die Vierländerin schier vergessen hatte.
Da stand sie mit ihrem leeren Korbe und ihrem Rundhut mitten auf der Diele; die Maililien aber hatte sie alle in meine große Waschschaale geordnet und auf den Tisch gestellt. „Bist Du schon fertig?“ frug ich.
„Ja, Herr; und dank’ auch!“
Und als ich ihr zwei Thaler auf die Hand legte, lachte das ganze runde Gesichtlein.
„Wie heißt Du?“ frug ich noch; denn mir war, als dürfte ich das Kind nicht lassen, als trüge sie das letzte Lebewohl von Anna mit sich fort.
„Trienke!“ sagte sie fröhlich.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/97 |
Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/97>, abgerufen am 28.07.2024. |