Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885."Und wo hast Du denn Deinen Stand?" "Am Jungfernstieg; Neuen Walls Ecke." Und damit nickte sie und ging; aus dem Fenster sah ich noch, wie muthig sie in das Leben hinauslief. Ich habe später noch manchen Strauß von ihr gekauft, und Trienke suchte immer das Schönste für mich aus, rothe Nelken und Rosen, da es Sommer wurde, im Herbste weiße und violette Astern; sie wußte wohl, für welches Grab ich mir die Blumen kaufte. - - Schon am andern Tage aber lag unsere schöne Anna weiß und kalt in ihrem Sarge, da, wo sie gestern noch im warmen Bett geschlafen hatte, und um sie war alle Sorge aus. Die Mutter hatte das feuchte und verwirrte Haarwerk ihr getrocknet, und die langen dunklen Flechten lagen aus den seinen Linnen, worin wir sie gehüllt hatten; schon, als sie noch Kind war, konnte die Wäsche ihr immer nicht fein und sauber genug sein; das Beste aus dem Laden hatten wir ihr gegeben. So lag sie denn noch einmal in full dress, Maiglöckchen um ihr schönes stilles Angesicht und in ihren blassen Händen. In der Nacht habe ich die Wache bei ihr gehalten; ich hatte ihre Hand gefaßt, bis mir die Todeskälte in den Arm hinaufstieg; aber sie drückte meine Hand „Und wo hast Du denn Deinen Stand?“ „Am Jungfernstieg; Neuen Walls Ecke.“ Und damit nickte sie und ging; aus dem Fenster sah ich noch, wie muthig sie in das Leben hinauslief. Ich habe später noch manchen Strauß von ihr gekauft, und Trienke suchte immer das Schönste für mich aus, rothe Nelken und Rosen, da es Sommer wurde, im Herbste weiße und violette Astern; sie wußte wohl, für welches Grab ich mir die Blumen kaufte. – – Schon am andern Tage aber lag unsere schöne Anna weiß und kalt in ihrem Sarge, da, wo sie gestern noch im warmen Bett geschlafen hatte, und um sie war alle Sorge aus. Die Mutter hatte das feuchte und verwirrte Haarwerk ihr getrocknet, und die langen dunklen Flechten lagen aus den seinen Linnen, worin wir sie gehüllt hatten; schon, als sie noch Kind war, konnte die Wäsche ihr immer nicht fein und sauber genug sein; das Beste aus dem Laden hatten wir ihr gegeben. So lag sie denn noch einmal in full dress, Maiglöckchen um ihr schönes stilles Angesicht und in ihren blassen Händen. In der Nacht habe ich die Wache bei ihr gehalten; ich hatte ihre Hand gefaßt, bis mir die Todeskälte in den Arm hinaufstieg; aber sie drückte meine Hand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0098" n="94"/> <p>„Und wo hast Du denn Deinen Stand?“</p> <p>„Am Jungfernstieg; Neuen Walls Ecke.“</p> <p>Und damit nickte sie und ging; aus dem Fenster sah ich noch, wie muthig sie in das Leben hinauslief.</p> <p>Ich habe später noch manchen Strauß von ihr gekauft, und Trienke suchte immer das Schönste für mich aus, rothe Nelken und Rosen, da es Sommer wurde, im Herbste weiße und violette Astern; sie wußte wohl, für welches Grab ich mir die Blumen kaufte.</p> <p>– – Schon am andern Tage aber lag unsere schöne Anna weiß und kalt in ihrem Sarge, da, wo sie gestern noch im warmen Bett geschlafen hatte, und um sie war alle Sorge aus. Die Mutter hatte das feuchte und verwirrte Haarwerk ihr getrocknet, und die langen dunklen Flechten lagen aus den seinen Linnen, worin wir sie gehüllt hatten; schon, als sie noch Kind war, konnte die Wäsche ihr immer nicht fein und sauber genug sein; das Beste aus dem Laden hatten wir ihr gegeben. So lag sie denn noch einmal in <hi rendition="#aq">full dress</hi>, Maiglöckchen um ihr schönes stilles Angesicht und in ihren blassen Händen. In der Nacht habe ich die Wache bei ihr gehalten; ich hatte ihre Hand gefaßt, bis mir die Todeskälte in den Arm hinaufstieg; aber sie drückte meine Hand </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0098]
„Und wo hast Du denn Deinen Stand?“
„Am Jungfernstieg; Neuen Walls Ecke.“
Und damit nickte sie und ging; aus dem Fenster sah ich noch, wie muthig sie in das Leben hinauslief.
Ich habe später noch manchen Strauß von ihr gekauft, und Trienke suchte immer das Schönste für mich aus, rothe Nelken und Rosen, da es Sommer wurde, im Herbste weiße und violette Astern; sie wußte wohl, für welches Grab ich mir die Blumen kaufte.
– – Schon am andern Tage aber lag unsere schöne Anna weiß und kalt in ihrem Sarge, da, wo sie gestern noch im warmen Bett geschlafen hatte, und um sie war alle Sorge aus. Die Mutter hatte das feuchte und verwirrte Haarwerk ihr getrocknet, und die langen dunklen Flechten lagen aus den seinen Linnen, worin wir sie gehüllt hatten; schon, als sie noch Kind war, konnte die Wäsche ihr immer nicht fein und sauber genug sein; das Beste aus dem Laden hatten wir ihr gegeben. So lag sie denn noch einmal in full dress, Maiglöckchen um ihr schönes stilles Angesicht und in ihren blassen Händen. In der Nacht habe ich die Wache bei ihr gehalten; ich hatte ihre Hand gefaßt, bis mir die Todeskälte in den Arm hinaufstieg; aber sie drückte meine Hand
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus). Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss). Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |