Kranken allein war, sprach er zu ihr, und seine alten Augen lachten: "Frau, jetzt kann ich's getrost Euch sagen: heut' hat der Doctor seinen Festtag; es stand schlimm um Euch; aber nun gehöret Ihr wieder zu uns, zu den Lebendigen!"
Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren dunklen Augen: "Hauke! Hauke, wo bist Du?" rief sie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer und an ihr Bett stürzte, schlug sie die Arme um seinen Nacken: "Hauke, mein Mann, gerettet! Ich bleibe bei Dir!"
Da zog der alte Doctor sein seiden Schnupf- tuch aus der Tasche, fuhr sich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.
-- -- Am dritten Abend nach diesem Tage sprach ein frommer Redner -- es war ein vom Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffel- macher -- im Conventikel bei dem holländischen Schneider, da er seinen Zuhörern die Eigenschaften Gottes auseinandersetzte: "Wer aber Gottes All- macht widerstreitet, wer da sagt: ich weiß, Du kannst nicht, was Du willst -- wir kennen den Unglückseligen ja Alle; er lastet gleich einem Stein auf der Gemeinde -- der ist von Gott gefallen
Kranken allein war, ſprach er zu ihr, und ſeine alten Augen lachten: „Frau, jetzt kann ich's getroſt Euch ſagen: heut' hat der Doctor ſeinen Feſttag; es ſtand ſchlimm um Euch; aber nun gehöret Ihr wieder zu uns, zu den Lebendigen!”
Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren dunklen Augen: „Hauke! Hauke, wo biſt Du?” rief ſie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer und an ihr Bett ſtürzte, ſchlug ſie die Arme um ſeinen Nacken: „Hauke, mein Mann, gerettet! Ich bleibe bei Dir!”
Da zog der alte Doctor ſein ſeiden Schnupf- tuch aus der Taſche, fuhr ſich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.
— — Am dritten Abend nach dieſem Tage ſprach ein frommer Redner — es war ein vom Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffel- macher — im Conventikel bei dem holländiſchen Schneider, da er ſeinen Zuhörern die Eigenſchaften Gottes auseinanderſetzte: „Wer aber Gottes All- macht widerſtreitet, wer da ſagt: ich weiß, Du kannſt nicht, was Du willſt — wir kennen den Unglückſeligen ja Alle; er laſtet gleich einem Stein auf der Gemeinde — der iſt von Gott gefallen
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Kranken allein war, ſprach er zu ihr, und ſeine
alten Augen lachten: „Frau, jetzt kann ich's getroſt
Euch ſagen: heut' hat der Doctor ſeinen Feſttag;
es ſtand ſchlimm um Euch; aber nun gehöret Ihr
wieder zu uns, zu den Lebendigen!”
Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren
dunklen Augen: „Hauke! Hauke, wo biſt Du?”
rief ſie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer
und an ihr Bett ſtürzte, ſchlug ſie die Arme um
ſeinen Nacken: „Hauke, mein Mann, gerettet! Ich
bleibe bei Dir!”
Da zog der alte Doctor ſein ſeiden Schnupf-
tuch aus der Taſche, fuhr ſich damit über Stirn
und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.
— — Am dritten Abend nach dieſem Tage
ſprach ein frommer Redner — es war ein vom
Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffel-
macher — im Conventikel bei dem holländiſchen
Schneider, da er ſeinen Zuhörern die Eigenſchaften
Gottes auseinanderſetzte: „Wer aber Gottes All-
macht widerſtreitet, wer da ſagt: ich weiß, Du
kannſt nicht, was Du willſt — wir kennen den
Unglückſeligen ja Alle; er laſtet gleich einem Stein
auf der Gemeinde — der iſt von Gott gefallen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/164>, abgerufen am 16.02.2025.
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