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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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seinen Gewissensbiß zur Ruhe, ihn sich selber als
eine krankhaft übertriebene Angst zur Ueberzeugung
zu bringen."

-- -- "Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle,"
sagte nach einer Weile mein Gastfreund, der Schul-
meister, "war das Jahr 1756, das in dieser Gegend
nie vergessen wird; im Hause Hauke Haien's brachte
es eine Todte. Zu Ende des Septembers war in
der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt
war, die fast neunzigjährige Trien' Jans am Sterben.
Man hatte sie nach ihrem Wunsche in den Kissen
aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die
kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte
dort am Himmel eine dünnere Luftschicht über
einer dichteren liegen; denn es war hohe Kimmung,
und die Spiegelung hob in diesem Augenblick das
Meer wie einen flimmernden Silberstreifen über
den Rand des Deiches, so daß es blendend in die
Kammer schimmerte; auch die Südspitze von Jevers-
sand war sichtbar.

Am Fußende des Bettes kauerte die kleine
Wienke, und hielt mit der einen Hand sich fest
an der ihres Vaters, der daneben stand. In das
Antlitz der Sterbenden grub eben der Tod das

ſeinen Gewiſſensbiß zur Ruhe, ihn ſich ſelber als
eine krankhaft übertriebene Angſt zur Ueberzeugung
zu bringen.”

— — „Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle,”
ſagte nach einer Weile mein Gaſtfreund, der Schul-
meiſter, „war das Jahr 1756, das in dieſer Gegend
nie vergeſſen wird; im Hauſe Hauke Haien's brachte
es eine Todte. Zu Ende des Septembers war in
der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt
war, die faſt neunzigjährige Trien' Jans am Sterben.
Man hatte ſie nach ihrem Wunſche in den Kiſſen
aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die
kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte
dort am Himmel eine dünnere Luftſchicht über
einer dichteren liegen; denn es war hohe Kimmung,
und die Spiegelung hob in dieſem Augenblick das
Meer wie einen flimmernden Silberſtreifen über
den Rand des Deiches, ſo daß es blendend in die
Kammer ſchimmerte; auch die Südſpitze von Jevers-
ſand war ſichtbar.

Am Fußende des Bettes kauerte die kleine
Wienke, und hielt mit der einen Hand ſich feſt
an der ihres Vaters, der daneben ſtand. In das
Antlitz der Sterbenden grub eben der Tod das

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[196/0208] ſeinen Gewiſſensbiß zur Ruhe, ihn ſich ſelber als eine krankhaft übertriebene Angſt zur Ueberzeugung zu bringen.” — — „Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle,” ſagte nach einer Weile mein Gaſtfreund, der Schul- meiſter, „war das Jahr 1756, das in dieſer Gegend nie vergeſſen wird; im Hauſe Hauke Haien's brachte es eine Todte. Zu Ende des Septembers war in der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt war, die faſt neunzigjährige Trien' Jans am Sterben. Man hatte ſie nach ihrem Wunſche in den Kiſſen aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch die kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte dort am Himmel eine dünnere Luftſchicht über einer dichteren liegen; denn es war hohe Kimmung, und die Spiegelung hob in dieſem Augenblick das Meer wie einen flimmernden Silberſtreifen über den Rand des Deiches, ſo daß es blendend in die Kammer ſchimmerte; auch die Südſpitze von Jevers- ſand war ſichtbar. Am Fußende des Bettes kauerte die kleine Wienke, und hielt mit der einen Hand ſich feſt an der ihres Vaters, der daneben ſtand. In das Antlitz der Sterbenden grub eben der Tod das

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/208>, abgerufen am 21.11.2024.