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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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scharf nach allen Seiten; in seinem Kopfe wühlten
die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor
Gottes Thron zu tragen? -- Der Durchstich des
neuen Deichs -- vielleicht, sie hätten's fertig ge-
bracht, wenn er sein Halt nicht gerufen hätte;
aber -- es war noch eins, und es schoß ihm heiß
zu Herzen, er wußte es nur zu gut -- im
vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters' böses
Maul ihn nicht zurückgehalten -- da lag's! Er
allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt;
er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben
müssen: "Herr Gott, ja ich bekenn' es," rief er
plötzlich laut in den Sturm hinaus, "ich habe
meines Amtes schlecht gewartet!"

Zu seiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen,
tobte das Meer; vor ihm, und jetzt in voller
Finsterniß, lag der alte Koog mit seinen Werften
und heimathlichen Häusern; das bleiche Himmels-
licht war völlig ausgethan; nur von einer Stelle
brach ein Lichtschein durch das Dunkel. Und wie
ein Trost kam es an des Mannes Herz; es mußte
von seinem Haus herüber scheinen, es war ihm
wie ein Gruß von Weib und Kind. Gottlob, die
saßen sicher auf der hohen Werfte! Die Andern,

ſcharf nach allen Seiten; in ſeinem Kopfe wühlten
die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor
Gottes Thron zu tragen? — Der Durchſtich des
neuen Deichs — vielleicht, ſie hätten's fertig ge-
bracht, wenn er ſein Halt nicht gerufen hätte;
aber — es war noch eins, und es ſchoß ihm heiß
zu Herzen, er wußte es nur zu gut — im
vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters' böſes
Maul ihn nicht zurückgehalten — da lag's! Er
allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt;
er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben
müſſen: „Herr Gott, ja ich bekenn' es,” rief er
plötzlich laut in den Sturm hinaus, „ich habe
meines Amtes ſchlecht gewartet!”

Zu ſeiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen,
tobte das Meer; vor ihm, und jetzt in voller
Finſterniß, lag der alte Koog mit ſeinen Werften
und heimathlichen Häuſern; das bleiche Himmels-
licht war völlig ausgethan; nur von einer Stelle
brach ein Lichtſchein durch das Dunkel. Und wie
ein Troſt kam es an des Mannes Herz; es mußte
von ſeinem Haus herüber ſcheinen, es war ihm
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[214/0226] ſcharf nach allen Seiten; in ſeinem Kopfe wühlten die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor Gottes Thron zu tragen? — Der Durchſtich des neuen Deichs — vielleicht, ſie hätten's fertig ge- bracht, wenn er ſein Halt nicht gerufen hätte; aber — es war noch eins, und es ſchoß ihm heiß zu Herzen, er wußte es nur zu gut — im vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters' böſes Maul ihn nicht zurückgehalten — da lag's! Er allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt; er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben müſſen: „Herr Gott, ja ich bekenn' es,” rief er plötzlich laut in den Sturm hinaus, „ich habe meines Amtes ſchlecht gewartet!” Zu ſeiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen, tobte das Meer; vor ihm, und jetzt in voller Finſterniß, lag der alte Koog mit ſeinen Werften und heimathlichen Häuſern; das bleiche Himmels- licht war völlig ausgethan; nur von einer Stelle brach ein Lichtſchein durch das Dunkel. Und wie ein Troſt kam es an des Mannes Herz; es mußte von ſeinem Haus herüber ſcheinen, es war ihm wie ein Gruß von Weib und Kind. Gottlob, die ſaßen ſicher auf der hohen Werfte! Die Andern,

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/226>, abgerufen am 24.11.2024.