Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun aber war's einmal im Frühjahr, und
Hauke lag nach seiner Gewohnheit oft draußen am
Deich, schon weiter unten dem Wasser zu, zwischen
Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und
ließ sich von der schon kräftigen Sonne bescheinen.
Er hatte sich Tags zuvor droben auf der Geest
die Taschen voll von Kieseln gesammelt, und als
in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und
die kleinen grauen Strandläufer schreiend darüber
hinhuschten, holte er jählings einen Stein hervor
und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von
Kindesbeinen an geübt, und meistens blieb einer
auf dem Schlicke liegen; aber ebenso oft war er dort
auch nicht zu holen; Hauke hatte schon daran ge-
dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden
Jagdhund zu dressiren. Aber es gab auch hier
und dort feste Stellen oder Sandlager; solchen-
falls lief er hinaus und holte sich seine Beute
selbst. Saß der Kater bei seiner Rückkehr noch
vor der Hausthür, dann schrie das Thier vor nicht
zu bergender Raubgier so lange, bis Hauke ihm
einen der erbeuteten Vögel zuwarf.

Als er heute, seine Jacke auf der Schulter,
heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,

Nun aber war's einmal im Frühjahr, und
Hauke lag nach ſeiner Gewohnheit oft draußen am
Deich, ſchon weiter unten dem Waſſer zu, zwiſchen
Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und
ließ ſich von der ſchon kräftigen Sonne beſcheinen.
Er hatte ſich Tags zuvor droben auf der Geeſt
die Taſchen voll von Kieſeln geſammelt, und als
in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und
die kleinen grauen Strandläufer ſchreiend darüber
hinhuſchten, holte er jählings einen Stein hervor
und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von
Kindesbeinen an geübt, und meiſtens blieb einer
auf dem Schlicke liegen; aber ebenſo oft war er dort
auch nicht zu holen; Hauke hatte ſchon daran ge-
dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden
Jagdhund zu dreſſiren. Aber es gab auch hier
und dort feſte Stellen oder Sandlager; ſolchen-
falls lief er hinaus und holte ſich ſeine Beute
ſelbſt. Saß der Kater bei ſeiner Rückkehr noch
vor der Hausthür, dann ſchrie das Thier vor nicht
zu bergender Raubgier ſo lange, bis Hauke ihm
einen der erbeuteten Vögel zuwarf.

Als er heute, ſeine Jacke auf der Schulter,
heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0036" n="24"/>
        <p>Nun aber war's einmal im Frühjahr, und<lb/>
Hauke lag nach &#x017F;einer Gewohnheit oft draußen am<lb/>
Deich, &#x017F;chon weiter unten dem Wa&#x017F;&#x017F;er zu, zwi&#x017F;chen<lb/>
Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und<lb/>
ließ &#x017F;ich von der &#x017F;chon kräftigen Sonne be&#x017F;cheinen.<lb/>
Er hatte &#x017F;ich Tags zuvor droben auf der Gee&#x017F;t<lb/>
die Ta&#x017F;chen voll von Kie&#x017F;eln ge&#x017F;ammelt, und als<lb/>
in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und<lb/>
die kleinen grauen Strandläufer &#x017F;chreiend darüber<lb/>
hinhu&#x017F;chten, holte er jählings einen Stein hervor<lb/>
und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von<lb/>
Kindesbeinen an geübt, und mei&#x017F;tens blieb einer<lb/>
auf dem Schlicke liegen; aber eben&#x017F;o oft war er dort<lb/>
auch nicht zu holen; Hauke hatte &#x017F;chon daran ge-<lb/>
dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden<lb/>
Jagdhund zu dre&#x017F;&#x017F;iren. Aber es gab auch hier<lb/>
und dort fe&#x017F;te Stellen oder Sandlager; &#x017F;olchen-<lb/>
falls lief er hinaus und holte &#x017F;ich &#x017F;eine Beute<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Saß der Kater bei &#x017F;einer Rückkehr noch<lb/>
vor der Hausthür, dann &#x017F;chrie das Thier vor nicht<lb/>
zu bergender Raubgier &#x017F;o lange, bis Hauke ihm<lb/>
einen der erbeuteten Vögel zuwarf.</p><lb/>
        <p>Als er heute, &#x017F;eine Jacke auf der Schulter,<lb/>
heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0036] Nun aber war's einmal im Frühjahr, und Hauke lag nach ſeiner Gewohnheit oft draußen am Deich, ſchon weiter unten dem Waſſer zu, zwiſchen Strandnelken und dem duftenden Seewermuth, und ließ ſich von der ſchon kräftigen Sonne beſcheinen. Er hatte ſich Tags zuvor droben auf der Geeſt die Taſchen voll von Kieſeln geſammelt, und als in der Ebbezeit die Watten bloßgelegt waren und die kleinen grauen Strandläufer ſchreiend darüber hinhuſchten, holte er jählings einen Stein hervor und warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von Kindesbeinen an geübt, und meiſtens blieb einer auf dem Schlicke liegen; aber ebenſo oft war er dort auch nicht zu holen; Hauke hatte ſchon daran ge- dacht, den Kater mitzunehmen und als apportirenden Jagdhund zu dreſſiren. Aber es gab auch hier und dort feſte Stellen oder Sandlager; ſolchen- falls lief er hinaus und holte ſich ſeine Beute ſelbſt. Saß der Kater bei ſeiner Rückkehr noch vor der Hausthür, dann ſchrie das Thier vor nicht zu bergender Raubgier ſo lange, bis Hauke ihm einen der erbeuteten Vögel zuwarf. Als er heute, ſeine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen ihm noch unbekannten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/36
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/36>, abgerufen am 21.11.2024.