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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 14.
hat 8), dass eine, wenn auch nur vermeintlich, auf wun-
derbare Weise entstandene Sprachlosigkeit nicht mit einer
Stummheit als natürlichem Gebrechen in Eine Klasse würde
gestellt worden sein. Wohl aber wird man sich mit
Schleiermacher darüber verwundern müssen, wie Zacha-
rias unerachtet jenes Schlagflusses frisch und übrigens ge-
sund nach Hause geht 9), so dass er gerade mit dieser
theilweisen Lähmung anderntheils die Kraft erhalten haben
müsste, seinem langgehegten Wunsche Realität zu schaffen.
Auch das muss als ein sonderbarer Zufall bezeichnet wer-
den, dass gerade am Beschneidungstage des Sohnes die
Lähmung der Zunge des Vaters gewichen sein soll, da,
wenn diess der Gewalt der Freude zugeschrieben wird 10),
diese gewiss am Tage der Geburt des Sohnes grösser
gedacht werden muss als an dem späteren Beschneidungs-
tage, wo sich der Vater an den Besiz des Kindes be-
reits gewöhnt hatte. -- Die andre Erklärung aber, dass
das Nichtredenkönnen des Zacharias nicht eine physische
Unmöglichkeit, sondern nur ein psychologisch zu erklärendes
Meinen, nicht reden zu dürfen, gewesen sei, ist dem Wort-
sinn bei Lukas zuwider. Denn was beweisen alle die Stel-
len, welche Paulus zum Beweis dafür aufhäuft, dass ou
dunamai nicht allein ein wirkliches non posse, sondern
auch ein blosses non sustinere bedeuten könne 11), gegen
den klaren Zusammenhang unsrer Stelle? Wenn nämlich
etwa auch das erzählende ouk edunato lalesai autois
(V. 22.) mit Noth in jenem Sinne genommen werden könn-
te: so würde doch V. 20. der Engel in der visionären Vor-
stellung des Zacharias, wenn er diesem das Reden nur

8) Horae hebr. et talmud. ed. Carpzov. p. 722.
9) a. a. O. S. 26.
10) Wofür man sich auf Beispiele aus A. Gellius 5, 9, und Va-
lerius Maximus 1, 8. beruft.
11) a. a. O. S. 97 f.

Erstes Kapitel. §. 14.
hat 8), daſs eine, wenn auch nur vermeintlich, auf wun-
derbare Weise entstandene Sprachlosigkeit nicht mit einer
Stummheit als natürlichem Gebrechen in Eine Klasse würde
gestellt worden sein. Wohl aber wird man sich mit
Schleiermacher darüber verwundern müssen, wie Zacha-
rias unerachtet jenes Schlagflusses frisch und übrigens ge-
sund nach Hause geht 9), so daſs er gerade mit dieser
theilweisen Lähmung anderntheils die Kraft erhalten haben
müſste, seinem langgehegten Wunsche Realität zu schaffen.
Auch das muſs als ein sonderbarer Zufall bezeichnet wer-
den, daſs gerade am Beschneidungstage des Sohnes die
Lähmung der Zunge des Vaters gewichen sein soll, da,
wenn dieſs der Gewalt der Freude zugeschrieben wird 10),
diese gewiſs am Tage der Geburt des Sohnes gröſser
gedacht werden muſs als an dem späteren Beschneidungs-
tage, wo sich der Vater an den Besiz des Kindes be-
reits gewöhnt hatte. — Die andre Erklärung aber, daſs
das Nichtredenkönnen des Zacharias nicht eine physische
Unmöglichkeit, sondern nur ein psychologisch zu erklärendes
Meinen, nicht reden zu dürfen, gewesen sei, ist dem Wort-
sinn bei Lukas zuwider. Denn was beweisen alle die Stel-
len, welche Paulus zum Beweis dafür aufhäuft, daſs οὐ
δύναμαι nicht allein ein wirkliches non posse, sondern
auch ein bloſses non sustinere bedeuten könne 11), gegen
den klaren Zusammenhang unsrer Stelle? Wenn nämlich
etwa auch das erzählende οὐκ ἠδύνατο λαλῆσαι ἀυτοῖς
(V. 22.) mit Noth in jenem Sinne genommen werden könn-
te: so würde doch V. 20. der Engel in der visionären Vor-
stellung des Zacharias, wenn er diesem das Reden nur

8) Horae hebr. et talmud. ed. Carpzov. p. 722.
9) a. a. O. S. 26.
10) Wofür man sich auf Beispiele aus A. Gellius 5, 9, und Va-
lerius Maximus 1, 8. beruft.
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[93/0117] Erstes Kapitel. §. 14. hat 8), daſs eine, wenn auch nur vermeintlich, auf wun- derbare Weise entstandene Sprachlosigkeit nicht mit einer Stummheit als natürlichem Gebrechen in Eine Klasse würde gestellt worden sein. Wohl aber wird man sich mit Schleiermacher darüber verwundern müssen, wie Zacha- rias unerachtet jenes Schlagflusses frisch und übrigens ge- sund nach Hause geht 9), so daſs er gerade mit dieser theilweisen Lähmung anderntheils die Kraft erhalten haben müſste, seinem langgehegten Wunsche Realität zu schaffen. Auch das muſs als ein sonderbarer Zufall bezeichnet wer- den, daſs gerade am Beschneidungstage des Sohnes die Lähmung der Zunge des Vaters gewichen sein soll, da, wenn dieſs der Gewalt der Freude zugeschrieben wird 10), diese gewiſs am Tage der Geburt des Sohnes gröſser gedacht werden muſs als an dem späteren Beschneidungs- tage, wo sich der Vater an den Besiz des Kindes be- reits gewöhnt hatte. — Die andre Erklärung aber, daſs das Nichtredenkönnen des Zacharias nicht eine physische Unmöglichkeit, sondern nur ein psychologisch zu erklärendes Meinen, nicht reden zu dürfen, gewesen sei, ist dem Wort- sinn bei Lukas zuwider. Denn was beweisen alle die Stel- len, welche Paulus zum Beweis dafür aufhäuft, daſs οὐ δύναμαι nicht allein ein wirkliches non posse, sondern auch ein bloſses non sustinere bedeuten könne 11), gegen den klaren Zusammenhang unsrer Stelle? Wenn nämlich etwa auch das erzählende οὐκ ἠδύνατο λαλῆσαι ἀυτοῖς (V. 22.) mit Noth in jenem Sinne genommen werden könn- te: so würde doch V. 20. der Engel in der visionären Vor- stellung des Zacharias, wenn er diesem das Reden nur 8) Horae hebr. et talmud. ed. Carpzov. p. 722. 9) a. a. O. S. 26. 10) Wofür man sich auf Beispiele aus A. Gellius 5, 9, und Va- lerius Maximus 1, 8. beruft. 11) a. a. O. S. 97 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/117>, abgerufen am 21.11.2024.