Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. -- und die Annahme des alten Chronologen Julius Africa-nus, dass bei Josephs Eltern eine Levirats-Ehe eingetre- ten sei, und nun der Stammbaum des einen Evangelisten dem natürlichen, der andere dem gesetzlichen Vater Josephs angehöre; durch den einen habe er von der Salomonischen, durch den andern von der Nathanischen Linie des Davidi- schen Geschlechtes abgestammt 6). Die nähere Frage, wel- che von beiden Genealogieen den natürlichen, und welche den gesetzlichen Vater mit seinem Stammbaum angebe, kann nach zweierlei Kriterien entschieden werden, deren eines mehr dem Buchstaben, das andere mehr dem Geist und Charakter der beiden Evangelisten angehört, und wel- che eine entgegengesetzte Entscheidung herbeiführen. Au- gustinus und auch schon Julius haben darauf gesehen, welcher von beiden Evangelisten zur Bezeichnung des Verhältnisses zwischen Joseph und demjenigen, den er als dessen Vater namhaft macht, sich eines Ausdrucks bedie- ne, welcher bestimmter als der des andern auf ein natür- liches Sohnesverhältniss hinweise. Einen solchen gebraucht nun Matthäus; indem er nämlich sagt: Iakob egennese ton Ioseph: so scheint das gennan nur das natürliche Verhält- niss bezeichnen zu können, während das Ioseph tou Eli bei Lukas ebensowohl das Verhältniss eines Adoptivsohns, oder eines solchen, der vermöge des Leviratsverhältnisses als Sohn angesehen wird, anzeigen zu können scheint. Al- lein da die Verordnung der Leviratsehe gerade den Zweck hatte, Namen und Geschlecht eines kinderlos Verstorbenen zu erhalten: so war es jüdische Sitte, den aus solcher Ehe zuerst entsprossenen Sohn nicht in das Geschlechtsregister des natürlichen Vaters einzutragen, wie hier Matthäus thun soll, sondern in das des gesetzlichen Vaters, wie diess Lu- kas nach der obigen Voraussetzung beobachtet. Dass nun 6) Bei Eusebius, H. E. 1, 7. und neuerlich z. B. Schleierma-
cher, über den Lukas, S. 53. Erster Abschnitt. — und die Annahme des alten Chronologen Julius Africa-nus, daſs bei Josephs Eltern eine Levirats-Ehe eingetre- ten sei, und nun der Stammbaum des einen Evangelisten dem natürlichen, der andere dem gesetzlichen Vater Josephs angehöre; durch den einen habe er von der Salomonischen, durch den andern von der Nathanischen Linie des Davidi- schen Geschlechtes abgestammt 6). Die nähere Frage, wel- che von beiden Genealogieen den natürlichen, und welche den gesetzlichen Vater mit seinem Stammbaum angebe, kann nach zweierlei Kriterien entschieden werden, deren eines mehr dem Buchstaben, das andere mehr dem Geist und Charakter der beiden Evangelisten angehört, und wel- che eine entgegengesetzte Entscheidung herbeiführen. Au- gustinus und auch schon Julius haben darauf gesehen, welcher von beiden Evangelisten zur Bezeichnung des Verhältnisses zwischen Joseph und demjenigen, den er als dessen Vater namhaft macht, sich eines Ausdrucks bedie- ne, welcher bestimmter als der des andern auf ein natür- liches Sohnesverhältniſs hinweise. Einen solchen gebraucht nun Matthäus; indem er nämlich sagt: Ἰακὼβ ἐγέννησε τὸν Ἰωσὴφ: so scheint das γεννᾷν nur das natürliche Verhält- niſs bezeichnen zu können, während das Ἰωσὴφ τοῦ Ἡλὶ bei Lukas ebensowohl das Verhältniſs eines Adoptivsohns, oder eines solchen, der vermöge des Leviratsverhältnisses als Sohn angesehen wird, anzeigen zu können scheint. Al- lein da die Verordnung der Leviratsehe gerade den Zweck hatte, Namen und Geschlecht eines kinderlos Verstorbenen zu erhalten: so war es jüdische Sitte, den aus solcher Ehe zuerst entsprossenen Sohn nicht in das Geschlechtsregister des natürlichen Vaters einzutragen, wie hier Matthäus thun soll, sondern in das des gesetzlichen Vaters, wie dieſs Lu- kas nach der obigen Voraussetzung beobachtet. Daſs nun 6) Bei Eusebius, H. E. 1, 7. und neuerlich z. B. Schleierma-
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Erster Abschnitt.
— und die Annahme des alten Chronologen Julius Africa-
nus, daſs bei Josephs Eltern eine Levirats-Ehe eingetre-
ten sei, und nun der Stammbaum des einen Evangelisten
dem natürlichen, der andere dem gesetzlichen Vater Josephs
angehöre; durch den einen habe er von der Salomonischen,
durch den andern von der Nathanischen Linie des Davidi-
schen Geschlechtes abgestammt 6). Die nähere Frage, wel-
che von beiden Genealogieen den natürlichen, und welche
den gesetzlichen Vater mit seinem Stammbaum angebe,
kann nach zweierlei Kriterien entschieden werden, deren
eines mehr dem Buchstaben, das andere mehr dem Geist
und Charakter der beiden Evangelisten angehört, und wel-
che eine entgegengesetzte Entscheidung herbeiführen. Au-
gustinus und auch schon Julius haben darauf gesehen,
welcher von beiden Evangelisten zur Bezeichnung des
Verhältnisses zwischen Joseph und demjenigen, den er als
dessen Vater namhaft macht, sich eines Ausdrucks bedie-
ne, welcher bestimmter als der des andern auf ein natür-
liches Sohnesverhältniſs hinweise. Einen solchen gebraucht
nun Matthäus; indem er nämlich sagt: Ἰακὼβ ἐγέννησε τὸν
Ἰωσὴφ: so scheint das γεννᾷν nur das natürliche Verhält-
niſs bezeichnen zu können, während das Ἰωσὴφ τοῦ Ἡλὶ
bei Lukas ebensowohl das Verhältniſs eines Adoptivsohns,
oder eines solchen, der vermöge des Leviratsverhältnisses
als Sohn angesehen wird, anzeigen zu können scheint. Al-
lein da die Verordnung der Leviratsehe gerade den Zweck
hatte, Namen und Geschlecht eines kinderlos Verstorbenen
zu erhalten: so war es jüdische Sitte, den aus solcher Ehe
zuerst entsprossenen Sohn nicht in das Geschlechtsregister
des natürlichen Vaters einzutragen, wie hier Matthäus thun
soll, sondern in das des gesetzlichen Vaters, wie dieſs Lu-
kas nach der obigen Voraussetzung beobachtet. Daſs nun
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