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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Drittes Kapitel. §. 22.
niedrigsten Thiergattungen ist eine Fortpflanzung ohne Ge-
schlechtsvermischung bekannt, auf deren Analogie man sich
für Jesu Erzeugung nie hätte berufen sollen 4). In der
That, die Sache blos physiologisch betrachtet, wäre es mit
einem ohne Geschlechtsvermischung entstandenen Menschen
an dem, was Origenes, freilich im Sinne des höchsten Su-
pranaturalismus, sagt, dass die Worte Ps. 22, 7: ich bin
ein Wurm und kein Mensch, -- eine Weissagung auf Je-
sum insofern seien, als auch er, wie diess bei Würmern
sich finde (ohne jene Vermischung) entstanden sei 5). Doch
zu der blos physiologischen Betrachtungsweise bringt schon
der Engel bei Lukas die theologische hinzu, indem er
sich (1, 37.) auf die göttliche Allmacht beruft, welcher kein
Ding unmöglich sei. Allein da die göttliche Allmacht ver-
möge ihrer Einheit mit der göttlichen Weisheit nie ohne
zureichende Gründe wirkt: so müsste sich auch hier ein
solcher nachweisen lassen. Ein genügender Grund aber zur
Suspension eines selbstgegebenen Naturgesetzes könnte für
Gott nur darin liegen, dass zur Erreichung gotteswürdiger
Zwecke jene Abweichung vom Naturgesetz nothwendig
wäre. Nun sagt man hier: der Zweck der Erlösung for-
derte Jesu Unsündlichkeit; um aber unsündlich sein zu
können, musste Jesus durch Entfernung des Antheils ei-
nes sündhaften Vaters und einen göttlichen Einfluss auf sei-
ne Erzeugung aus dem Zusammenhang der Erbsünde her-
ausgenommen sein 6). Allein, wie auch sonst schon be-
merkt 7), neuestens aber von Schleiermacher auf eine, die
Sache von dieser Seite abschliessende Weise gezeigt wor-
den ist 8), so war hiezu die Ausschliessung blos des vä-

4) Wie diess geschieht in Henke's neuem Magazin 3, 3, S. 369.
Anmerkung.
5) Homil. in Lucam 14.
6) s. Olshausen a. a. O. S. 49 f.
7) z. B. von Eichhorn, Einleitung in das N. T. 1. Bd. S. 407.
8) Glaubenslehre, 2. Thl. §. 97. S. 73 f. der zweiten Auflage.

Drittes Kapitel. §. 22.
niedrigsten Thiergattungen ist eine Fortpflanzung ohne Ge-
schlechtsvermischung bekannt, auf deren Analogie man sich
für Jesu Erzeugung nie hätte berufen sollen 4). In der
That, die Sache blos physiologisch betrachtet, wäre es mit
einem ohne Geschlechtsvermischung entstandenen Menschen
an dem, was Origenes, freilich im Sinne des höchsten Su-
pranaturalismus, sagt, daſs die Worte Ps. 22, 7: ich bin
ein Wurm und kein Mensch, — eine Weissagung auf Je-
sum insofern seien, als auch er, wie dieſs bei Würmern
sich finde (ohne jene Vermischung) entstanden sei 5). Doch
zu der blos physiologischen Betrachtungsweise bringt schon
der Engel bei Lukas die theologische hinzu, indem er
sich (1, 37.) auf die göttliche Allmacht beruft, welcher kein
Ding unmöglich sei. Allein da die göttliche Allmacht ver-
möge ihrer Einheit mit der göttlichen Weisheit nie ohne
zureichende Gründe wirkt: so müſste sich auch hier ein
solcher nachweisen lassen. Ein genügender Grund aber zur
Suspension eines selbstgegebenen Naturgesetzes könnte für
Gott nur darin liegen, daſs zur Erreichung gotteswürdiger
Zwecke jene Abweichung vom Naturgesetz nothwendig
wäre. Nun sagt man hier: der Zweck der Erlösung for-
derte Jesu Unsündlichkeit; um aber unsündlich sein zu
können, muſste Jesus durch Entfernung des Antheils ei-
nes sündhaften Vaters und einen göttlichen Einfluſs auf sei-
ne Erzeugung aus dem Zusammenhang der Erbsünde her-
ausgenommen sein 6). Allein, wie auch sonst schon be-
merkt 7), neuestens aber von Schleiermacher auf eine, die
Sache von dieser Seite abschlieſsende Weise gezeigt wor-
den ist 8), so war hiezu die Ausschlieſsung blos des vä-

4) Wie diess geschieht in Henke's neuem Magazin 3, 3, S. 369.
Anmerkung.
5) Homil. in Lucam 14.
6) s. Olshausen a. a. O. S. 49 f.
7) z. B. von Eichhorn, Einleitung in das N. T. 1. Bd. S. 407.
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[153/0177] Drittes Kapitel. §. 22. niedrigsten Thiergattungen ist eine Fortpflanzung ohne Ge- schlechtsvermischung bekannt, auf deren Analogie man sich für Jesu Erzeugung nie hätte berufen sollen 4). In der That, die Sache blos physiologisch betrachtet, wäre es mit einem ohne Geschlechtsvermischung entstandenen Menschen an dem, was Origenes, freilich im Sinne des höchsten Su- pranaturalismus, sagt, daſs die Worte Ps. 22, 7: ich bin ein Wurm und kein Mensch, — eine Weissagung auf Je- sum insofern seien, als auch er, wie dieſs bei Würmern sich finde (ohne jene Vermischung) entstanden sei 5). Doch zu der blos physiologischen Betrachtungsweise bringt schon der Engel bei Lukas die theologische hinzu, indem er sich (1, 37.) auf die göttliche Allmacht beruft, welcher kein Ding unmöglich sei. Allein da die göttliche Allmacht ver- möge ihrer Einheit mit der göttlichen Weisheit nie ohne zureichende Gründe wirkt: so müſste sich auch hier ein solcher nachweisen lassen. Ein genügender Grund aber zur Suspension eines selbstgegebenen Naturgesetzes könnte für Gott nur darin liegen, daſs zur Erreichung gotteswürdiger Zwecke jene Abweichung vom Naturgesetz nothwendig wäre. Nun sagt man hier: der Zweck der Erlösung for- derte Jesu Unsündlichkeit; um aber unsündlich sein zu können, muſste Jesus durch Entfernung des Antheils ei- nes sündhaften Vaters und einen göttlichen Einfluſs auf sei- ne Erzeugung aus dem Zusammenhang der Erbsünde her- ausgenommen sein 6). Allein, wie auch sonst schon be- merkt 7), neuestens aber von Schleiermacher auf eine, die Sache von dieser Seite abschlieſsende Weise gezeigt wor- den ist 8), so war hiezu die Ausschlieſsung blos des vä- 4) Wie diess geschieht in Henke's neuem Magazin 3, 3, S. 369. Anmerkung. 5) Homil. in Lucam 14. 6) s. Olshausen a. a. O. S. 49 f. 7) z. B. von Eichhorn, Einleitung in das N. T. 1. Bd. S. 407. 8) Glaubenslehre, 2. Thl. §. 97. S. 73 f. der zweiten Auflage.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/177>, abgerufen am 21.11.2024.