Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. beiden Seiten auf eine solche verzichtet, oder sie beidemalegewagt werden, und der consequente Rationalismus, z. B. eines Paulus, konnte sich nur für das Letztere entschei- den 4). Den Antheil Josephs zwar hält der genannte Aus- leger durch Matth. 1, 18. für ausgeschlossen, keineswegs aber jede andre männliche Wirksamkeit; so wenig als er in pneuma agion und dunamis upsisou (Luc. 1, 35.) eine wun- dervolle göttliche Thätigkeit finden kann. Das pneuma agion ist ihm nichts Objektives, von aussen auf Maria Einwir- kendes, sondern ihre eigene fromme Gesinnung; die duna- mis upsisou aber ist ihm nicht unmittelbar die göttliche All- macht, sondern jede gottgefällig angewandte Naturkraft kann nach ihm so genannt werden. Demzufolge ist nach Paulus der Sinn der Verkündigung des Engels nur dieser, vor der Verehlichung mit Joseph werde Maria mit reiner Begeisterung für das Heilige ihrerseits, und durch gottge- fällige Wirksamkeit (versteht sich, eines Mannes) auf der andern Seite, Mutter eines Kindes werden, das, wegen die- ses heiligen Ursprungs, ein Gottessohn zu nennen sein werde 5). Sehen wir aber noch näher nach, wie sich der ge- 4) Exeget. Handbuch 1, a. S. 99 ff. 111 ff. Vergl. (Walther) schriftmässiger Beweis, dass Joseph der wahre Vater Jesu sei, 1791. 5) Diese Erklärung betrachtet Paulus als die einzige, der orien-
talischen Denk- und Sprechweise angemessene, und warnt, sie occidentalisch umzudeuten (S. 114.). Es soll also occi- dentalische Umdeutung sein, wenn man jene Worte so ver- steht, das Kind werde ohne menschlichen Vater durch Got- tes heiligen Geist und allmächtige Kraft im Leibe der Mut- ter gebildet werden; paraphrasirt man hingegen: aus reiner gottergebener Begeisterung wirst du dich vorwurfslos einer gottgewollten Wirksamkeit hingeben, -- so ist das, nach Dr. Paulus, orientalisch gesprochen. Erster Abschnitt. beiden Seiten auf eine solche verzichtet, oder sie beidemalegewagt werden, und der consequente Rationalismus, z. B. eines Paulus, konnte sich nur für das Letztere entschei- den 4). Den Antheil Josephs zwar hält der genannte Aus- leger durch Matth. 1, 18. für ausgeschlossen, keineswegs aber jede andre männliche Wirksamkeit; so wenig als er in πνεῦμα ἅγιον und δύναμις ὑψίςου (Luc. 1, 35.) eine wun- dervolle göttliche Thätigkeit finden kann. Das πνεῦμα ἅγιον ist ihm nichts Objektives, von aussen auf Maria Einwir- kendes, sondern ihre eigene fromme Gesinnung; die δύνα- μις ὑψίςου aber ist ihm nicht unmittelbar die göttliche All- macht, sondern jede gottgefällig angewandte Naturkraft kann nach ihm so genannt werden. Demzufolge ist nach Paulus der Sinn der Verkündigung des Engels nur dieser, vor der Verehlichung mit Joseph werde Maria mit reiner Begeisterung für das Heilige ihrerseits, und durch gottge- fällige Wirksamkeit (versteht sich, eines Mannes) auf der andern Seite, Mutter eines Kindes werden, das, wegen die- ses heiligen Ursprungs, ein Gottessohn zu nennen sein werde 5). Sehen wir aber noch näher nach, wie sich der ge- 4) Exeget. Handbuch 1, a. S. 99 ff. 111 ff. Vergl. (Walther) schriftmässiger Beweis, dass Joseph der wahre Vater Jesu sei, 1791. 5) Diese Erklärung betrachtet Paulus als die einzige, der orien-
talischen Denk- und Sprechweise angemessene, und warnt, sie occidentalisch umzudeuten (S. 114.). Es soll also occi- dentalische Umdeutung sein, wenn man jene Worte so ver- steht, das Kind werde ohne menschlichen Vater durch Got- tes heiligen Geist und allmächtige Kraft im Leibe der Mut- ter gebildet werden; paraphrasirt man hingegen: aus reiner gottergebener Begeisterung wirst du dich vorwurfslos einer gottgewollten Wirksamkeit hingeben, — so ist das, nach Dr. Paulus, orientalisch gesprochen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0192" n="168"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/> beiden Seiten auf eine solche verzichtet, oder sie beidemale<lb/> gewagt werden, und der consequente Rationalismus, z. B.<lb/> eines <hi rendition="#k">Paulus</hi>, konnte sich nur für das Letztere entschei-<lb/> den <note place="foot" n="4)">Exeget. Handbuch 1, a. S. 99 ff. 111 ff. Vergl. (<hi rendition="#k">Walther</hi>)<lb/> schriftmässiger Beweis, dass Joseph der wahre Vater Jesu<lb/> sei, 1791.</note>. Den Antheil Josephs zwar hält der genannte Aus-<lb/> leger durch Matth. 1, 18. für ausgeschlossen, keineswegs<lb/> aber jede andre männliche Wirksamkeit; so wenig als er<lb/> in <foreign xml:lang="ell">πνεῦμα ἅγιον</foreign> und <foreign xml:lang="ell">δύναμις ὑψίςου</foreign> (Luc. 1, 35.) eine wun-<lb/> dervolle göttliche Thätigkeit finden kann. Das <foreign xml:lang="ell">πνεῦμα ἅγιον</foreign><lb/> ist ihm nichts Objektives, von aussen auf Maria Einwir-<lb/> kendes, sondern ihre eigene fromme Gesinnung; die <foreign xml:lang="ell">δύνα-<lb/> μις ὑψίςου</foreign> aber ist ihm nicht unmittelbar die göttliche All-<lb/> macht, sondern jede gottgefällig angewandte Naturkraft<lb/> kann nach ihm so genannt werden. Demzufolge ist nach<lb/><hi rendition="#k">Paulus</hi> der Sinn der Verkündigung des Engels nur dieser,<lb/> vor der Verehlichung mit Joseph werde Maria mit reiner<lb/> Begeisterung für das Heilige ihrerseits, und durch gottge-<lb/> fällige Wirksamkeit (versteht sich, eines Mannes) auf der<lb/> andern Seite, Mutter eines Kindes werden, das, wegen die-<lb/> ses heiligen Ursprungs, ein Gottessohn zu nennen sein<lb/> werde <note place="foot" n="5)">Diese Erklärung betrachtet <hi rendition="#k">Paulus</hi> als die einzige, der orien-<lb/> talischen Denk- und Sprechweise angemessene, und warnt,<lb/> sie occidentalisch umzudeuten (S. 114.). Es soll also occi-<lb/> dentalische Umdeutung sein, wenn man jene Worte so ver-<lb/> steht, das Kind werde ohne menschlichen Vater durch Got-<lb/> tes heiligen Geist und allmächtige Kraft im Leibe der Mut-<lb/> ter gebildet werden; paraphrasirt man hingegen: aus reiner<lb/> gottergebener Begeisterung wirst du dich vorwurfslos einer<lb/> gottgewollten Wirksamkeit hingeben, — so ist das, nach Dr.<lb/><hi rendition="#k">Paulus</hi>, orientalisch gesprochen.</note>.</p><lb/> <p>Sehen wir aber noch näher nach, wie sich der ge-<lb/> nannte Repräsentant rationalistischer Auslegung die Um-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [168/0192]
Erster Abschnitt.
beiden Seiten auf eine solche verzichtet, oder sie beidemale
gewagt werden, und der consequente Rationalismus, z. B.
eines Paulus, konnte sich nur für das Letztere entschei-
den 4). Den Antheil Josephs zwar hält der genannte Aus-
leger durch Matth. 1, 18. für ausgeschlossen, keineswegs
aber jede andre männliche Wirksamkeit; so wenig als er
in πνεῦμα ἅγιον und δύναμις ὑψίςου (Luc. 1, 35.) eine wun-
dervolle göttliche Thätigkeit finden kann. Das πνεῦμα ἅγιον
ist ihm nichts Objektives, von aussen auf Maria Einwir-
kendes, sondern ihre eigene fromme Gesinnung; die δύνα-
μις ὑψίςου aber ist ihm nicht unmittelbar die göttliche All-
macht, sondern jede gottgefällig angewandte Naturkraft
kann nach ihm so genannt werden. Demzufolge ist nach
Paulus der Sinn der Verkündigung des Engels nur dieser,
vor der Verehlichung mit Joseph werde Maria mit reiner
Begeisterung für das Heilige ihrerseits, und durch gottge-
fällige Wirksamkeit (versteht sich, eines Mannes) auf der
andern Seite, Mutter eines Kindes werden, das, wegen die-
ses heiligen Ursprungs, ein Gottessohn zu nennen sein
werde 5).
Sehen wir aber noch näher nach, wie sich der ge-
nannte Repräsentant rationalistischer Auslegung die Um-
4) Exeget. Handbuch 1, a. S. 99 ff. 111 ff. Vergl. (Walther)
schriftmässiger Beweis, dass Joseph der wahre Vater Jesu
sei, 1791.
5) Diese Erklärung betrachtet Paulus als die einzige, der orien-
talischen Denk- und Sprechweise angemessene, und warnt,
sie occidentalisch umzudeuten (S. 114.). Es soll also occi-
dentalische Umdeutung sein, wenn man jene Worte so ver-
steht, das Kind werde ohne menschlichen Vater durch Got-
tes heiligen Geist und allmächtige Kraft im Leibe der Mut-
ter gebildet werden; paraphrasirt man hingegen: aus reiner
gottergebener Begeisterung wirst du dich vorwurfslos einer
gottgewollten Wirksamkeit hingeben, — so ist das, nach Dr.
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