Zeitraum, in welchem sich nicht wohl schon legendenar- tige Nachrichten über jene Begebenheiten haben bilden kön- nen, darüber ist, nach dem in der Einleitung und aus Ver- anlassung der Empfängnissgeschichte des Täufers Gesag- ten, nichts mehr zu bemerken übrig.
Eine Einwendung aber ist Olshausen eigenthümlich, und ihr Ruhm soll nicht von ihm genommen werden. Näm- lich, die mythische Auffassung der vorliegenden Erzählung sei besonders desswegen gefährlich, weil sie nur zu geeig- net sei, profanen und gotteslästerlichen Vorstellungen über den Ursprung Jesu, wenn auch nur dunkel, Eingang zu verschaffen. Denn sie könne nur die, den Begriff eines Erlösers vernichtende, Ansicht begünstigen, dass Jesus auf unheilige Weise in's Leben getreten sei, da ja Maria un- vermählt gewesen sei, als sie ihn unter dem Herzen ge- tragen habe 15). Wenn Olshausen in der ersten Auflage hinzusetzte, er wolle übrigens gerne zugestehen, dass sol- che Erklärer nicht wissen, was sie thun, so ist es billig, das gleiche Zugeständniss auch ihm zu Gute kommen zu lassen, da er hier gar nicht zu wissen scheint, was my- thische Erklärung ist. Denn wie könnte er sonst sagen, dass diese Erklärungsweise nur jene blasphemische An- sicht begünstigen könne, dass also Alle, welche die vor- liegende Erzählung mythisch fassen, das Unsinnige zu be- gehen geneigt seien, was schon Origenes den jüdischen Lästerern zum Vorwurf machte, dass sie von einer Erzäh- lung, welche sie im Übrigen für unhistorisch erkennen, doch den Zug von der noch nicht erfolgten Verheurathung der Maria festhalten? So verblendet und inconsequent ist kein einziger der Erklärer, welche hier einen Mythus im vollen Sinne finden, gewesen, sondern alle haben eine le- gitime Ehe zwischen Joseph und Maria vorausgesetzt, und nur Olshausen malt die mythische Auffassungsweise in das
15) Bibl. Comm. 1, S. 48 f.
12*
Drittes Kapitel. §. 25.
Zeitraum, in welchem sich nicht wohl schon legendenar- tige Nachrichten über jene Begebenheiten haben bilden kön- nen, darüber ist, nach dem in der Einleitung und aus Ver- anlassung der Empfängniſsgeschichte des Täufers Gesag- ten, nichts mehr zu bemerken übrig.
Eine Einwendung aber ist Olshausen eigenthümlich, und ihr Ruhm soll nicht von ihm genommen werden. Näm- lich, die mythische Auffassung der vorliegenden Erzählung sei besonders deſswegen gefährlich, weil sie nur zu geeig- net sei, profanen und gotteslästerlichen Vorstellungen über den Ursprung Jesu, wenn auch nur dunkel, Eingang zu verschaffen. Denn sie könne nur die, den Begriff eines Erlösers vernichtende, Ansicht begünstigen, daſs Jesus auf unheilige Weise in's Leben getreten sei, da ja Maria un- vermählt gewesen sei, als sie ihn unter dem Herzen ge- tragen habe 15). Wenn Olshausen in der ersten Auflage hinzusetzte, er wolle übrigens gerne zugestehen, daſs sol- che Erklärer nicht wissen, was sie thun, so ist es billig, das gleiche Zugeständniſs auch ihm zu Gute kommen zu lassen, da er hier gar nicht zu wissen scheint, was my- thische Erklärung ist. Denn wie könnte er sonst sagen, daſs diese Erklärungsweise nur jene blasphemische An- sicht begünstigen könne, daſs also Alle, welche die vor- liegende Erzählung mythisch fassen, das Unsinnige zu be- gehen geneigt seien, was schon Origenes den jüdischen Lästerern zum Vorwurf machte, daſs sie von einer Erzäh- lung, welche sie im Übrigen für unhistorisch erkennen, doch den Zug von der noch nicht erfolgten Verheurathung der Maria festhalten? So verblendet und inconsequent ist kein einziger der Erklärer, welche hier einen Mythus im vollen Sinne finden, gewesen, sondern alle haben eine le- gitime Ehe zwischen Joseph und Maria vorausgesetzt, und nur Olshausen malt die mythische Auffassungsweise in das
15) Bibl. Comm. 1, S. 48 f.
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Drittes Kapitel. §. 25.
Zeitraum, in welchem sich nicht wohl schon legendenar-
tige Nachrichten über jene Begebenheiten haben bilden kön-
nen, darüber ist, nach dem in der Einleitung und aus Ver-
anlassung der Empfängniſsgeschichte des Täufers Gesag-
ten, nichts mehr zu bemerken übrig.
Eine Einwendung aber ist Olshausen eigenthümlich,
und ihr Ruhm soll nicht von ihm genommen werden. Näm-
lich, die mythische Auffassung der vorliegenden Erzählung
sei besonders deſswegen gefährlich, weil sie nur zu geeig-
net sei, profanen und gotteslästerlichen Vorstellungen über
den Ursprung Jesu, wenn auch nur dunkel, Eingang zu
verschaffen. Denn sie könne nur die, den Begriff eines
Erlösers vernichtende, Ansicht begünstigen, daſs Jesus auf
unheilige Weise in's Leben getreten sei, da ja Maria un-
vermählt gewesen sei, als sie ihn unter dem Herzen ge-
tragen habe 15). Wenn Olshausen in der ersten Auflage
hinzusetzte, er wolle übrigens gerne zugestehen, daſs sol-
che Erklärer nicht wissen, was sie thun, so ist es billig,
das gleiche Zugeständniſs auch ihm zu Gute kommen zu
lassen, da er hier gar nicht zu wissen scheint, was my-
thische Erklärung ist. Denn wie könnte er sonst sagen,
daſs diese Erklärungsweise nur jene blasphemische An-
sicht begünstigen könne, daſs also Alle, welche die vor-
liegende Erzählung mythisch fassen, das Unsinnige zu be-
gehen geneigt seien, was schon Origenes den jüdischen
Lästerern zum Vorwurf machte, daſs sie von einer Erzäh-
lung, welche sie im Übrigen für unhistorisch erkennen,
doch den Zug von der noch nicht erfolgten Verheurathung
der Maria festhalten? So verblendet und inconsequent ist
kein einziger der Erklärer, welche hier einen Mythus im
vollen Sinne finden, gewesen, sondern alle haben eine le-
gitime Ehe zwischen Joseph und Maria vorausgesetzt, und
nur Olshausen malt die mythische Auffassungsweise in das
15) Bibl. Comm. 1, S. 48 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/203>, abgerufen am 21.11.2024.
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