Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Abschnitt.
Fratzenhafte, um desto eher mit derselben fertig zu wer-
den, weil sie, wie er eingesteht, in diesem Abschnitt be-
sonders viel Blendendes hat.

§. 26.
Verhältniss Josephs zu Maria. Brüder Jesu.

Ganz im Geiste der alten Sage finden es unsre Evan-
gelien anständig, die Mutter Jesu, so lange sie diese himm-
lische Frucht unter dem Herzen trug, von keinem irdi-
schen Manne berührt und verunreinigt werden zu lassen.
Daher lässt Lukas vor Jesu Geburt den Joseph mit der
Maria nur im Verhältniss der Verlobung stehen (2, 5.), und
wie es von Plato's Vater heisst, nachdem seine Gattin von
Apollo empfangen hatte: othen katharan gamou phulaxai eos
tes apokueseos 1), so wird bei Matthäus von Joseph be-
merkt (1, 25.): kai ouk eginosken auten (ten gunaika autou)
eos ou eteke ton uion autes ton prototokon
. Offenbar muss
in beiden verwandten Stellen das eos auf gleiche Weise
genommen werden; nun aber bezeichnet es in der erste-
ren unstreitig nur diess, dass zwar bis zu Plato's Geburt
sein Vater sich der Gemeinschaft mit der Gattin enthalten
habe, nachher aber in seine ehelichen Rechte eingetreten
sei, zumal wir ja von Brüdern Plato's wissen. Nicht an-
ders wird daher das eos in Bezug auf die Eltern Jesu zu
nehmen sein, dass es nur bis zu der angegebenen Grenze
hin die eheliche Gemeinschaft negirt, nach derselben aber
sie stillschweigend voraussetzt. Ebenso scheint das pro-
totokos, wie Jesus in beiden Evangelien bezeichnet wird
(Matth. 1, 25. Luc. 2, 7.), eine Folge andrer Kinder der
Maria vorauszusetzen, nach dem Lucianischen: ei men pro-
tos, ou monos; ei de monos, ou prokos 2), zumal in denselben
Evangelien (Matth. 13, 55. Luc. S, 19.) von adelphois Iesou

1) Diog. Laert. a. a. O. Vgl. Origenes c. Cels. 1, 37.
2) Demonax, 29.

Erster Abschnitt.
Fratzenhafte, um desto eher mit derselben fertig zu wer-
den, weil sie, wie er eingesteht, in diesem Abschnitt be-
sonders viel Blendendes hat.

§. 26.
Verhältniss Josephs zu Maria. Brüder Jesu.

Ganz im Geiste der alten Sage finden es unsre Evan-
gelien anständig, die Mutter Jesu, so lange sie diese himm-
lische Frucht unter dem Herzen trug, von keinem irdi-
schen Manne berührt und verunreinigt werden zu lassen.
Daher läſst Lukas vor Jesu Geburt den Joseph mit der
Maria nur im Verhältniſs der Verlobung stehen (2, 5.), und
wie es von Plato's Vater heiſst, nachdem seine Gattin von
Apollo empfangen hatte: ὅϑεν καϑαρὰν γάμου φυλαξαι ἔως
τῆς ἀποκυήσεως 1), so wird bei Matthäus von Joseph be-
merkt (1, 25.): καὶ οὐκ ἐγίνωσκεν ἀυτὴν (τὴν γυναῖκα ἁυτοῦ)
ἕως οὖ ἔτεκε τὸν υἱὸν αὑτῆς τὸν πρωτότοκον
. Offenbar muſs
in beiden verwandten Stellen das ἔως auf gleiche Weise
genommen werden; nun aber bezeichnet es in der erste-
ren unstreitig nur dieſs, daſs zwar bis zu Plato's Geburt
sein Vater sich der Gemeinschaft mit der Gattin enthalten
habe, nachher aber in seine ehelichen Rechte eingetreten
sei, zumal wir ja von Brüdern Plato's wissen. Nicht an-
ders wird daher das ἔως in Bezug auf die Eltern Jesu zu
nehmen sein, daſs es nur bis zu der angegebenen Grenze
hin die eheliche Gemeinschaft negirt, nach derselben aber
sie stillschweigend voraussetzt. Ebenso scheint das πρω-
τότοκος, wie Jesus in beiden Evangelien bezeichnet wird
(Matth. 1, 25. Luc. 2, 7.), eine Folge andrer Kinder der
Maria vorauszusetzen, nach dem Lucianischen: εἰ μὲν πρῶ-
τος, οὐ μόνος· εἰ δὲ μόνος, οὐ πρῶκος 2), zumal in denselben
Evangelien (Matth. 13, 55. Luc. S, 19.) von ἀδελφοῖς Ἰησοῦ

1) Diog. Laërt. a. a. O. Vgl. Origenes c. Cels. 1, 37.
2) Demonax, 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0204" n="180"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
Fratzenhafte, um desto eher mit derselben fertig zu wer-<lb/>
den, weil sie, wie er eingesteht, in diesem Abschnitt be-<lb/>
sonders viel Blendendes hat.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 26.<lb/>
Verhältniss Josephs zu Maria. Brüder Jesu.</head><lb/>
            <p>Ganz im Geiste der alten Sage finden es unsre Evan-<lb/>
gelien anständig, die Mutter Jesu, so lange sie diese himm-<lb/>
lische Frucht unter dem Herzen trug, von keinem irdi-<lb/>
schen Manne berührt und verunreinigt werden zu lassen.<lb/>
Daher lä&#x017F;st Lukas vor Jesu Geburt den Joseph mit der<lb/>
Maria nur im Verhältni&#x017F;s der Verlobung stehen (2, 5.), und<lb/>
wie es von Plato's Vater hei&#x017F;st, nachdem seine Gattin von<lb/>
Apollo empfangen hatte: <foreign xml:lang="ell">&#x1F45;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B1;&#x03D1;&#x03B1;&#x03C1;&#x1F70;&#x03BD; &#x03B3;&#x03AC;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C5; &#x03C6;&#x03C5;&#x03BB;&#x03B1;&#x03BE;&#x03B1;&#x03B9; &#x1F14;&#x03C9;&#x03C2;<lb/>
&#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x1F00;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BA;&#x03C5;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03C9;&#x03C2;</foreign> <note place="foot" n="1)">Diog. Laërt. a. a. O. Vgl. Origenes c. Cels. 1, 37.</note>, so wird bei Matthäus von Joseph be-<lb/>
merkt (1, 25.): <quote xml:lang="ell">&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03BF;&#x1F50;&#x03BA; &#x1F10;&#x03B3;&#x03AF;&#x03BD;&#x03C9;&#x03C3;&#x03BA;&#x03B5;&#x03BD; &#x1F00;&#x03C5;&#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; (&#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; &#x03B3;&#x03C5;&#x03BD;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BA;&#x03B1; &#x1F01;&#x03C5;&#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6;)<lb/>
&#x1F15;&#x03C9;&#x03C2; &#x03BF;&#x1F56; &#x1F14;&#x03C4;&#x03B5;&#x03BA;&#x03B5; &#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03C5;&#x1F31;&#x1F78;&#x03BD; &#x03B1;&#x1F51;&#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03C0;&#x03C1;&#x03C9;&#x03C4;&#x03CC;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BA;&#x03BF;&#x03BD;</quote>. Offenbar mu&#x017F;s<lb/>
in beiden verwandten Stellen das &#x1F14;&#x03C9;&#x03C2; auf gleiche Weise<lb/>
genommen werden; nun aber bezeichnet es in der erste-<lb/>
ren unstreitig nur die&#x017F;s, da&#x017F;s zwar bis zu Plato's Geburt<lb/>
sein Vater sich der Gemeinschaft mit der Gattin enthalten<lb/>
habe, nachher aber in seine ehelichen Rechte eingetreten<lb/>
sei, zumal wir ja von Brüdern Plato's wissen. Nicht an-<lb/>
ders wird daher das <foreign xml:lang="ell">&#x1F14;&#x03C9;&#x03C2;</foreign> in Bezug auf die Eltern Jesu zu<lb/>
nehmen sein, da&#x017F;s es nur bis zu der angegebenen Grenze<lb/>
hin die eheliche Gemeinschaft negirt, nach derselben aber<lb/>
sie stillschweigend voraussetzt. Ebenso scheint das <foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C1;&#x03C9;-<lb/>
&#x03C4;&#x03CC;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C2;</foreign>, wie Jesus in beiden Evangelien bezeichnet wird<lb/>
(Matth. 1, 25. Luc. 2, 7.), eine Folge andrer Kinder der<lb/>
Maria vorauszusetzen, nach dem Lucianischen: <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x1F30; &#x03BC;&#x1F72;&#x03BD; &#x03C0;&#x03C1;&#x1FF6;-<lb/>
&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2;, &#x03BF;&#x1F50; &#x03BC;&#x03CC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;&#x0387; &#x03B5;&#x1F30; &#x03B4;&#x1F72; &#x03BC;&#x03CC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;, &#x03BF;&#x1F50; &#x03C0;&#x03C1;&#x1FF6;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C2;</foreign> <note place="foot" n="2)">Demonax, 29.</note>, zumal in denselben<lb/>
Evangelien (Matth. 13, 55. Luc. S, 19.) von <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03C6;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2; &#x1F38;&#x03B7;&#x03C3;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0204] Erster Abschnitt. Fratzenhafte, um desto eher mit derselben fertig zu wer- den, weil sie, wie er eingesteht, in diesem Abschnitt be- sonders viel Blendendes hat. §. 26. Verhältniss Josephs zu Maria. Brüder Jesu. Ganz im Geiste der alten Sage finden es unsre Evan- gelien anständig, die Mutter Jesu, so lange sie diese himm- lische Frucht unter dem Herzen trug, von keinem irdi- schen Manne berührt und verunreinigt werden zu lassen. Daher läſst Lukas vor Jesu Geburt den Joseph mit der Maria nur im Verhältniſs der Verlobung stehen (2, 5.), und wie es von Plato's Vater heiſst, nachdem seine Gattin von Apollo empfangen hatte: ὅϑεν καϑαρὰν γάμου φυλαξαι ἔως τῆς ἀποκυήσεως 1), so wird bei Matthäus von Joseph be- merkt (1, 25.): καὶ οὐκ ἐγίνωσκεν ἀυτὴν (τὴν γυναῖκα ἁυτοῦ) ἕως οὖ ἔτεκε τὸν υἱὸν αὑτῆς τὸν πρωτότοκον. Offenbar muſs in beiden verwandten Stellen das ἔως auf gleiche Weise genommen werden; nun aber bezeichnet es in der erste- ren unstreitig nur dieſs, daſs zwar bis zu Plato's Geburt sein Vater sich der Gemeinschaft mit der Gattin enthalten habe, nachher aber in seine ehelichen Rechte eingetreten sei, zumal wir ja von Brüdern Plato's wissen. Nicht an- ders wird daher das ἔως in Bezug auf die Eltern Jesu zu nehmen sein, daſs es nur bis zu der angegebenen Grenze hin die eheliche Gemeinschaft negirt, nach derselben aber sie stillschweigend voraussetzt. Ebenso scheint das πρω- τότοκος, wie Jesus in beiden Evangelien bezeichnet wird (Matth. 1, 25. Luc. 2, 7.), eine Folge andrer Kinder der Maria vorauszusetzen, nach dem Lucianischen: εἰ μὲν πρῶ- τος, οὐ μόνος· εἰ δὲ μόνος, οὐ πρῶκος 2), zumal in denselben Evangelien (Matth. 13, 55. Luc. S, 19.) von ἀδελφοῖς Ἰησοῦ 1) Diog. Laërt. a. a. O. Vgl. Origenes c. Cels. 1, 37. 2) Demonax, 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/204
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/204>, abgerufen am 18.12.2024.