Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. schieden zu haben glaubt, wenn es etliche Zweige und Blü-then dieses Triebes abpflückt, die eigentliche mythische Wurzel aber unangetastet beim Reinhistorischen liegen lässt. Dieser mythische Grundzug, auf welchen die übrigen nur aufgetragen sind, ist in unsrer Erzählung gerade der, wel- chen die angeführten vorgeblich mythologischen Erklärer als historisch durchlassen, nämlich der Besuch Maria's bei der schwangeren Elisabet. Denn da wir als Haupttendenz des ersten Kapitels im Lukas bereits die kennen, Jesum dadurch zu verherrlichen, dass dem Täufer schon so frühe wie möglich eine Beziehung auf Jesum, aber im Verhält- niss der Unterordnung, gegeben wird: so konnte dieser Zweck nicht besser erreicht werden, als wenn nicht erst die Söh- ne, sondern schon die Mütter, doch bereits mit Beziehung auf die Söhne, also während ihrer Schwangerschaft, zu- sammengeführt wurden, und sich hiebei etwas ereignete, was das einstige Verhältniss der beiden Männer bedeutungs- voll vorzubilden geeignet war. Je mehr somit als die Ba- sis dieses Besuches das dogmatische Interesse der Tradition hervortritt, desto unwahrscheinlicher wird es, dass er eine geschichtliche Grundlage gehabt habe. An diesen Grund- zug reihen sich sofort die übrigen Züge folgendermassen an. Der Besuch der beiden Frauen musste überhaupt als mög- lich und wahrscheinlich dargestellt werden durch den Zug, dass Elisabet eine suggenes der Maria gewesen (V. 36.); ferner, dass der Besuch gerade in diesem Zeitpunkte ge- macht wurde, musste eine besondere Veranlassung haben: daher wird Maria durch den Engel auf ihre Verwandte verwiesen; bei dem Besuche selbst sollte sich das dienende Verhältniss des Täufers zu Jesu vorbedeutend aussprechen: -- diess konnte durch die Mutter desselben geschehen, wie es in ihrer Anrede an Maria wirklich geschieht, -- doch sollte wo möglich auch der künftige Täufer selbst schon ein Zeichen geben, wie das Verhältniss von Jakob und Esau zu einander sich gleichfalls schon durch ihre Bewegung und Erster Abschnitt. schieden zu haben glaubt, wenn es etliche Zweige und Blü-then dieses Triebes abpflückt, die eigentliche mythische Wurzel aber unangetastet beim Reinhistorischen liegen läſst. Dieser mythische Grundzug, auf welchen die übrigen nur aufgetragen sind, ist in unsrer Erzählung gerade der, wel- chen die angeführten vorgeblich mythologischen Erklärer als historisch durchlassen, nämlich der Besuch Maria's bei der schwangeren Elisabet. Denn da wir als Haupttendenz des ersten Kapitels im Lukas bereits die kennen, Jesum dadurch zu verherrlichen, daſs dem Täufer schon so frühe wie möglich eine Beziehung auf Jesum, aber im Verhält- niſs der Unterordnung, gegeben wird: so konnte dieser Zweck nicht besser erreicht werden, als wenn nicht erst die Söh- ne, sondern schon die Mütter, doch bereits mit Beziehung auf die Söhne, also während ihrer Schwangerschaft, zu- sammengeführt wurden, und sich hiebei etwas ereignete, was das einstige Verhältniſs der beiden Männer bedeutungs- voll vorzubilden geeignet war. Je mehr somit als die Ba- sis dieses Besuches das dogmatische Interesse der Tradition hervortritt, desto unwahrscheinlicher wird es, daſs er eine geschichtliche Grundlage gehabt habe. An diesen Grund- zug reihen sich sofort die übrigen Züge folgendermaſsen an. Der Besuch der beiden Frauen muſste überhaupt als mög- lich und wahrscheinlich dargestellt werden durch den Zug, daſs Elisabet eine συγγενὴς der Maria gewesen (V. 36.); ferner, daſs der Besuch gerade in diesem Zeitpunkte ge- macht wurde, muſste eine besondere Veranlassung haben: daher wird Maria durch den Engel auf ihre Verwandte verwiesen; bei dem Besuche selbst sollte sich das dienende Verhältniſs des Täufers zu Jesu vorbedeutend aussprechen: — dieſs konnte durch die Mutter desselben geschehen, wie es in ihrer Anrede an Maria wirklich geschieht, — doch sollte wo möglich auch der künftige Täufer selbst schon ein Zeichen geben, wie das Verhältniſs von Jakob und Esau zu einander sich gleichfalls schon durch ihre Bewegung und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0220" n="196"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/> schieden zu haben glaubt, wenn es etliche Zweige und Blü-<lb/> then dieses Triebes abpflückt, die eigentliche mythische<lb/> Wurzel aber unangetastet beim Reinhistorischen liegen läſst.<lb/> Dieser mythische Grundzug, auf welchen die übrigen nur<lb/> aufgetragen sind, ist in unsrer Erzählung gerade der, wel-<lb/> chen die angeführten vorgeblich mythologischen Erklärer<lb/> als historisch durchlassen, nämlich der Besuch Maria's bei<lb/> der schwangeren Elisabet. 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Erster Abschnitt.
schieden zu haben glaubt, wenn es etliche Zweige und Blü-
then dieses Triebes abpflückt, die eigentliche mythische
Wurzel aber unangetastet beim Reinhistorischen liegen läſst.
Dieser mythische Grundzug, auf welchen die übrigen nur
aufgetragen sind, ist in unsrer Erzählung gerade der, wel-
chen die angeführten vorgeblich mythologischen Erklärer
als historisch durchlassen, nämlich der Besuch Maria's bei
der schwangeren Elisabet. Denn da wir als Haupttendenz
des ersten Kapitels im Lukas bereits die kennen, Jesum
dadurch zu verherrlichen, daſs dem Täufer schon so frühe
wie möglich eine Beziehung auf Jesum, aber im Verhält-
niſs der Unterordnung, gegeben wird: so konnte dieser Zweck
nicht besser erreicht werden, als wenn nicht erst die Söh-
ne, sondern schon die Mütter, doch bereits mit Beziehung
auf die Söhne, also während ihrer Schwangerschaft, zu-
sammengeführt wurden, und sich hiebei etwas ereignete,
was das einstige Verhältniſs der beiden Männer bedeutungs-
voll vorzubilden geeignet war. Je mehr somit als die Ba-
sis dieses Besuches das dogmatische Interesse der Tradition
hervortritt, desto unwahrscheinlicher wird es, daſs er eine
geschichtliche Grundlage gehabt habe. An diesen Grund-
zug reihen sich sofort die übrigen Züge folgendermaſsen an.
Der Besuch der beiden Frauen muſste überhaupt als mög-
lich und wahrscheinlich dargestellt werden durch den Zug,
daſs Elisabet eine συγγενὴς der Maria gewesen (V. 36.);
ferner, daſs der Besuch gerade in diesem Zeitpunkte ge-
macht wurde, muſste eine besondere Veranlassung haben:
daher wird Maria durch den Engel auf ihre Verwandte
verwiesen; bei dem Besuche selbst sollte sich das dienende
Verhältniſs des Täufers zu Jesu vorbedeutend aussprechen:
— dieſs konnte durch die Mutter desselben geschehen, wie
es in ihrer Anrede an Maria wirklich geschieht, — doch
sollte wo möglich auch der künftige Täufer selbst schon
ein Zeichen geben, wie das Verhältniſs von Jakob und Esau
zu einander sich gleichfalls schon durch ihre Bewegung und
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