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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Drittes Kapitel. §. 27.
Stellung im Mutterleibe vorgebildet hatte (1. Mos. 25, 22 ff.);
eine ominöse Bewegung aber konnte dem Kind im Leibe
der Elisabet, wenn nicht zu sehr gegen die Gesetze der
Wahrscheinlichkeit verstossen werden sollte, nicht eher
zugeschrieben werden, als bis die Schwangerschaft seiner
Mutter bis zu einem Zeitpunkt vorgeschritten war, wo die
Leibesfrucht sich zu bewegen anfängt: daher der Zug, dass
Elisabet schon 6 Monate schwanger ist, als Maria durch
den Engel sie zu besuchen veranlasst wird (V. 36.). So
hängt, wie Schleiermacher bemerkt hat 8), diese ganze
Zeitbestimmung von dem Umstande ab, den der Verf. ger-
ne anbringen wollte, dass das Kind unter dem Herzen der
Elisabet sich der eintretenden Maria freudig entgegenbe-
wegt habe; denn nur desswegen muss diese ihren Besuch
aufschieben bis nach dem fünften Monat, und kommt auch
der Engel nicht bälder zu ihr.

Nicht nur also der Besuch Maria's bei Elisabet und
was dabei vorgefallen sein soll, fällt als unhistorisch hin,
sondern auch, dass Johannes nur ein halbes Jahr älter ge-
wesen, als Jesus, dass beider Mütter sich verwandt und
ihre Familien befreundet gewesen, können wir auf den
blossen Bericht des Lukas hin nicht mit historischer Si-
cherheit behaupten, wenn es nicht noch von andern Seiten
her bestätigt wird, wovon wir aber im weiteren Verfolge
unserer Kritik vielmehr das Gegentheil finden werden.


8) Über den Lukas. S. 23 f.

Drittes Kapitel. §. 27.
Stellung im Mutterleibe vorgebildet hatte (1. Mos. 25, 22 ff.);
eine ominöse Bewegung aber konnte dem Kind im Leibe
der Elisabet, wenn nicht zu sehr gegen die Gesetze der
Wahrscheinlichkeit verstossen werden sollte, nicht eher
zugeschrieben werden, als bis die Schwangerschaft seiner
Mutter bis zu einem Zeitpunkt vorgeschritten war, wo die
Leibesfrucht sich zu bewegen anfängt: daher der Zug, daſs
Elisabet schon 6 Monate schwanger ist, als Maria durch
den Engel sie zu besuchen veranlaſst wird (V. 36.). So
hängt, wie Schleiermacher bemerkt hat 8), diese ganze
Zeitbestimmung von dem Umstande ab, den der Verf. ger-
ne anbringen wollte, daſs das Kind unter dem Herzen der
Elisabet sich der eintretenden Maria freudig entgegenbe-
wegt habe; denn nur deſswegen muſs diese ihren Besuch
aufschieben bis nach dem fünften Monat, und kommt auch
der Engel nicht bälder zu ihr.

Nicht nur also der Besuch Maria's bei Elisabet und
was dabei vorgefallen sein soll, fällt als unhistorisch hin,
sondern auch, daſs Johannes nur ein halbes Jahr älter ge-
wesen, als Jesus, daſs beider Mütter sich verwandt und
ihre Familien befreundet gewesen, können wir auf den
bloſsen Bericht des Lukas hin nicht mit historischer Si-
cherheit behaupten, wenn es nicht noch von andern Seiten
her bestätigt wird, wovon wir aber im weiteren Verfolge
unserer Kritik vielmehr das Gegentheil finden werden.


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[197/0221] Drittes Kapitel. §. 27. Stellung im Mutterleibe vorgebildet hatte (1. Mos. 25, 22 ff.); eine ominöse Bewegung aber konnte dem Kind im Leibe der Elisabet, wenn nicht zu sehr gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit verstossen werden sollte, nicht eher zugeschrieben werden, als bis die Schwangerschaft seiner Mutter bis zu einem Zeitpunkt vorgeschritten war, wo die Leibesfrucht sich zu bewegen anfängt: daher der Zug, daſs Elisabet schon 6 Monate schwanger ist, als Maria durch den Engel sie zu besuchen veranlaſst wird (V. 36.). So hängt, wie Schleiermacher bemerkt hat 8), diese ganze Zeitbestimmung von dem Umstande ab, den der Verf. ger- ne anbringen wollte, daſs das Kind unter dem Herzen der Elisabet sich der eintretenden Maria freudig entgegenbe- wegt habe; denn nur deſswegen muſs diese ihren Besuch aufschieben bis nach dem fünften Monat, und kommt auch der Engel nicht bälder zu ihr. Nicht nur also der Besuch Maria's bei Elisabet und was dabei vorgefallen sein soll, fällt als unhistorisch hin, sondern auch, daſs Johannes nur ein halbes Jahr älter ge- wesen, als Jesus, daſs beider Mütter sich verwandt und ihre Familien befreundet gewesen, können wir auf den bloſsen Bericht des Lukas hin nicht mit historischer Si- cherheit behaupten, wenn es nicht noch von andern Seiten her bestätigt wird, wovon wir aber im weiteren Verfolge unserer Kritik vielmehr das Gegentheil finden werden. 8) Über den Lukas. S. 23 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/221>, abgerufen am 24.11.2024.