Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel. §. 29.
reicht wurde, das Erstere aber rein für sich, wie jedes
leere Gepränge, kein gotteswürdiger Zweck ist: so stellt
dieser Umstand, auch abgesehen von dem, was gegen En-
gelerscheinungen überhaupt oben erinnert ist, einer supra-
naturalistischen Auffassung dieser Geschichte ein nicht un-
bedeutendes Hinderniss entgegen. -- Eine weitere Schwie-
rigkeit liegt noch in der Art, wie die Hirten zu dem Kin-
de gewiesen werden. Sie werden ein Kind finden, sagt ih-
nen der Engel, in Windeln gewickelt und in einer Krippe
liegend. Aber wo? sollten sie vorher alle Stallungen des
Orts durchsuchen? oder sollte sie durch ein zweites Wun-
der ein geheimer Zug des Geistes in der Dunkelheit der
Nacht zu dem Kinde leiten? 14) Denn mit Olshausen noch
dazu anzunehmen, die Hirten seien vielleicht eben die Ei-
genthümer der Höhle gewesen, und haben desswegen bei
ihrer Rückkehr zu derselben das Kind antreffen müssen,
heisst mit unnöthiger Inconsequenz den einen Fuss auf den
Boden der natürlichen Erklärung setzen.

Diese ist denn freilich in ihren ersten Versuchen grob
genug ausgefallen. So nahm Eck den aggelos für einen
Boten aus Bethlehem, welcher Licht bei sich hatte, das den
Hirten in die Augen fiel, und den Lobgesang der Heer-
schaaren als ein Freudengeschrei mehrerer Begleiter dieses
Boten 15). Feiner und pragmatischer hat Paulus die Sa-
che ausgesponnen. Maria, welche in einer Hirtenfamilie
zu Bethlehem gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, er-
zählte, voll Hoffnung, wie sie war, den Messias zu gebä-

14) Olshausen, a. a. O. S. 133.
15) In seinem Versuch über die Wundergeschichten des N. T.s,
vgl. Gabler's neuestes theol. Journal 7, 4, S. 411. Der Verf.
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret hat
auch hier an den Wundern der N. T.lichen Erzählung nicht
genug Stoff für seine Lust zu natürlicher Erklärung, sondern
er unternimmt es, auch die Fabeln der Apokryphen auf sei-
ne Weise zurechtzulegen.
14*

Viertes Kapitel. §. 29.
reicht wurde, das Erstere aber rein für sich, wie jedes
leere Gepränge, kein gotteswürdiger Zweck ist: so stellt
dieser Umstand, auch abgesehen von dem, was gegen En-
gelerscheinungen überhaupt oben erinnert ist, einer supra-
naturalistischen Auffassung dieser Geschichte ein nicht un-
bedeutendes Hinderniſs entgegen. — Eine weitere Schwie-
rigkeit liegt noch in der Art, wie die Hirten zu dem Kin-
de gewiesen werden. Sie werden ein Kind finden, sagt ih-
nen der Engel, in Windeln gewickelt und in einer Krippe
liegend. Aber wo? sollten sie vorher alle Stallungen des
Orts durchsuchen? oder sollte sie durch ein zweites Wun-
der ein geheimer Zug des Geistes in der Dunkelheit der
Nacht zu dem Kinde leiten? 14) Denn mit Olshausen noch
dazu anzunehmen, die Hirten seien vielleicht eben die Ei-
genthümer der Höhle gewesen, und haben deſswegen bei
ihrer Rückkehr zu derselben das Kind antreffen müssen,
heiſst mit unnöthiger Inconsequenz den einen Fuſs auf den
Boden der natürlichen Erklärung setzen.

Diese ist denn freilich in ihren ersten Versuchen grob
genug ausgefallen. So nahm Eck den ἄγγελος für einen
Boten aus Bethlehem, welcher Licht bei sich hatte, das den
Hirten in die Augen fiel, und den Lobgesang der Heer-
schaaren als ein Freudengeschrei mehrerer Begleiter dieses
Boten 15). Feiner und pragmatischer hat Paulus die Sa-
che ausgesponnen. Maria, welche in einer Hirtenfamilie
zu Bethlehem gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, er-
zählte, voll Hoffnung, wie sie war, den Messias zu gebä-

14) Olshausen, a. a. O. S. 133.
15) In seinem Versuch über die Wundergeschichten des N. T.s,
vgl. Gabler's neuestes theol. Journal 7, 4, S. 411. Der Verf.
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret hat
auch hier an den Wundern der N. T.lichen Erzählung nicht
genug Stoff für seine Lust zu natürlicher Erklärung, sondern
er unternimmt es, auch die Fabeln der Apokryphen auf sei-
ne Weise zurechtzulegen.
14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0235" n="211"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 29.</fw><lb/>
reicht wurde, das Erstere aber rein für sich, wie jedes<lb/>
leere Gepränge, kein gotteswürdiger Zweck ist: so stellt<lb/>
dieser Umstand, auch abgesehen von dem, was gegen En-<lb/>
gelerscheinungen überhaupt oben erinnert ist, einer supra-<lb/>
naturalistischen Auffassung dieser Geschichte ein nicht un-<lb/>
bedeutendes Hinderni&#x017F;s entgegen. &#x2014; Eine weitere Schwie-<lb/>
rigkeit liegt noch in der Art, wie die Hirten zu dem Kin-<lb/>
de gewiesen werden. Sie werden ein Kind finden, sagt ih-<lb/>
nen der Engel, in Windeln gewickelt und in einer Krippe<lb/>
liegend. Aber wo? sollten sie vorher alle Stallungen des<lb/>
Orts durchsuchen? oder sollte sie durch ein zweites Wun-<lb/>
der ein geheimer Zug des Geistes in der Dunkelheit der<lb/>
Nacht zu dem Kinde leiten? <note place="foot" n="14)"><hi rendition="#k">Olshausen</hi>, a. a. O. S. 133.</note> Denn mit <hi rendition="#k">Olshausen</hi> noch<lb/>
dazu anzunehmen, die Hirten seien vielleicht eben die Ei-<lb/>
genthümer der Höhle gewesen, und haben de&#x017F;swegen bei<lb/>
ihrer Rückkehr zu derselben das Kind antreffen müssen,<lb/>
hei&#x017F;st mit unnöthiger Inconsequenz den einen Fu&#x017F;s auf den<lb/>
Boden der natürlichen Erklärung setzen.</p><lb/>
            <p>Diese ist denn freilich in ihren ersten Versuchen grob<lb/>
genug ausgefallen. So nahm <hi rendition="#k">Eck</hi> den <foreign xml:lang="ell">&#x1F04;&#x03B3;&#x03B3;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;</foreign> für einen<lb/>
Boten aus Bethlehem, welcher Licht bei sich hatte, das den<lb/>
Hirten in die Augen fiel, und den Lobgesang der Heer-<lb/>
schaaren als ein Freudengeschrei mehrerer Begleiter dieses<lb/>
Boten <note place="foot" n="15)">In seinem Versuch über die Wundergeschichten des N. T.s,<lb/>
vgl. <hi rendition="#k">Gabler</hi>'s neuestes theol. Journal 7, 4, S. 411. Der Verf.<lb/>
der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret hat<lb/>
auch hier an den Wundern der N. T.lichen Erzählung nicht<lb/>
genug Stoff für seine Lust zu natürlicher Erklärung, sondern<lb/>
er unternimmt es, auch die Fabeln der Apokryphen auf sei-<lb/>
ne Weise zurechtzulegen.</note>. Feiner und pragmatischer hat <hi rendition="#k">Paulus</hi> die Sa-<lb/>
che ausgesponnen. Maria, welche in einer Hirtenfamilie<lb/>
zu Bethlehem gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, er-<lb/>
zählte, voll Hoffnung, wie sie war, den Messias zu gebä-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0235] Viertes Kapitel. §. 29. reicht wurde, das Erstere aber rein für sich, wie jedes leere Gepränge, kein gotteswürdiger Zweck ist: so stellt dieser Umstand, auch abgesehen von dem, was gegen En- gelerscheinungen überhaupt oben erinnert ist, einer supra- naturalistischen Auffassung dieser Geschichte ein nicht un- bedeutendes Hinderniſs entgegen. — Eine weitere Schwie- rigkeit liegt noch in der Art, wie die Hirten zu dem Kin- de gewiesen werden. Sie werden ein Kind finden, sagt ih- nen der Engel, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Aber wo? sollten sie vorher alle Stallungen des Orts durchsuchen? oder sollte sie durch ein zweites Wun- der ein geheimer Zug des Geistes in der Dunkelheit der Nacht zu dem Kinde leiten? 14) Denn mit Olshausen noch dazu anzunehmen, die Hirten seien vielleicht eben die Ei- genthümer der Höhle gewesen, und haben deſswegen bei ihrer Rückkehr zu derselben das Kind antreffen müssen, heiſst mit unnöthiger Inconsequenz den einen Fuſs auf den Boden der natürlichen Erklärung setzen. Diese ist denn freilich in ihren ersten Versuchen grob genug ausgefallen. So nahm Eck den ἄγγελος für einen Boten aus Bethlehem, welcher Licht bei sich hatte, das den Hirten in die Augen fiel, und den Lobgesang der Heer- schaaren als ein Freudengeschrei mehrerer Begleiter dieses Boten 15). Feiner und pragmatischer hat Paulus die Sa- che ausgesponnen. Maria, welche in einer Hirtenfamilie zu Bethlehem gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte, er- zählte, voll Hoffnung, wie sie war, den Messias zu gebä- 14) Olshausen, a. a. O. S. 133. 15) In seinem Versuch über die Wundergeschichten des N. T.s, vgl. Gabler's neuestes theol. Journal 7, 4, S. 411. Der Verf. der natürlichen Geschichte des Propheten von Nazaret hat auch hier an den Wundern der N. T.lichen Erzählung nicht genug Stoff für seine Lust zu natürlicher Erklärung, sondern er unternimmt es, auch die Fabeln der Apokryphen auf sei- ne Weise zurechtzulegen. 14*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/235
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/235>, abgerufen am 21.11.2024.