ren, auch den Gliedern dieser Familie davon, welche als Bewohner der Davidsstadt nicht unempfänglich dafür sein konnten. Als daher in der Nacht diese Hirten auf dem Felde sind und eine feurige Lufterscheinung erblicken, wie sie nach Berichten von Reisenden in jener Gegend nicht ungewöhnlich sind, so deuten sie diess als eine Gottesbot- schaft, dass die fremde Frau in ihrem Futterstalle wirklich von dem Messias entbunden worden sei, und als die Licht- erscheinung sich ausbreitet und hinundherbewegt, so sehen sie hierin lospreisende Engelschaaren. Heimgekehrt, finden sie ihre Erwartung durch den Erfolg bestätigt, und stellen nun das, was nur sie selbst als Sinn und Bedeutung jener Erscheinung vorausgesetzt hatten, morgenländisch als wirk- liche Worte derselben dar 16).
Bei dieser Erklärung hängt Alles an der Voraussetzung, dass die Hirten schon vorher etwas von den Erwartungen der Maria, den Messias zu gebären, gewusst haben; eben dieses aber ist der vollkommenste Widerspruch gegen den evangelischen Bericht. Denn erstlich, dass ihnen der Stall zugehört habe, setzt dieser offenbar nicht voraus, wenn er, nachdem er die Entbindung der Maria in dem Stalle erzählt hat, zu den Hirten als zu etwas ganz Neuem und Fremdem, das mit jenem Stalle gar nicht zusammenhängt, in den Worten übergeht: kai poimenes esan en te khora te aute, statt deren bei jener Erklärung doch wenigstens oi de poimenes k. t. l. stehen müsste, so wie dann auch das nicht unerwähnt hätte bleiben dürfen, dass die Hirten den Tag über in dem Stalle ab- und zugegangen und erst mit Anbruch der Nacht zum Hüten ausgezogen seien. Doch, auch diese Umstände vorausgesetzt, ist es von Paulus in- consequent, die Maria früher so schweigsam über ihre
16) a. a. O. S. 180 ff. Wie Paulus eine äussere Naturerschei- nung, so nimmt Matthaei, Synopse der vier Evangelien, S. 3., eine innere Engelanschauung an.
Erster Abschnitt.
ren, auch den Gliedern dieser Familie davon, welche als Bewohner der Davidsstadt nicht unempfänglich dafür sein konnten. Als daher in der Nacht diese Hirten auf dem Felde sind und eine feurige Lufterscheinung erblicken, wie sie nach Berichten von Reisenden in jener Gegend nicht ungewöhnlich sind, so deuten sie dieſs als eine Gottesbot- schaft, daſs die fremde Frau in ihrem Futterstalle wirklich von dem Messias entbunden worden sei, und als die Licht- erscheinung sich ausbreitet und hinundherbewegt, so sehen sie hierin lospreisende Engelschaaren. Heimgekehrt, finden sie ihre Erwartung durch den Erfolg bestätigt, und stellen nun das, was nur sie selbst als Sinn und Bedeutung jener Erscheinung vorausgesetzt hatten, morgenländisch als wirk- liche Worte derselben dar 16).
Bei dieser Erklärung hängt Alles an der Voraussetzung, daſs die Hirten schon vorher etwas von den Erwartungen der Maria, den Messias zu gebären, gewuſst haben; eben dieses aber ist der vollkommenste Widerspruch gegen den evangelischen Bericht. Denn erstlich, daſs ihnen der Stall zugehört habe, setzt dieser offenbar nicht voraus, wenn er, nachdem er die Entbindung der Maria in dem Stalle erzählt hat, zu den Hirten als zu etwas ganz Neuem und Fremdem, das mit jenem Stalle gar nicht zusammenhängt, in den Worten übergeht: καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ, statt deren bei jener Erklärung doch wenigstens οἱ δὲ ποιμένες κ. τ. λ. stehen müſste, so wie dann auch das nicht unerwähnt hätte bleiben dürfen, daſs die Hirten den Tag über in dem Stalle ab- und zugegangen und erst mit Anbruch der Nacht zum Hüten ausgezogen seien. Doch, auch diese Umstände vorausgesetzt, ist es von Paulus in- consequent, die Maria früher so schweigsam über ihre
16) a. a. O. S. 180 ff. Wie Paulus eine äussere Naturerschei- nung, so nimmt Matthaei, Synopse der vier Evangelien, S. 3., eine innere Engelanschauung an.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0236"n="212"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
ren, auch den Gliedern dieser Familie davon, welche als<lb/>
Bewohner der Davidsstadt nicht unempfänglich dafür sein<lb/>
konnten. Als daher in der Nacht diese Hirten auf dem<lb/>
Felde sind und eine feurige Lufterscheinung erblicken, wie<lb/>
sie nach Berichten von Reisenden in jener Gegend nicht<lb/>
ungewöhnlich sind, so deuten sie dieſs als eine Gottesbot-<lb/>
schaft, daſs die fremde Frau in ihrem Futterstalle wirklich<lb/>
von dem Messias entbunden worden sei, und als die Licht-<lb/>
erscheinung sich ausbreitet und hinundherbewegt, so sehen<lb/>
sie hierin lospreisende Engelschaaren. Heimgekehrt, finden<lb/>
sie ihre Erwartung durch den Erfolg bestätigt, und stellen<lb/>
nun das, was nur sie selbst als Sinn und Bedeutung jener<lb/>
Erscheinung vorausgesetzt hatten, morgenländisch als wirk-<lb/>
liche Worte derselben dar <noteplace="foot"n="16)">a. a. O. S. 180 ff. Wie <hirendition="#k">Paulus</hi> eine äussere Naturerschei-<lb/>
nung, so nimmt <hirendition="#k">Matthaei</hi>, Synopse der vier Evangelien, S. 3.,<lb/>
eine innere Engelanschauung an.</note>.</p><lb/><p>Bei dieser Erklärung hängt Alles an der Voraussetzung,<lb/>
daſs die Hirten schon vorher etwas von den Erwartungen<lb/>
der Maria, den Messias zu gebären, gewuſst haben; eben<lb/>
dieses aber ist der vollkommenste Widerspruch gegen den<lb/>
evangelischen Bericht. Denn erstlich, daſs ihnen der Stall<lb/>
zugehört habe, setzt dieser offenbar nicht voraus, wenn<lb/>
er, nachdem er die Entbindung der Maria in dem Stalle<lb/>
erzählt hat, zu den Hirten als zu etwas ganz Neuem und<lb/>
Fremdem, das mit jenem Stalle gar nicht zusammenhängt,<lb/>
in den Worten übergeht: <foreignxml:lang="ell">καὶποιμένεςἦσανἐν<hirendition="#g">τῇχώρᾳτῇ<lb/>αὐτῇ</hi></foreign>, statt deren bei jener Erklärung doch wenigstens <foreignxml:lang="ell"><hirendition="#g">οἱ</hi><lb/>δὲποιμένεςκ. τ. λ.</foreign> stehen müſste, so wie dann auch das<lb/>
nicht unerwähnt hätte bleiben dürfen, daſs die Hirten den<lb/>
Tag über in dem Stalle ab- und zugegangen und erst mit<lb/>
Anbruch der Nacht zum Hüten ausgezogen seien. Doch,<lb/>
auch diese Umstände vorausgesetzt, ist es von <hirendition="#k">Paulus</hi> in-<lb/>
consequent, die Maria früher so schweigsam über ihre<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[212/0236]
Erster Abschnitt.
ren, auch den Gliedern dieser Familie davon, welche als
Bewohner der Davidsstadt nicht unempfänglich dafür sein
konnten. Als daher in der Nacht diese Hirten auf dem
Felde sind und eine feurige Lufterscheinung erblicken, wie
sie nach Berichten von Reisenden in jener Gegend nicht
ungewöhnlich sind, so deuten sie dieſs als eine Gottesbot-
schaft, daſs die fremde Frau in ihrem Futterstalle wirklich
von dem Messias entbunden worden sei, und als die Licht-
erscheinung sich ausbreitet und hinundherbewegt, so sehen
sie hierin lospreisende Engelschaaren. Heimgekehrt, finden
sie ihre Erwartung durch den Erfolg bestätigt, und stellen
nun das, was nur sie selbst als Sinn und Bedeutung jener
Erscheinung vorausgesetzt hatten, morgenländisch als wirk-
liche Worte derselben dar 16).
Bei dieser Erklärung hängt Alles an der Voraussetzung,
daſs die Hirten schon vorher etwas von den Erwartungen
der Maria, den Messias zu gebären, gewuſst haben; eben
dieses aber ist der vollkommenste Widerspruch gegen den
evangelischen Bericht. Denn erstlich, daſs ihnen der Stall
zugehört habe, setzt dieser offenbar nicht voraus, wenn
er, nachdem er die Entbindung der Maria in dem Stalle
erzählt hat, zu den Hirten als zu etwas ganz Neuem und
Fremdem, das mit jenem Stalle gar nicht zusammenhängt,
in den Worten übergeht: καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ
αὐτῇ, statt deren bei jener Erklärung doch wenigstens οἱ
δὲ ποιμένες κ. τ. λ. stehen müſste, so wie dann auch das
nicht unerwähnt hätte bleiben dürfen, daſs die Hirten den
Tag über in dem Stalle ab- und zugegangen und erst mit
Anbruch der Nacht zum Hüten ausgezogen seien. Doch,
auch diese Umstände vorausgesetzt, ist es von Paulus in-
consequent, die Maria früher so schweigsam über ihre
16) a. a. O. S. 180 ff. Wie Paulus eine äussere Naturerschei-
nung, so nimmt Matthaei, Synopse der vier Evangelien, S. 3.,
eine innere Engelanschauung an.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/236>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.