§. 31. Versuche natürlicher Erklärungen für die Geschichte von den Magiern. Übergang zur mythischen Auffassung.
Die vielen Anstösse zu vermeiden, welche der supra- naturalistischen Erklärungsweise dieses Abschnitts bei je- dem Schritte hemmend in den Weg treten, verlohnte es sich wohl, eine andere Auslegung zu versuchen, welche, ohne Einmischung von etwas Übernatürlichem, Alles nach physischen und psychologischen Gesetzen zu erklären ver- möchte, wie sie am besten Paulus gegeben hat 1).
Gleich der erste Anstoss, wie heidnische Magier aus dem fernen Orient etwas von einem zu gebärenden jüdi- schen König haben wissen können, wird dadurch wegge- räumt, dass man jene Männer zu auswärtigen Juden macht. Allein, wie es scheint, ganz gegen den Sinn des Evange- listen. Denn indem dieser den Magiern die Frage in den Mund legt: pou esin o tekhtheis basileus ton Ioudaion (V. 2.); so lässt er sie von den Juden sich unterscheiden, und was die Tendenz der ganzen Erzählung betrifft, so scheint die kirchliche Ansicht nicht so ganz Unrecht zu haben, wie Paulus meint, wenn sie diesen Besuch der Magier als das erste Bekanntwerden Christi unter den Heiden betrachtet. -- Ferner ist nun nach dieser natürlichen Erklärung der ei- gentliche Reisezweck jener Männer nicht, den neugebore- nen König zu sehen, und die Veranlassung ihres Zuges nicht der von ihnen beobachtete Stern: sondern sie reisen vielleicht in merkantilischer Absicht nach Jerusalem, und nur weil sie da und dort im Lande von einem neugebore- nen König sprechen hören, fällt ihnen eine, kürzlich be- merkte, himmlische Erscheinung ein, und sie wünschen, gelegentlich das besprochene Kind selbst zu sehen. Da- durch wird freilich das Anstössige der Bedeutsamkeit, wel- che bei der gewöhnlichen Deutung der Erzählung die Astro-
1) a. a. O. S. 200 ff.
Erster Abschnitt.
§. 31. Versuche natürlicher Erklärungen für die Geschichte von den Magiern. Übergang zur mythischen Auffassung.
Die vielen Anstöſse zu vermeiden, welche der supra- naturalistischen Erklärungsweise dieses Abschnitts bei je- dem Schritte hemmend in den Weg treten, verlohnte es sich wohl, eine andere Auslegung zu versuchen, welche, ohne Einmischung von etwas Übernatürlichem, Alles nach physischen und psychologischen Gesetzen zu erklären ver- möchte, wie sie am besten Paulus gegeben hat 1).
Gleich der erste Anstoſs, wie heidnische Magier aus dem fernen Orient etwas von einem zu gebärenden jüdi- schen König haben wissen können, wird dadurch wegge- räumt, daſs man jene Männer zu auswärtigen Juden macht. Allein, wie es scheint, ganz gegen den Sinn des Evange- listen. Denn indem dieser den Magiern die Frage in den Mund legt: ποῦ ἐςιν ὁ τεχϑεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων (V. 2.); so läſst er sie von den Juden sich unterscheiden, und was die Tendenz der ganzen Erzählung betrifft, so scheint die kirchliche Ansicht nicht so ganz Unrecht zu haben, wie Paulus meint, wenn sie diesen Besuch der Magier als das erste Bekanntwerden Christi unter den Heiden betrachtet. — Ferner ist nun nach dieser natürlichen Erklärung der ei- gentliche Reisezweck jener Männer nicht, den neugebore- nen König zu sehen, und die Veranlassung ihres Zuges nicht der von ihnen beobachtete Stern: sondern sie reisen vielleicht in merkantilischer Absicht nach Jerusalem, und nur weil sie da und dort im Lande von einem neugebore- nen König sprechen hören, fällt ihnen eine, kürzlich be- merkte, himmlische Erscheinung ein, und sie wünschen, gelegentlich das besprochene Kind selbst zu sehen. Da- durch wird freilich das Anstöſsige der Bedeutsamkeit, wel- che bei der gewöhnlichen Deutung der Erzählung die Astro-
1) a. a. O. S. 200 ff.
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Erster Abschnitt.
§. 31.
Versuche natürlicher Erklärungen für die Geschichte von den
Magiern. Übergang zur mythischen Auffassung.
Die vielen Anstöſse zu vermeiden, welche der supra-
naturalistischen Erklärungsweise dieses Abschnitts bei je-
dem Schritte hemmend in den Weg treten, verlohnte es
sich wohl, eine andere Auslegung zu versuchen, welche,
ohne Einmischung von etwas Übernatürlichem, Alles nach
physischen und psychologischen Gesetzen zu erklären ver-
möchte, wie sie am besten Paulus gegeben hat 1).
Gleich der erste Anstoſs, wie heidnische Magier aus
dem fernen Orient etwas von einem zu gebärenden jüdi-
schen König haben wissen können, wird dadurch wegge-
räumt, daſs man jene Männer zu auswärtigen Juden macht.
Allein, wie es scheint, ganz gegen den Sinn des Evange-
listen. Denn indem dieser den Magiern die Frage in den
Mund legt: ποῦ ἐςιν ὁ τεχϑεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων (V. 2.);
so läſst er sie von den Juden sich unterscheiden, und was
die Tendenz der ganzen Erzählung betrifft, so scheint die
kirchliche Ansicht nicht so ganz Unrecht zu haben, wie
Paulus meint, wenn sie diesen Besuch der Magier als das
erste Bekanntwerden Christi unter den Heiden betrachtet. —
Ferner ist nun nach dieser natürlichen Erklärung der ei-
gentliche Reisezweck jener Männer nicht, den neugebore-
nen König zu sehen, und die Veranlassung ihres Zuges
nicht der von ihnen beobachtete Stern: sondern sie reisen
vielleicht in merkantilischer Absicht nach Jerusalem, und
nur weil sie da und dort im Lande von einem neugebore-
nen König sprechen hören, fällt ihnen eine, kürzlich be-
merkte, himmlische Erscheinung ein, und sie wünschen,
gelegentlich das besprochene Kind selbst zu sehen. Da-
durch wird freilich das Anstöſsige der Bedeutsamkeit, wel-
che bei der gewöhnlichen Deutung der Erzählung die Astro-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/260>, abgerufen am 21.11.2024.
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