Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 30. Nazaret sei die Weissagung der Propheten erfüllt worden:oti Nazoraios klethesetai Denn will man sich nicht muthlos in das Dunkel flüchten durch die Annahme, dass dieses Orakel, welches sich mit denselben Worten im A. T. nicht findet, aus einem verloren gegangenen kanonischen 31) oder apokryphischen 32) Buche sei: so muss man entwe- der den Evangelisten einer höchst willkührlichen Bezeich- nung zeihen, wenn er nach den Einen die A. T.lichen Vorhersagungen, dass der Messias verachtet sein werde, so ausgedrückt haben soll, er werde ein Nazaretaner, d. h. Bürger eines verachteten Städtchens heissen 33); oder muss man ihn der gröbsten Entstellung des Sinnes und der ge- waltsamsten Umformung der Worte beschuldigen, wenn er das Wort naziyr gemeint haben soll, durch welches, wenn es anders im A. T. von Messias vorkäme, dieser nur ent- weder als Nasiräer 34), was übrigens Jesus nie war, oder als Gekrönter 35), wie Joseph 1. Mos. 49, 26., keines- wegs aber als ein in dem Städtchen Nazaret Aufwachsen- der bezeichnet wäre. Endlich auch bei der wahrschein- lichsten Deutung dieser Stelle, welche die Auctorität der von Hieronymus befragten Judenchristen für sich hat, dass nämlich der Evangelist hier auf Jes. 11, 1. anspiele, wo der Messias netser yishay (surculus Jesse) wie sonst tsemakh, heisse 36), -- bleibt immer die gleiche Gewaltsamkeit, wel- che dem vom Messias gebrauchten appellativum eine ihm ganz fremde Beziehung auf das nomen proprium der Stadt Nazaret giebt. 31) So Chrysostomus u. A. 32) S. Gratz, Comm. zum Ev. Matth. 1, S. 115. 33) Kuinöl, ad Matth. p. 44 f. 34) S. Wetstein z. d. St. 35) Schneckenburger, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 42. 36) Gieseler, in den Studien und Kritiken, 1831, 3. Heft, S. 588 f.
und Fritzsche S. 104. Vgl. Hieron ad Jesai. 11, 1. Viertes Kapitel. §. 30. Nazaret sei die Weissagung der Propheten erfüllt worden:ὅτι Ναζωραῖος κληϑήσεται Denn will man sich nicht muthlos in das Dunkel flüchten durch die Annahme, daſs dieses Orakel, welches sich mit denselben Worten im A. T. nicht findet, aus einem verloren gegangenen kanonischen 31) oder apokryphischen 32) Buche sei: so muſs man entwe- der den Evangelisten einer höchst willkührlichen Bezeich- nung zeihen, wenn er nach den Einen die A. T.lichen Vorhersagungen, daſs der Messias verachtet sein werde, so ausgedrückt haben soll, er werde ein Nazaretaner, d. h. Bürger eines verachteten Städtchens heiſsen 33); oder muſs man ihn der gröbsten Entstellung des Sinnes und der ge- waltsamsten Umformung der Worte beschuldigen, wenn er das Wort נָזִיר gemeint haben soll, durch welches, wenn es anders im A. T. von Messias vorkäme, dieser nur ent- weder als Nasiräer 34), was übrigens Jesus nie war, oder als Gekrönter 35), wie Joseph 1. Mos. 49, 26., keines- wegs aber als ein in dem Städtchen Nazaret Aufwachsen- der bezeichnet wäre. Endlich auch bei der wahrschein- lichsten Deutung dieser Stelle, welche die Auctorität der von Hieronymus befragten Judenchristen für sich hat, daſs nämlich der Evangelist hier auf Jes. 11, 1. anspiele, wo der Messias נֵצֶר יִשַׁי (surculus Jesse) wie sonst צֶמַח, heiſse 36), — bleibt immer die gleiche Gewaltsamkeit, wel- che dem vom Messias gebrauchten appellativum eine ihm ganz fremde Beziehung auf das nomen proprium der Stadt Nazaret giebt. 31) So Chrysostomus u. A. 32) S. Gratz, Comm. zum Ev. Matth. 1, S. 115. 33) Kuinöl, ad Matth. p. 44 f. 34) S. Wetstein z. d. St. 35) Schneckenburger, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 42. 36) Gieseler, in den Studien und Kritiken, 1831, 3. Heft, S. 588 f.
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Viertes Kapitel. §. 30.
Nazaret sei die Weissagung der Propheten erfüllt worden:
ὅτι Ναζωραῖος κληϑήσεται Denn will man sich nicht
muthlos in das Dunkel flüchten durch die Annahme, daſs
dieses Orakel, welches sich mit denselben Worten im A. T.
nicht findet, aus einem verloren gegangenen kanonischen 31)
oder apokryphischen 32) Buche sei: so muſs man entwe-
der den Evangelisten einer höchst willkührlichen Bezeich-
nung zeihen, wenn er nach den Einen die A. T.lichen
Vorhersagungen, daſs der Messias verachtet sein werde,
so ausgedrückt haben soll, er werde ein Nazaretaner, d. h.
Bürger eines verachteten Städtchens heiſsen 33); oder muſs
man ihn der gröbsten Entstellung des Sinnes und der ge-
waltsamsten Umformung der Worte beschuldigen, wenn er
das Wort נָזִיר gemeint haben soll, durch welches, wenn
es anders im A. T. von Messias vorkäme, dieser nur ent-
weder als Nasiräer 34), was übrigens Jesus nie war, oder
als Gekrönter 35), wie Joseph 1. Mos. 49, 26., keines-
wegs aber als ein in dem Städtchen Nazaret Aufwachsen-
der bezeichnet wäre. Endlich auch bei der wahrschein-
lichsten Deutung dieser Stelle, welche die Auctorität der
von Hieronymus befragten Judenchristen für sich hat, daſs
nämlich der Evangelist hier auf Jes. 11, 1. anspiele, wo
der Messias נֵצֶר יִשַׁי (surculus Jesse) wie sonst צֶמַח,
heiſse 36), — bleibt immer die gleiche Gewaltsamkeit, wel-
che dem vom Messias gebrauchten appellativum eine ihm
ganz fremde Beziehung auf das nomen proprium der Stadt
Nazaret giebt.
31) So Chrysostomus u. A.
32) S. Gratz, Comm. zum Ev. Matth. 1, S. 115.
33) Kuinöl, ad Matth. p. 44 f.
34) S. Wetstein z. d. St.
35) Schneckenburger, Beiträge zur Einleitung in das N. T. S. 42.
36) Gieseler, in den Studien und Kritiken, 1831, 3. Heft, S. 588 f.
und Fritzsche S. 104. Vgl. Hieron ad Jesai. 11, 1.
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