ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt: bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver- anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da- zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk- lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben, nur dass Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver- schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge- sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben- umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und diess wird um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen lässt, wie die Sage, auch ohne dass irgend etwas dergleichen wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es als so vorgefallen darzustellen. Diess lässt sich aber kaum bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen, als eben bei dem unsrigen.
§. 32. Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt, rein mythisch.
In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo- her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes- sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro- pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge- henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-
16*
Viertes Kapitel. §. 32.
ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt: bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver- anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da- zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk- lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben, nur daſs Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver- schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge- sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben- umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und dieſs wird um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen läſst, wie die Sage, auch ohne daſs irgend etwas dergleichen wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es als so vorgefallen darzustellen. Dieſs läſst sich aber kaum bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen, als eben bei dem unsrigen.
§. 32. Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt, rein mythisch.
In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo- her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes- sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro- pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge- henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-
16*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0267"n="243"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 32.</fw><lb/>
ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt:<lb/>
bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt<lb/>
es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem<lb/>
hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver-<lb/>
anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da-<lb/>
zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht<lb/>
die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei<lb/>
Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man<lb/>
kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk-<lb/>
lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben,<lb/>
nur daſs Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver-<lb/>
schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge-<lb/>
sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn<lb/>
sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben-<lb/>
umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie<lb/>
auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und dieſs wird<lb/>
um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen läſst,<lb/>
wie die Sage, auch ohne daſs irgend etwas dergleichen<lb/>
wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es<lb/>
als so vorgefallen darzustellen. Dieſs läſst sich aber kaum<lb/>
bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen,<lb/>
als eben bei dem unsrigen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 32.<lb/>
Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt,<lb/>
rein mythisch.</head><lb/><p>In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf<lb/>
den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und<lb/>
ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo-<lb/>
her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes-<lb/>
sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie<lb/>
mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro-<lb/>
pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge-<lb/>
henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">16*</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[243/0267]
Viertes Kapitel. §. 32.
ist in der Erzählung des Matthäus vollständig motivirt:
bei der zulezt ausgeführten Erklärungsweise aber bleibt
es ein wunderlicher Zufall. Das Blutbad zu Bethlehem
hat in der evangelischen Geschichte seine bestimmte Ver-
anlassung: hier aber begreift man nicht, wie Herodes da-
zu gekommen sein soll, es zu veranstalten, und ebenso steht
die Reise Jesu nach Ägypten, so dringend begründet bei
Matthäus, bei dieser Ansicht ganz unerklärlich da. Man
kann zwar sagen: diese Begebenheiten werden in der Wirk-
lichkeit ihre hinreichenden Veranlassungen gehabt haben,
nur daſs Matthäus diesen natürlichen Zusammenhang ver-
schwiegen und einen andern wunderhaften an die Stelle ge-
sezt hat. Allein der Schriftsteller oder die Sage, wenn
sie Begebenheiten mit ganz falschen Motiven und Neben-
umständen zu umgeben im Stande sind: so vermögen sie
auch die Begebenheiten selbst zu erdichten, und dieſs wird
um so wahrscheinlicher, je klarer sich nachweisen läſst,
wie die Sage, auch ohne daſs irgend etwas dergleichen
wirklich vorgefallen war, ein Interesse haben konnte, es
als so vorgefallen darzustellen. Dieſs läſst sich aber kaum
bei einem evangelischen Abschnitt einleuchtender machen,
als eben bei dem unsrigen.
§. 32.
Die Erzählung von den Magiern und was damit zusammenhängt,
rein mythisch.
In naiver Weise haben mehrere Kirchenväter auf
den wahren Schlüssel der Erzählung von den Magiern und
ihrem Sterne hingewiesen, indem sie, um zu erklären, wo-
her jene heidnischen Astrologen von einem Stern des Mes-
sias haben wissen können, die Vermuthung aufstellten, sie
mögen wohl aus den Weissagungen des heidnischen Pro-
pheten Bileam, dessen Orakel von dem aus Jakob aufge-
henden Sterne auch bei Moses sich finde, geschöpft ha-
16*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/267>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.