aufgegangenen Lichte wandeln, später leicht in rabbinischem Geiste eigentlich verstanden werden. Dass der Stern die Magier nicht geradezu nach Bethlehem führt, wo Jesus sich befand, sondern sie erst nach Jerusalem sich wenden, könnte einestheils in der Prophetenstelle seinen Grund ha- ben, welche das aufgehende Licht und die Geschenkebrin- genden auf Jerusalem bezieht; der Hauptgrund ist jedoch, dass zu Jerusalem Herodes zu finden war. Was eignete sich nämlich mehr zur Veranlassung des herodischen Mord- befehls, als die Aufsehen erregende Nachricht der Magier, den Stern des grossen Judenkönigs gesehen zu haben?
Einen Mordbefehl des Herodes gegen Jesum ergehen zu lassen, lag aber im Interesse der urchristlichen Sage. Durch Mordanschläge und Aussetzungen hat von jeher die Sage die Kindheit grosser Männer verherrlicht: je grösser die Gefahr, welche über ihnen schwebte, desto höher scheint ihr Werth zu steigen; je unerwarteter ihre Ret- tung erfolgt, desto deutlicher zeigt sich, wie viel dem Him- mel an ihnen gelegen war. Daher finden wir in den Kind- heitsgeschichten des Cyrus bei Herodot 17), des Romulus bei Livius 18), selbst noch später in der des Augustus bei Sueton 19), diesen Zug, und auch die hebräische Sage hat ihn bei Moses nicht vergessen. Die Erzählung 2. Mos. 1. 2. ist der unsrigen besonders darin genau verwandt, dass der Mordbefehl beidemale nicht blos speciell auf Moses oder Jesus, sondern allgemein auf eine gewisse Klasse von Kin- dern, dort alle männlichen, neugeborenen, hier auf alle
17) 1, 108 ff.
18) 1, 4.
19) August. 94: Ante paucos quam nasceretur menses prodigium Romae factum publice, quo denuntiabatur, regem populi Ro- mani naturam parturire. Senatum exterritum, censuisse, ne quis illo anno genitus educaretur. Eos, qui gravidas uxores haberent, quo ad se quisque spem traheret, curasse, ne Se- natusconsultum ad aerarium deferretur.
Viertes Kapitel. §. 32.
aufgegangenen Lichte wandeln, später leicht in rabbinischem Geiste eigentlich verstanden werden. Daſs der Stern die Magier nicht geradezu nach Bethlehem führt, wo Jesus sich befand, sondern sie erst nach Jerusalem sich wenden, könnte einestheils in der Prophetenstelle seinen Grund ha- ben, welche das aufgehende Licht und die Geschenkebrin- genden auf Jerusalem bezieht; der Hauptgrund ist jedoch, daſs zu Jerusalem Herodes zu finden war. Was eignete sich nämlich mehr zur Veranlassung des herodischen Mord- befehls, als die Aufsehen erregende Nachricht der Magier, den Stern des groſsen Judenkönigs gesehen zu haben?
Einen Mordbefehl des Herodes gegen Jesum ergehen zu lassen, lag aber im Interesse der urchristlichen Sage. Durch Mordanschläge und Aussetzungen hat von jeher die Sage die Kindheit groſser Männer verherrlicht: je gröſser die Gefahr, welche über ihnen schwebte, desto höher scheint ihr Werth zu steigen; je unerwarteter ihre Ret- tung erfolgt, desto deutlicher zeigt sich, wie viel dem Him- mel an ihnen gelegen war. Daher finden wir in den Kind- heitsgeschichten des Cyrus bei Herodot 17), des Romulus bei Livius 18), selbst noch später in der des Augustus bei Sueton 19), diesen Zug, und auch die hebräische Sage hat ihn bei Moses nicht vergessen. Die Erzählung 2. Mos. 1. 2. ist der unsrigen besonders darin genau verwandt, daſs der Mordbefehl beidemale nicht blos speciell auf Moses oder Jesus, sondern allgemein auf eine gewisse Klasse von Kin- dern, dort alle männlichen, neugeborenen, hier auf alle
17) 1, 108 ff.
18) 1, 4.
19) August. 94: Ante paucos quam nasceretur menses prodigium Romae factum publice, quo denuntiabatur, regem populi Ro- mani naturam parturire. Senatum exterritum, censuisse, ne quis illo anno genitus educaretur. Eos, qui gravidas uxores haberent, quo ad se quisque spem traheret, curasse, ne Se- natusconsultum ad aerarium deferretur.
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Viertes Kapitel. §. 32.
aufgegangenen Lichte wandeln, später leicht in rabbinischem
Geiste eigentlich verstanden werden. Daſs der Stern die
Magier nicht geradezu nach Bethlehem führt, wo Jesus
sich befand, sondern sie erst nach Jerusalem sich wenden,
könnte einestheils in der Prophetenstelle seinen Grund ha-
ben, welche das aufgehende Licht und die Geschenkebrin-
genden auf Jerusalem bezieht; der Hauptgrund ist jedoch,
daſs zu Jerusalem Herodes zu finden war. Was eignete
sich nämlich mehr zur Veranlassung des herodischen Mord-
befehls, als die Aufsehen erregende Nachricht der Magier,
den Stern des groſsen Judenkönigs gesehen zu haben?
Einen Mordbefehl des Herodes gegen Jesum ergehen
zu lassen, lag aber im Interesse der urchristlichen Sage.
Durch Mordanschläge und Aussetzungen hat von jeher die
Sage die Kindheit groſser Männer verherrlicht: je gröſser
die Gefahr, welche über ihnen schwebte, desto höher
scheint ihr Werth zu steigen; je unerwarteter ihre Ret-
tung erfolgt, desto deutlicher zeigt sich, wie viel dem Him-
mel an ihnen gelegen war. Daher finden wir in den Kind-
heitsgeschichten des Cyrus bei Herodot 17), des Romulus
bei Livius 18), selbst noch später in der des Augustus bei
Sueton 19), diesen Zug, und auch die hebräische Sage hat
ihn bei Moses nicht vergessen. Die Erzählung 2. Mos. 1. 2.
ist der unsrigen besonders darin genau verwandt, daſs der
Mordbefehl beidemale nicht blos speciell auf Moses oder
Jesus, sondern allgemein auf eine gewisse Klasse von Kin-
dern, dort alle männlichen, neugeborenen, hier auf alle
17) 1, 108 ff.
18) 1, 4.
19) August. 94: Ante paucos quam nasceretur menses prodigium
Romae factum publice, quo denuntiabatur, regem populi Ro-
mani naturam parturire. Senatum exterritum, censuisse, ne
quis illo anno genitus educaretur. Eos, qui gravidas uxores
haberent, quo ad se quisque spem traheret, curasse, ne Se-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/273>, abgerufen am 22.11.2024.
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