Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. Geschichte und Sage finden wir diese Neigung mehrfachbethätigt. So wird von Samuel im A. T. selbst berichtet, dass er schon als Knabe eine göttliche Offenbarung und die Gabe der Weissagung erhalten habe (1. Sam. 3.), und von Moses, über dessen Knabenjahre die A. T.liche Erzählung schweigt, wusste die spätere Tradition, welcher Josephus und Philo folgen, auffallende Proben seiner frühen Ent- wickelung zu erzählen. Wie in dem vorliegenden Bericht Jesus sich über sein Alter verständig zeigt: so soll das- selbe auch bei Moses der Fall gewesen sein 2); wie Jesus von dem eiteln Geräusche der festlich bewegten Stadt sich abwendend, im Tempel bei den Lehrern seine liebste Un- terhaltung findet: so zog auch den Knaben Moses nicht kindisches Spiel, sondern nur ernste Beschäftigung an, und frühzeitig mussten ihm Lehrer bestellt werden, welchen er jedoch, wie der zwölfjährige Jesus, sich bald überlegen zeigte 3). Namentlich aber bildete nach jüdischer Sitte und Denk- 2) Joseph. Antiq. 2, 9, 6: sunesis de ou kata ten elikian ephueto auto, k. t. l. 3) Philo, de vita Mosis, Opp. ed. Mangey, Vol. 2. S. 83 f.: oukh oia komide nepios edeto tothasmois kai gelosi kai paidiais -- all' aido kai semnoteta paraphainon, akous- masi kai theamasin, a ten psukhen emellen ophelesein, proseikhe. didaskaloi d' euthus, allakhothen allos, pare- san -- on en ou makro khrono tas dunameis uperebalen, eumoiria phuseos phthanon tas uphegeseis. 4) Chagiga, bei Wetstein z. d. St.: A XII anno filius censetur
maturus. Ebenso Joma f. 82, 1. Berachoth f. 24, 1; woge- gen Bereschith Rabba 63, ebenfalls bei Wetstein, das drei- zehnte Jahr als jenes Entscheidungsjahr bezeichnet. Erster Abschnitt. Geschichte und Sage finden wir diese Neigung mehrfachbethätigt. So wird von Samuel im A. T. selbst berichtet, daſs er schon als Knabe eine göttliche Offenbarung und die Gabe der Weissagung erhalten habe (1. Sam. 3.), und von Moses, über dessen Knabenjahre die A. T.liche Erzählung schweigt, wuſste die spätere Tradition, welcher Josephus und Philo folgen, auffallende Proben seiner frühen Ent- wickelung zu erzählen. Wie in dem vorliegenden Bericht Jesus sich über sein Alter verständig zeigt: so soll das- selbe auch bei Moses der Fall gewesen sein 2); wie Jesus von dem eiteln Geräusche der festlich bewegten Stadt sich abwendend, im Tempel bei den Lehrern seine liebste Un- terhaltung findet: so zog auch den Knaben Moses nicht kindisches Spiel, sondern nur ernste Beschäftigung an, und frühzeitig muſsten ihm Lehrer bestellt werden, welchen er jedoch, wie der zwölfjährige Jesus, sich bald überlegen zeigte 3). Namentlich aber bildete nach jüdischer Sitte und Denk- 2) Joseph. Antiq. 2, 9, 6: σύνεσις δὲ οὐ κατὰ τὴν ἡλικίαν ἐφύετο αὐτῷ, κ. τ. λ. 3) Philo, de vita Mosis, Opp. ed. Mangey, Vol. 2. S. 83 f.: οὐχ οἷα κομιδῆ νήπιος ἥδετο τωϑασμοῖς καὶ γέλωσι καὶ παιδιαῖς — ἀλλ' αἰδὼ καὶ σεμνότητα παραφαίνων, ἀκούσ- μασι καὶ ϑεάμασιν, ἅ τὴν ψυχὴν ἔμελλεν ὠφελήσειν, προσεῖχε. διδάσκαλοι δ' εὐϑὺς, ἀλλαχόϑεν ἀλλος, παρῆ- σαν — ὧν ἐν οὐ μακρῷ χρόνῳ τὰς δυνάμεις ὑπερέβαλεν, εὐμοιρίᾳ φύσεως φϑάνων τὰς ὑφηγήσεις. 4) Chagiga, bei Wetstein z. d. St.: A XII anno filius censetur
maturus. Ebenso Joma f. 82, 1. Berachoth f. 24, 1; woge- gen Bereschith Rabba 63, ebenfalls bei Wetstein, das drei- zehnte Jahr als jenes Entscheidungsjahr bezeichnet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0314" n="290"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erster Abschnitt</hi>.</fw><lb/> Geschichte und Sage finden wir diese Neigung mehrfach<lb/> bethätigt. So wird von Samuel im A. T. selbst berichtet,<lb/> daſs er schon als Knabe eine göttliche Offenbarung und die<lb/> Gabe der Weissagung erhalten habe (1. Sam. 3.), und von<lb/> Moses, über dessen Knabenjahre die A. T.liche Erzählung<lb/> schweigt, wuſste die spätere Tradition, welcher Josephus<lb/> und Philo folgen, auffallende Proben seiner frühen Ent-<lb/> wickelung zu erzählen. Wie in dem vorliegenden Bericht<lb/> Jesus sich über sein Alter verständig zeigt: so soll das-<lb/> selbe auch bei Moses der Fall gewesen sein <note place="foot" n="2)">Joseph. Antiq. 2, 9, 6: <foreign xml:lang="ell">σύνεσις δὲ οὐ κατὰ τὴν ἡλικίαν<lb/> ἐφύετο αὐτῷ, κ. τ. λ.</foreign></note>; wie Jesus<lb/> von dem eiteln Geräusche der festlich bewegten Stadt sich<lb/> abwendend, im Tempel bei den Lehrern seine liebste Un-<lb/> terhaltung findet: so zog auch den Knaben Moses nicht<lb/> kindisches Spiel, sondern nur ernste Beschäftigung an, und<lb/> frühzeitig muſsten ihm Lehrer bestellt werden, welchen er<lb/> jedoch, wie der zwölfjährige Jesus, sich bald überlegen<lb/> zeigte <note place="foot" n="3)">Philo, de vita Mosis, Opp. ed. Mangey, Vol. 2. S. 83 f.:<lb/><foreign xml:lang="ell">οὐχ οἷα κομιδῆ νήπιος ἥδετο τωϑασμοῖς καὶ γέλωσι καὶ<lb/> παιδιαῖς — ἀλλ' αἰδὼ καὶ σεμνότητα παραφαίνων, ἀκούσ-<lb/> μασι καὶ ϑεάμασιν, ἅ τὴν ψυχὴν ἔμελλεν ὠφελήσειν,<lb/> προσεῖχε. διδάσκαλοι δ' εὐϑὺς, ἀλλαχόϑεν ἀλλος, παρῆ-<lb/> σαν — ὧν ἐν οὐ μακρῷ χρόνῳ τὰς δυνάμεις ὑπερέβαλεν,<lb/> εὐμοιρίᾳ φύσεως φϑάνων τὰς ὑφηγήσεις.</foreign></note>.</p><lb/> <p>Namentlich aber bildete nach jüdischer Sitte und Denk-<lb/> weise das zwölfte Jahr einen solchen Entwicklungspunkt,<lb/> an welchen man gerne besondere Proben des erwachenden<lb/> Genius knüpfte, da von dem genannten Jahr an, wie etwa<lb/> bei uns vom 14ten, der Knabe als den kindischen Verhält-<lb/> nissen entwachsen angesehen wurde <note place="foot" n="4)">Chagiga, bei <hi rendition="#k">Wetstein</hi> z. d. St.: A XII anno filius censetur<lb/> maturus. Ebenso Joma f. 82, 1. Berachoth f. 24, 1; woge-<lb/> gen Bereschith Rabba 63, ebenfalls bei <hi rendition="#k">Wetstein</hi>, das drei-<lb/> zehnte Jahr als jenes Entscheidungsjahr bezeichnet.</note>. Demzufolge wur-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [290/0314]
Erster Abschnitt.
Geschichte und Sage finden wir diese Neigung mehrfach
bethätigt. So wird von Samuel im A. T. selbst berichtet,
daſs er schon als Knabe eine göttliche Offenbarung und die
Gabe der Weissagung erhalten habe (1. Sam. 3.), und von
Moses, über dessen Knabenjahre die A. T.liche Erzählung
schweigt, wuſste die spätere Tradition, welcher Josephus
und Philo folgen, auffallende Proben seiner frühen Ent-
wickelung zu erzählen. Wie in dem vorliegenden Bericht
Jesus sich über sein Alter verständig zeigt: so soll das-
selbe auch bei Moses der Fall gewesen sein 2); wie Jesus
von dem eiteln Geräusche der festlich bewegten Stadt sich
abwendend, im Tempel bei den Lehrern seine liebste Un-
terhaltung findet: so zog auch den Knaben Moses nicht
kindisches Spiel, sondern nur ernste Beschäftigung an, und
frühzeitig muſsten ihm Lehrer bestellt werden, welchen er
jedoch, wie der zwölfjährige Jesus, sich bald überlegen
zeigte 3).
Namentlich aber bildete nach jüdischer Sitte und Denk-
weise das zwölfte Jahr einen solchen Entwicklungspunkt,
an welchen man gerne besondere Proben des erwachenden
Genius knüpfte, da von dem genannten Jahr an, wie etwa
bei uns vom 14ten, der Knabe als den kindischen Verhält-
nissen entwachsen angesehen wurde 4). Demzufolge wur-
2) Joseph. Antiq. 2, 9, 6: σύνεσις δὲ οὐ κατὰ τὴν ἡλικίαν
ἐφύετο αὐτῷ, κ. τ. λ.
3) Philo, de vita Mosis, Opp. ed. Mangey, Vol. 2. S. 83 f.:
οὐχ οἷα κομιδῆ νήπιος ἥδετο τωϑασμοῖς καὶ γέλωσι καὶ
παιδιαῖς — ἀλλ' αἰδὼ καὶ σεμνότητα παραφαίνων, ἀκούσ-
μασι καὶ ϑεάμασιν, ἅ τὴν ψυχὴν ἔμελλεν ὠφελήσειν,
προσεῖχε. διδάσκαλοι δ' εὐϑὺς, ἀλλαχόϑεν ἀλλος, παρῆ-
σαν — ὧν ἐν οὐ μακρῷ χρόνῳ τὰς δυνάμεις ὑπερέβαλεν,
εὐμοιρίᾳ φύσεως φϑάνων τὰς ὑφηγήσεις.
4) Chagiga, bei Wetstein z. d. St.: A XII anno filius censetur
maturus. Ebenso Joma f. 82, 1. Berachoth f. 24, 1; woge-
gen Bereschith Rabba 63, ebenfalls bei Wetstein, das drei-
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