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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
Rabbinen erhalten hatte 2), da die Begrüssung als Rabbi,
wie auch das Recht des Vortrags in der Synagoge (Luc.
4, 16 ff.), worauf man sich ebenfalls beruft, gewiss nicht
blos graduirten Rabbinen, sondern jedem faktisch erprob-
ten Lehrer zukam 3). Gegen die bestimmte und von Jesu
nicht wiedersprochene Aussage seiner Feinde, dass er ein
grammata me memathekos sei (Joh. 7, 15.), und gegen die
Verwunderung der Nazaretaner, solche Weisheit bei ihm
zu finden (Matth. 13, 54 ff.), von welchem ihnen also kein
gelehrtes Studium bekannt gewesen sein muss, kann man
wohl schwerlich das anführen, dass Jesus sich selbst ein-
mal als Muster eines für das Gottesreich ausgebildeten gram-
mateus darstelle (Matth. 13, 52.) 4), da dieses Wort hier
einen Schriftlehrer überhaupt, nicht gerade nur einen schul-
mässig gebildeten bedeutet. Endlich auch die genaue Kennt-
niss der rabbinischen Traditionen und Missbräuche, wie
er sie besonders in der Bergrede, Matth. 5 ff., und in der
antipharisäischen, Matth. 23., an den Tag legt 5), konnte
er durch die zahlreichen Vorträge der Pharisäer an das
Volk, ohne einen gelehrten Cursus bei ihnen zu machen,
sich erwerben. Wenn so die evangelischen Data zusam-
mengenommen das Resultat geben, dass Jesus nicht förm-
lich durch eine rabbinische Schule gegangen sei: so könnte
dagegen andrerseits die Erwägung, dass es im Interesse
der christlichen Sage liegen musste, Jesum als reinen Theo-
didakten darzustellen, zu einem Zweifel an jenen N. T.li-
chen Angaben, und zu der Vermuthung veranlassen, dass
Jesu die gelehrte Bildung seines Volkes nicht fremd gewe-
sen sein möge. Doch kann aus Mangel an urkundlichen
Nachrichten hierüber nicht entschieden werden.

2) Darauf beruft sich Paulus, a. a. O. 275 ff.
3) Vergl. Hase, Leben Jesu. §. 41.
4) Paulus, a. a. O.
5) Darauf beruft sich Schöttgen: Christus rabbinorum summus
in s. horae, 2, S. 890 f.

Erster Abschnitt.
Rabbinen erhalten hatte 2), da die Begrüſsung als Rabbi,
wie auch das Recht des Vortrags in der Synagoge (Luc.
4, 16 ff.), worauf man sich ebenfalls beruft, gewiſs nicht
blos graduirten Rabbinen, sondern jedem faktisch erprob-
ten Lehrer zukam 3). Gegen die bestimmte und von Jesu
nicht wiedersprochene Aussage seiner Feinde, daſs er ein
γράμματα μὴ μεμαϑηκὼς sei (Joh. 7, 15.), und gegen die
Verwunderung der Nazaretaner, solche Weisheit bei ihm
zu finden (Matth. 13, 54 ff.), von welchem ihnen also kein
gelehrtes Studium bekannt gewesen sein muſs, kann man
wohl schwerlich das anführen, daſs Jesus sich selbst ein-
mal als Muster eines für das Gottesreich ausgebildeten γραμ-
ματεὺς darstelle (Matth. 13, 52.) 4), da dieses Wort hier
einen Schriftlehrer überhaupt, nicht gerade nur einen schul-
mäſsig gebildeten bedeutet. Endlich auch die genaue Kennt-
niſs der rabbinischen Traditionen und Miſsbräuche, wie
er sie besonders in der Bergrede, Matth. 5 ff., und in der
antipharisäischen, Matth. 23., an den Tag legt 5), konnte
er durch die zahlreichen Vorträge der Pharisäer an das
Volk, ohne einen gelehrten Cursus bei ihnen zu machen,
sich erwerben. Wenn so die evangelischen Data zusam-
mengenommen das Resultat geben, daſs Jesus nicht förm-
lich durch eine rabbinische Schule gegangen sei: so könnte
dagegen andrerseits die Erwägung, daſs es im Interesse
der christlichen Sage liegen muſste, Jesum als reinen Theo-
didakten darzustellen, zu einem Zweifel an jenen N. T.li-
chen Angaben, und zu der Vermuthung veranlassen, daſs
Jesu die gelehrte Bildung seines Volkes nicht fremd gewe-
sen sein möge. Doch kann aus Mangel an urkundlichen
Nachrichten hierüber nicht entschieden werden.

2) Darauf beruft sich Paulus, a. a. O. 275 ff.
3) Vergl. Hase, Leben Jesu. §. 41.
4) Paulus, a. a. O.
5) Darauf beruft sich Schöttgen: Christus rabbinorum summus
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[300/0324] Erster Abschnitt. Rabbinen erhalten hatte 2), da die Begrüſsung als Rabbi, wie auch das Recht des Vortrags in der Synagoge (Luc. 4, 16 ff.), worauf man sich ebenfalls beruft, gewiſs nicht blos graduirten Rabbinen, sondern jedem faktisch erprob- ten Lehrer zukam 3). Gegen die bestimmte und von Jesu nicht wiedersprochene Aussage seiner Feinde, daſs er ein γράμματα μὴ μεμαϑηκὼς sei (Joh. 7, 15.), und gegen die Verwunderung der Nazaretaner, solche Weisheit bei ihm zu finden (Matth. 13, 54 ff.), von welchem ihnen also kein gelehrtes Studium bekannt gewesen sein muſs, kann man wohl schwerlich das anführen, daſs Jesus sich selbst ein- mal als Muster eines für das Gottesreich ausgebildeten γραμ- ματεὺς darstelle (Matth. 13, 52.) 4), da dieses Wort hier einen Schriftlehrer überhaupt, nicht gerade nur einen schul- mäſsig gebildeten bedeutet. Endlich auch die genaue Kennt- niſs der rabbinischen Traditionen und Miſsbräuche, wie er sie besonders in der Bergrede, Matth. 5 ff., und in der antipharisäischen, Matth. 23., an den Tag legt 5), konnte er durch die zahlreichen Vorträge der Pharisäer an das Volk, ohne einen gelehrten Cursus bei ihnen zu machen, sich erwerben. Wenn so die evangelischen Data zusam- mengenommen das Resultat geben, daſs Jesus nicht förm- lich durch eine rabbinische Schule gegangen sei: so könnte dagegen andrerseits die Erwägung, daſs es im Interesse der christlichen Sage liegen muſste, Jesum als reinen Theo- didakten darzustellen, zu einem Zweifel an jenen N. T.li- chen Angaben, und zu der Vermuthung veranlassen, daſs Jesu die gelehrte Bildung seines Volkes nicht fremd gewe- sen sein möge. Doch kann aus Mangel an urkundlichen Nachrichten hierüber nicht entschieden werden. 2) Darauf beruft sich Paulus, a. a. O. 275 ff. 3) Vergl. Hase, Leben Jesu. §. 41. 4) Paulus, a. a. O. 5) Darauf beruft sich Schöttgen: Christus rabbinorum summus in s. horae, 2, S. 890 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/324>, abgerufen am 24.11.2024.