öffentlich aufzutreten, verbot wenigstens kein ausdrückli- ches Gesetz, und ob von den Priestern und Leviten, wel- chen jenes Jahr als Anfang des ordentlichen Dienstes be- stimmt war (4. Mos. 4, 3. 47., vergl. übrigens 2. Chron. 31, 17., wo das zwanzigste genannt ist), ein Schluss auf die freiere Wirksamkeit eines Propheten gelte, hat man mit Recht in Frage gestellt 13). Diess also würde nicht hin- dern, auch das angegebene Altersverhältniss vorausgesezt, doch den Auftritt des Täufers dem von Jesu um ein Ziem- liches vorangehen zu lassen. Indess schwerlich im Sinne des Evangelisten. Denn dass dieser den Auftritt des Vor- läufers zwar so übersorgfältig bestimmt haben sollte, den des Messias selbst aber unbestimmt gelassen, das wäre doch gar zu ungeschickt 14), und wir können kaum anders, als ihm die Absicht unterlegen, durch seine Angaben für den Auftritt des Täufers auch die Zeit des Auftritts Jesu mit- zubestimmen. Diess trifft aber nur dann zu, wenn er an- nahm, dass sehr bald nach dem Auftritt des Johannes Jesus zu ihm an den Jordan gekommen sei und sofort selbst auch zu lehren angefangen habe 15). Denn dass jene Zeitbestim- mung ursprünglich nur den Anfang eines von Lukas einge- rückten Aufsatzes über den Täufer ausgemacht haben sollte, ist desswegen wenig wahrscheinlich, weil solche chronolo- gische Akribie eher dem parekolouthekoti anothen pasin akribos und demjenigen ähnlich sieht, der auch die Zeit von Jesu Geburt auf entsprechende Weise zu bestimmen gesucht hatte.
Dass nun aber dieser Darstellung zufolge Johannes nur so ganz kurze Zeit vor Jesu sollte aufgetreten sein, ist nicht so leicht sich vorzustellen. Nicht ohne Grund hat man eine
13) s. Paulus, S. 294.
14) s. Schleiermacher, über den Lukas, S. 62.
15) Dieser Ansicht war auch Bengel, Ordo temporum, S. 204 f. ed. 2.
Zweiter Abschnitt.
öffentlich aufzutreten, verbot wenigstens kein ausdrückli- ches Gesetz, und ob von den Priestern und Leviten, wel- chen jenes Jahr als Anfang des ordentlichen Dienstes be- stimmt war (4. Mos. 4, 3. 47., vergl. übrigens 2. Chron. 31, 17., wo das zwanzigste genannt ist), ein Schluſs auf die freiere Wirksamkeit eines Propheten gelte, hat man mit Recht in Frage gestellt 13). Dieſs also würde nicht hin- dern, auch das angegebene Altersverhältniſs vorausgesezt, doch den Auftritt des Täufers dem von Jesu um ein Ziem- liches vorangehen zu lassen. Indeſs schwerlich im Sinne des Evangelisten. Denn daſs dieser den Auftritt des Vor- läufers zwar so übersorgfältig bestimmt haben sollte, den des Messias selbst aber unbestimmt gelassen, das wäre doch gar zu ungeschickt 14), und wir können kaum anders, als ihm die Absicht unterlegen, durch seine Angaben für den Auftritt des Täufers auch die Zeit des Auftritts Jesu mit- zubestimmen. Dieſs trifft aber nur dann zu, wenn er an- nahm, daſs sehr bald nach dem Auftritt des Johannes Jesus zu ihm an den Jordan gekommen sei und sofort selbst auch zu lehren angefangen habe 15). Denn daſs jene Zeitbestim- mung ursprünglich nur den Anfang eines von Lukas einge- rückten Aufsatzes über den Täufer ausgemacht haben sollte, ist deſswegen wenig wahrscheinlich, weil solche chronolo- gische Akribie eher dem παρηκολουϑηκότι ἄνωϑεν πᾶσιν ακριβῶς und demjenigen ähnlich sieht, der auch die Zeit von Jesu Geburt auf entsprechende Weise zu bestimmen gesucht hatte.
Daſs nun aber dieser Darstellung zufolge Johannes nur so ganz kurze Zeit vor Jesu sollte aufgetreten sein, ist nicht so leicht sich vorzustellen. Nicht ohne Grund hat man eine
13) s. Paulus, S. 294.
14) s. Schleiermacher, über den Lukas, S. 62.
15) Dieser Ansicht war auch Bengel, Ordo temporum, S. 204 f. ed. 2.
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Zweiter Abschnitt.
öffentlich aufzutreten, verbot wenigstens kein ausdrückli-
ches Gesetz, und ob von den Priestern und Leviten, wel-
chen jenes Jahr als Anfang des ordentlichen Dienstes be-
stimmt war (4. Mos. 4, 3. 47., vergl. übrigens 2. Chron. 31,
17., wo das zwanzigste genannt ist), ein Schluſs auf die
freiere Wirksamkeit eines Propheten gelte, hat man mit
Recht in Frage gestellt 13). Dieſs also würde nicht hin-
dern, auch das angegebene Altersverhältniſs vorausgesezt,
doch den Auftritt des Täufers dem von Jesu um ein Ziem-
liches vorangehen zu lassen. Indeſs schwerlich im Sinne
des Evangelisten. Denn daſs dieser den Auftritt des Vor-
läufers zwar so übersorgfältig bestimmt haben sollte, den
des Messias selbst aber unbestimmt gelassen, das wäre doch
gar zu ungeschickt 14), und wir können kaum anders, als
ihm die Absicht unterlegen, durch seine Angaben für den
Auftritt des Täufers auch die Zeit des Auftritts Jesu mit-
zubestimmen. Dieſs trifft aber nur dann zu, wenn er an-
nahm, daſs sehr bald nach dem Auftritt des Johannes Jesus
zu ihm an den Jordan gekommen sei und sofort selbst auch
zu lehren angefangen habe 15). Denn daſs jene Zeitbestim-
mung ursprünglich nur den Anfang eines von Lukas einge-
rückten Aufsatzes über den Täufer ausgemacht haben sollte,
ist deſswegen wenig wahrscheinlich, weil solche chronolo-
gische Akribie eher dem παρηκολουϑηκότι ἄνωϑεν πᾶσιν
ακριβῶς und demjenigen ähnlich sieht, der auch die Zeit
von Jesu Geburt auf entsprechende Weise zu bestimmen
gesucht hatte.
Daſs nun aber dieser Darstellung zufolge Johannes nur
so ganz kurze Zeit vor Jesu sollte aufgetreten sein, ist nicht
so leicht sich vorzustellen. Nicht ohne Grund hat man eine
13) s. Paulus, S. 294.
14) s. Schleiermacher, über den Lukas, S. 62.
15) Dieser Ansicht war auch Bengel, Ordo temporum, S. 204 f.
ed. 2.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/338>, abgerufen am 16.07.2024.
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