zubenannt war, den Schluss gezogen, dass es auch damals noch einen Herrscher dieses Namens gehabt habe, während es doch entweder unter Philippus, oder noch wahrschein- licher unter den Römern stand. Es ist also hier, wie oben bei der Angabe von der Schatzung, dem Lukas, gerade wo er recht genau in der Zeitbestimmung sein wollte, ein star- ker chronologischer Missgriff begegnet. Indess, unerachtet er der Zeitdifferenz nach gerechnet beiläufig sechsmal grös- ser ist, als jener: so möchte ich ihn doch für weniger be- deutend halten, da es leichter und verzeihlicher war, über einen kleinen Fürsten am Libanon um 60 Jahre zu feh- len, als in Bezug auf den berühmten Census um zehn.
Die chronologische Angabe unsrer Stelle betrifft zu- nächst nur den Täufer Johannes; wo Lukas später (V. 21 ff.) auf Jesum zu reden kommt, vermisst man eine ähnliche. Von ihm wird blos das ungefähre Alter (osei eton tria- konta) bei seinem Auftritt (arkhomenos) angegeben, der Zeit- punkt aber verschwiegen; so wie umgekehrt für Johannes die Altersangabe fehlt. Ist also gleich Johannes im funf- zehnten Jahr des Tiberius aufgetreten, so können wir, scheint es, daraus doch nichts für die Zeit des Auftritts Jesu abnehmen, da ja nirgends gesagt ist, wie kurz oder lange nachdem Johannes zu taufen angefangen, Jesus zu ihm an den Jordan gekommen sei; ebenso, wenn wir gleich wissen, dass Jesus bei seiner Taufe ungefähr 30 Jahre zählte, so erfahren wir dadurch nicht, wie alt Johannes war, da er seine Wirksamkeit als Täufer begann. Frei- lich, wenn wir uns an Luc. 1, 26. erinnern, wonach Jo- hannes gerade ein halbes Jahr älter als Jesus war, und wenn wir das Datum zu Hülfe nehmen, dass vor dem dreis- sigsten Jahre die jüdische Sitte ein öffentliches Auftreten nicht wohl erlaubt habe: so könnte der Täufer nur ein halbes Jahr vor Jesu Ankunft am Jordan aufgetreten sein, da er nur so lange vor ihm das hiezu nothwendige Alter erreicht hätte. Allein vor dem angegebenen Lebensjahre
Erstes Kapitel. §. 40.
zubenannt war, den Schluſs gezogen, daſs es auch damals noch einen Herrscher dieses Namens gehabt habe, während es doch entweder unter Philippus, oder noch wahrschein- licher unter den Römern stand. Es ist also hier, wie oben bei der Angabe von der Schatzung, dem Lukas, gerade wo er recht genau in der Zeitbestimmung sein wollte, ein star- ker chronologischer Miſsgriff begegnet. Indeſs, unerachtet er der Zeitdifferenz nach gerechnet beiläufig sechsmal grös- ser ist, als jener: so möchte ich ihn doch für weniger be- deutend halten, da es leichter und verzeihlicher war, über einen kleinen Fürsten am Libanon um 60 Jahre zu feh- len, als in Bezug auf den berühmten Census um zehn.
Die chronologische Angabe unsrer Stelle betrifft zu- nächst nur den Täufer Johannes; wo Lukas später (V. 21 ff.) auf Jesum zu reden kommt, vermiſst man eine ähnliche. Von ihm wird blos das ungefähre Alter (ὡσεὶ ἐτῶν τριά- κοντα) bei seinem Auftritt (ἀρχόμενος) angegeben, der Zeit- punkt aber verschwiegen; so wie umgekehrt für Johannes die Altersangabe fehlt. Ist also gleich Johannes im funf- zehnten Jahr des Tiberius aufgetreten, so können wir, scheint es, daraus doch nichts für die Zeit des Auftritts Jesu abnehmen, da ja nirgends gesagt ist, wie kurz oder lange nachdem Johannes zu taufen angefangen, Jesus zu ihm an den Jordan gekommen sei; ebenso, wenn wir gleich wissen, daſs Jesus bei seiner Taufe ungefähr 30 Jahre zählte, so erfahren wir dadurch nicht, wie alt Johannes war, da er seine Wirksamkeit als Täufer begann. Frei- lich, wenn wir uns an Luc. 1, 26. erinnern, wonach Jo- hannes gerade ein halbes Jahr älter als Jesus war, und wenn wir das Datum zu Hülfe nehmen, daſs vor dem dreis- sigsten Jahre die jüdische Sitte ein öffentliches Auftreten nicht wohl erlaubt habe: so könnte der Täufer nur ein halbes Jahr vor Jesu Ankunft am Jordan aufgetreten sein, da er nur so lange vor ihm das hiezu nothwendige Alter erreicht hätte. Allein vor dem angegebenen Lebensjahre
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Erstes Kapitel. §. 40.
zubenannt war, den Schluſs gezogen, daſs es auch damals
noch einen Herrscher dieses Namens gehabt habe, während
es doch entweder unter Philippus, oder noch wahrschein-
licher unter den Römern stand. Es ist also hier, wie oben
bei der Angabe von der Schatzung, dem Lukas, gerade wo
er recht genau in der Zeitbestimmung sein wollte, ein star-
ker chronologischer Miſsgriff begegnet. Indeſs, unerachtet
er der Zeitdifferenz nach gerechnet beiläufig sechsmal grös-
ser ist, als jener: so möchte ich ihn doch für weniger be-
deutend halten, da es leichter und verzeihlicher war, über
einen kleinen Fürsten am Libanon um 60 Jahre zu feh-
len, als in Bezug auf den berühmten Census um zehn.
Die chronologische Angabe unsrer Stelle betrifft zu-
nächst nur den Täufer Johannes; wo Lukas später (V. 21 ff.)
auf Jesum zu reden kommt, vermiſst man eine ähnliche.
Von ihm wird blos das ungefähre Alter (ὡσεὶ ἐτῶν τριά-
κοντα) bei seinem Auftritt (ἀρχόμενος) angegeben, der Zeit-
punkt aber verschwiegen; so wie umgekehrt für Johannes
die Altersangabe fehlt. Ist also gleich Johannes im funf-
zehnten Jahr des Tiberius aufgetreten, so können wir,
scheint es, daraus doch nichts für die Zeit des Auftritts
Jesu abnehmen, da ja nirgends gesagt ist, wie kurz oder
lange nachdem Johannes zu taufen angefangen, Jesus zu
ihm an den Jordan gekommen sei; ebenso, wenn wir gleich
wissen, daſs Jesus bei seiner Taufe ungefähr 30 Jahre
zählte, so erfahren wir dadurch nicht, wie alt Johannes
war, da er seine Wirksamkeit als Täufer begann. Frei-
lich, wenn wir uns an Luc. 1, 26. erinnern, wonach Jo-
hannes gerade ein halbes Jahr älter als Jesus war, und
wenn wir das Datum zu Hülfe nehmen, daſs vor dem dreis-
sigsten Jahre die jüdische Sitte ein öffentliches Auftreten
nicht wohl erlaubt habe: so könnte der Täufer nur ein
halbes Jahr vor Jesu Ankunft am Jordan aufgetreten sein,
da er nur so lange vor ihm das hiezu nothwendige Alter
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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