Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Einleitung. §. 4. giebt eigentlich keine allegorische Erklärung, sondern nureine andere Wendung des buchstäblichen Sinnes, welcher, statt von einem äusseren, von dem innern Factum einer Vi- sion handeln soll. Auch sonst, selbst wo die lockendste Veranlassung war, den buchstäblichen Sinn gegen einen geistigen aufzuopfern, wie z. B. bei der Verfluchung des Feigenbaums 12), geht Origenes nicht frei mit der Spra- che heraus; am meisten noch bei der Geschichte von der Tempelreinigung, wo er das Verfahren Jesu, buchstäblich gefasst, als anmassend und tumultuarisch bezeichnet 13). Dass es demunerachtet sehr Vieles war, an dessen ge- schichtlicher Auffassung Origenes verzweifelte, verräth er indirect durch die anscheinend sonderbare Wahl der Bei- spiele, wo es darauf ankam, zu zeigen, dass er keines- wegs überall die Realität der Historie aufzugeben gemeint sei; indem er hier nichts Besseres anzuführen weiss, als, historisch bleibe doch immer, dass Abraham, Isaak und Jakob in der doppelten Höhle bei Hebron begraben wor- den, dass Joseph Sichem zum Antheil bekommen, dass Jerusalem die Hauptstadt von Judäa sei, in welcher Sa- lomo einen Tempel gebaut habe u. dgl. 14). Gewiss, Ori- genes würde sich nicht auf Anführung solcher statistischen Grunddata beschränkt haben, wenn ihm nicht die speciel- leren historischen Facta mehr oder minder wankend ge- wesen wären; ob er gleich hinzusezt, dass des historisch Wahren in der Schrift immer noch weit mehr sei, als des blos geistig zu Verstehenden 15). Bei dem fast allgemeinen Eingang, welchen die allego- 12) Comm. in Matth. Tom. 16, 26 ff. 13) Comm. in Joan. Tom. 10, 17 14) De princip. 4, 19. 15)
poll[o] gar pleiona esi ta kata ten isorian aletheuo-Ebend. Einleitung. §. 4. giebt eigentlich keine allegorische Erklärung, sondern nureine andere Wendung des buchstäblichen Sinnes, welcher, statt von einem äusseren, von dem innern Factum einer Vi- sion handeln soll. Auch sonst, selbst wo die lockendste Veranlassung war, den buchstäblichen Sinn gegen einen geistigen aufzuopfern, wie z. B. bei der Verfluchung des Feigenbaums 12), geht Origenes nicht frei mit der Spra- che heraus; am meisten noch bei der Geschichte von der Tempelreinigung, wo er das Verfahren Jesu, buchstäblich gefaſst, als anmaſsend und tumultuarisch bezeichnet 13). Daſs es demunerachtet sehr Vieles war, an dessen ge- schichtlicher Auffassung Origenes verzweifelte, verräth er indirect durch die anscheinend sonderbare Wahl der Bei- spiele, wo es darauf ankam, zu zeigen, daſs er keines- wegs überall die Realität der Historie aufzugeben gemeint sei; indem er hier nichts Besseres anzuführen weiſs, als, historisch bleibe doch immer, daſs Abraham, Isaak und Jakob in der doppelten Höhle bei Hebron begraben wor- den, daſs Joseph Sichem zum Antheil bekommen, daſs Jerusalem die Hauptstadt von Judäa sei, in welcher Sa- lomo einen Tempel gebaut habe u. dgl. 14). Gewiſs, Ori- genes würde sich nicht auf Anführung solcher statistischen Grunddata beschränkt haben, wenn ihm nicht die speciel- leren historischen Facta mehr oder minder wankend ge- wesen wären; ob er gleich hinzusezt, daſs des historisch Wahren in der Schrift immer noch weit mehr sei, als des blos geistig zu Verstehenden 15). Bei dem fast allgemeinen Eingang, welchen die allego- 12) Comm. in Matth. Tom. 16, 26 ff. 13) Comm. in Joan. Tom. 10, 17 14) De princip. 4, 19. 15)
πολλ[ῷ] γὰρ πλείονά ἐςι τὰ κατὰ τὴν ἱςορίαν ἀληϑευό-Ebend. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034" n="10"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>. §. 4.</fw><lb/> giebt eigentlich keine allegorische Erklärung, sondern nur<lb/> eine andere Wendung des buchstäblichen Sinnes, welcher,<lb/> statt von einem äusseren, von dem innern Factum einer Vi-<lb/> sion handeln soll. Auch sonst, selbst wo die lockendste<lb/> Veranlassung war, den buchstäblichen Sinn gegen einen<lb/> geistigen aufzuopfern, wie z. B. bei der Verfluchung des<lb/> Feigenbaums <note place="foot" n="12)">Comm. in Matth. Tom. 16, 26 ff.</note>, geht Origenes nicht frei mit der Spra-<lb/> che heraus; am meisten noch bei der Geschichte von der<lb/> Tempelreinigung, wo er das Verfahren Jesu, buchstäblich<lb/> gefaſst, als anmaſsend und tumultuarisch bezeichnet <note place="foot" n="13)">Comm. in Joan. Tom. 10, 17</note>.<lb/> Daſs es demunerachtet sehr Vieles war, an dessen ge-<lb/> schichtlicher Auffassung Origenes verzweifelte, verräth er<lb/> indirect durch die anscheinend sonderbare Wahl der Bei-<lb/> spiele, wo es darauf ankam, zu zeigen, daſs er keines-<lb/> wegs überall die Realität der Historie aufzugeben gemeint<lb/> sei; indem er hier nichts Besseres anzuführen weiſs, als,<lb/> historisch bleibe doch immer, daſs Abraham, Isaak und<lb/> Jakob in der doppelten Höhle bei Hebron begraben wor-<lb/> den, daſs Joseph Sichem zum Antheil bekommen, daſs<lb/> Jerusalem die Hauptstadt von Judäa sei, in welcher Sa-<lb/> lomo einen Tempel gebaut habe u. dgl. <note place="foot" n="14)">De princip. 4, 19.</note>. Gewiſs, Ori-<lb/> genes würde sich nicht auf Anführung solcher statistischen<lb/> Grunddata beschränkt haben, wenn ihm nicht die speciel-<lb/> leren historischen Facta mehr oder minder wankend ge-<lb/> wesen wären; ob er gleich hinzusezt, daſs des historisch<lb/> Wahren in der Schrift immer noch weit mehr sei, als<lb/> des blos geistig zu Verstehenden <note place="foot" n="15)"><quote xml:lang="ell">πολλ<supplied>ῷ</supplied> γὰρ πλείονά ἐςι τὰ κατὰ τὴν ἱςορίαν ἀληϑευό-<lb/> μενα τῶν προσυφανϑέντων γυμνῶν πνευματικῶν.</quote> Ebend.</note>.</p><lb/> <p>Bei dem fast allgemeinen Eingang, welchen die allego-<lb/> rische Auslegung sofort in der Kirche fand, wurde nun<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0034]
Einleitung. §. 4.
giebt eigentlich keine allegorische Erklärung, sondern nur
eine andere Wendung des buchstäblichen Sinnes, welcher,
statt von einem äusseren, von dem innern Factum einer Vi-
sion handeln soll. Auch sonst, selbst wo die lockendste
Veranlassung war, den buchstäblichen Sinn gegen einen
geistigen aufzuopfern, wie z. B. bei der Verfluchung des
Feigenbaums 12), geht Origenes nicht frei mit der Spra-
che heraus; am meisten noch bei der Geschichte von der
Tempelreinigung, wo er das Verfahren Jesu, buchstäblich
gefaſst, als anmaſsend und tumultuarisch bezeichnet 13).
Daſs es demunerachtet sehr Vieles war, an dessen ge-
schichtlicher Auffassung Origenes verzweifelte, verräth er
indirect durch die anscheinend sonderbare Wahl der Bei-
spiele, wo es darauf ankam, zu zeigen, daſs er keines-
wegs überall die Realität der Historie aufzugeben gemeint
sei; indem er hier nichts Besseres anzuführen weiſs, als,
historisch bleibe doch immer, daſs Abraham, Isaak und
Jakob in der doppelten Höhle bei Hebron begraben wor-
den, daſs Joseph Sichem zum Antheil bekommen, daſs
Jerusalem die Hauptstadt von Judäa sei, in welcher Sa-
lomo einen Tempel gebaut habe u. dgl. 14). Gewiſs, Ori-
genes würde sich nicht auf Anführung solcher statistischen
Grunddata beschränkt haben, wenn ihm nicht die speciel-
leren historischen Facta mehr oder minder wankend ge-
wesen wären; ob er gleich hinzusezt, daſs des historisch
Wahren in der Schrift immer noch weit mehr sei, als
des blos geistig zu Verstehenden 15).
Bei dem fast allgemeinen Eingang, welchen die allego-
rische Auslegung sofort in der Kirche fand, wurde nun
12) Comm. in Matth. Tom. 16, 26 ff.
13) Comm. in Joan. Tom. 10, 17
14) De princip. 4, 19.
15) πολλῷ γὰρ πλείονά ἐςι τὰ κατὰ τὴν ἱςορίαν ἀληϑευό-
μενα τῶν προσυφανϑέντων γυμνῶν πνευματικῶν. Ebend.
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