tischen Christen nicht als anerkannt vorausgesetzt werden darf, sondern in eben der Absicht, welche man irrig, bei der angeblich umgekehrten Änderung, dem Matthäus zu- schreibt, nämlich, die Scene effektvoller zu machen. Eine simple Weigerung von Seiten des Täufers schien zu matt; es musste wenigstens ein Fussfall (parapeson) vor dem Messias stattgefunden haben: dieser konnte aber nicht bes- ser motivirt werden, als durch die himmlische Erschei- nung, welche somit vorangestellt werden musste. Auf diese Weise erklärt sich also nicht, wie Matthäus zu seinem Widerspruch gegen Johannes gekommen ist, so wie ohnehin für die Darstellung des Lukas diese Ableitung nicht aus- reicht.
Alles erklärt sich ungezwungen, wenn man nur be- denkt, dass das wichtige Verhältniss zwischen Johannes und Jesus als ein von jeher bestandenes erscheinen musste vermöge der Eigenthümlichkeit populärer Vorstel- lungsweise, das Wesentliche sich als von jeher Gewesenes zu denken. Wie demgemäss die Seele, sobald sie als we- senhaft anerkannt ist, auch klarer oder dunkler als prä- existirende gedacht wird: so hat auch jedes folgenreiche Verhältniss in populärer Denkweise eine solche Präexistenz. So muss nun der Täufer, welcher später in eine so bedeu- tungsvolle Beziehung zu Jesus trat, diesen von jeher ge- kannt haben, wie es in solcher Unbestimmtheit bei Mat- thäus dargestellt ist; oder wie es Lukas genauer zeichnet, schon ihre Mütter kannten sich und noch in Mutterleibe wurden beide zusammengeführt. Diess Alles fehlt bei Jo- hannes, welcher den Täufer vielmehr die entgegengesezte Versicherung geben lässt, aber nur, weil bei ihm ein an- deres Interesse das so eben bezeichnete überwog. Je we- niger nämlich der Täufer Jesum schon vorher gekannt hatte, den er nachher so hoch erhob, desto mehr fiel alles Gewicht auf die wunderbare Scene, welche ihn auf Jesum hinwies, desto mehr erschien sein ganzes Verhältniss zu
Zweiter Abschnitt.
tischen Christen nicht als anerkannt vorausgesetzt werden darf, sondern in eben der Absicht, welche man irrig, bei der angeblich umgekehrten Änderung, dem Matthäus zu- schreibt, nämlich, die Scene effektvoller zu machen. Eine simple Weigerung von Seiten des Täufers schien zu matt; es muſste wenigstens ein Fuſsfall (παραπεσὼν) vor dem Messias stattgefunden haben: dieser konnte aber nicht bes- ser motivirt werden, als durch die himmlische Erschei- nung, welche somit vorangestellt werden muſste. Auf diese Weise erklärt sich also nicht, wie Matthäus zu seinem Widerspruch gegen Johannes gekommen ist, so wie ohnehin für die Darstellung des Lukas diese Ableitung nicht aus- reicht.
Alles erklärt sich ungezwungen, wenn man nur be- denkt, daſs das wichtige Verhältniſs zwischen Johannes und Jesus als ein von jeher bestandenes erscheinen muſste vermöge der Eigenthümlichkeit populärer Vorstel- lungsweise, das Wesentliche sich als von jeher Gewesenes zu denken. Wie demgemäſs die Seele, sobald sie als we- senhaft anerkannt ist, auch klarer oder dunkler als prä- existirende gedacht wird: so hat auch jedes folgenreiche Verhältniſs in populärer Denkweise eine solche Präexistenz. So muſs nun der Täufer, welcher später in eine so bedeu- tungsvolle Beziehung zu Jesus trat, diesen von jeher ge- kannt haben, wie es in solcher Unbestimmtheit bei Mat- thäus dargestellt ist; oder wie es Lukas genauer zeichnet, schon ihre Mütter kannten sich und noch in Mutterleibe wurden beide zusammengeführt. Dieſs Alles fehlt bei Jo- hannes, welcher den Täufer vielmehr die entgegengesezte Versicherung geben läſst, aber nur, weil bei ihm ein an- deres Interesse das so eben bezeichnete überwog. Je we- niger nämlich der Täufer Jesum schon vorher gekannt hatte, den er nachher so hoch erhob, desto mehr fiel alles Gewicht auf die wunderbare Scene, welche ihn auf Jesum hinwies, desto mehr erschien sein ganzes Verhältniſs zu
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Zweiter Abschnitt.
tischen Christen nicht als anerkannt vorausgesetzt werden
darf, sondern in eben der Absicht, welche man irrig, bei
der angeblich umgekehrten Änderung, dem Matthäus zu-
schreibt, nämlich, die Scene effektvoller zu machen. Eine
simple Weigerung von Seiten des Täufers schien zu matt;
es muſste wenigstens ein Fuſsfall (παραπεσὼν) vor dem
Messias stattgefunden haben: dieser konnte aber nicht bes-
ser motivirt werden, als durch die himmlische Erschei-
nung, welche somit vorangestellt werden muſste. Auf diese
Weise erklärt sich also nicht, wie Matthäus zu seinem
Widerspruch gegen Johannes gekommen ist, so wie ohnehin
für die Darstellung des Lukas diese Ableitung nicht aus-
reicht.
Alles erklärt sich ungezwungen, wenn man nur be-
denkt, daſs das wichtige Verhältniſs zwischen Johannes
und Jesus als ein von jeher bestandenes erscheinen
muſste vermöge der Eigenthümlichkeit populärer Vorstel-
lungsweise, das Wesentliche sich als von jeher Gewesenes
zu denken. Wie demgemäſs die Seele, sobald sie als we-
senhaft anerkannt ist, auch klarer oder dunkler als prä-
existirende gedacht wird: so hat auch jedes folgenreiche
Verhältniſs in populärer Denkweise eine solche Präexistenz.
So muſs nun der Täufer, welcher später in eine so bedeu-
tungsvolle Beziehung zu Jesus trat, diesen von jeher ge-
kannt haben, wie es in solcher Unbestimmtheit bei Mat-
thäus dargestellt ist; oder wie es Lukas genauer zeichnet,
schon ihre Mütter kannten sich und noch in Mutterleibe
wurden beide zusammengeführt. Dieſs Alles fehlt bei Jo-
hannes, welcher den Täufer vielmehr die entgegengesezte
Versicherung geben läſst, aber nur, weil bei ihm ein an-
deres Interesse das so eben bezeichnete überwog. Je we-
niger nämlich der Täufer Jesum schon vorher gekannt
hatte, den er nachher so hoch erhob, desto mehr fiel alles
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/354>, abgerufen am 24.11.2024.
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