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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
und kann man ihm doch auch nicht nach der früheren Ent-
schiedenheit jezt auf Einmal Zweifel an der Messianität
Jesu zuschreiben: so bleibt nichts übrig, als, statt dieser
negativen die positive Seite an seiner Frage hervorzukeh-
ren, und das Skeptische an ihr als blosse Einkleidung des
Protreptischen aufzufassen 8). Dem Täufer wurde, nach
dieser Erklärung, in seinem Gefängniss die Zeit zu lang,
welche Jesus vergehen liess, ohne öffentlich als Messias
aufzutreten, daher lässt er ihn fragen, wie lange er noch
auf sich warten lassen, wie lange noch zaudern wolle,
durch die Erklärung, dass er der Messias sei, das Volk
für sich zu gewinnen, und dann einen Hauptschlag gegen
die Feinde seiner Sache zu führen, der auch ihn, den Jo-
hannes, aus seiner Haft befreien könnte? Allein, schon
formell, wenn Johannes an der Messianität Jesu nicht
zweifelte, so konnte er auch daran nicht zweifeln, dass
Jesus am besten die rechte Zeit und Art des messianischen
Auftritts wissen werde; der blosse Vorläufer, der sich frü-
her zum Diener des Messias zu gering gehalten hatte,
konnte ohne Änderung seiner Gesinnung sich jetzt nicht
zum Rathgeber desselben aufwerfen wollen. Dann aber
auch materiell konnte der Täufer an dem, was man das
Zaudern Jesu mit dem Auftritt als Messias nennt, keinen
Anstoss nehmen, oder ihn zu rascherem Handeln auffor-
dern wollen, wenn er noch seine frühere Ansicht von Jesu
Bestimmung hatte. Denn wenn er ihn noch wie ehmals
(Joh. 1, 29.) als u amnos tou theou, o airon ten amartian tou
kosmou, mithin als leidenden Messias auffasste, so konnte ihm
kein Gedanke an einen von Jesu gegen seine Feinde zu füh-
renden Schlag, überhaupt an ein gewaltsames, auf äussern

8) So die meisten jetzigen Erklärer: Paulus und Kuinöl, z. d. St.
Hase, Leben Jesu, §. 79. Selbst Fritzsche, Comm. in Matth.
S. 397. findet diess aliquanto verosimilius und bleibt dabei
stehen.

Zweiter Abschnitt.
und kann man ihm doch auch nicht nach der früheren Ent-
schiedenheit jezt auf Einmal Zweifel an der Messianität
Jesu zuschreiben: so bleibt nichts übrig, als, statt dieser
negativen die positive Seite an seiner Frage hervorzukeh-
ren, und das Skeptische an ihr als bloſse Einkleidung des
Protreptischen aufzufassen 8). Dem Täufer wurde, nach
dieser Erklärung, in seinem Gefängniſs die Zeit zu lang,
welche Jesus vergehen lieſs, ohne öffentlich als Messias
aufzutreten, daher läſst er ihn fragen, wie lange er noch
auf sich warten lassen, wie lange noch zaudern wolle,
durch die Erklärung, daſs er der Messias sei, das Volk
für sich zu gewinnen, und dann einen Hauptschlag gegen
die Feinde seiner Sache zu führen, der auch ihn, den Jo-
hannes, aus seiner Haft befreien könnte? Allein, schon
formell, wenn Johannes an der Messianität Jesu nicht
zweifelte, so konnte er auch daran nicht zweifeln, daſs
Jesus am besten die rechte Zeit und Art des messianischen
Auftritts wissen werde; der bloſse Vorläufer, der sich frü-
her zum Diener des Messias zu gering gehalten hatte,
konnte ohne Änderung seiner Gesinnung sich jetzt nicht
zum Rathgeber desselben aufwerfen wollen. Dann aber
auch materiell konnte der Täufer an dem, was man das
Zaudern Jesu mit dem Auftritt als Messias nennt, keinen
Anstoſs nehmen, oder ihn zu rascherem Handeln auffor-
dern wollen, wenn er noch seine frühere Ansicht von Jesu
Bestimmung hatte. Denn wenn er ihn noch wie ehmals
(Joh. 1, 29.) als ὑ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ
κόσμου, mithin als leidenden Messias auffaſste, so konnte ihm
kein Gedanke an einen von Jesu gegen seine Feinde zu füh-
renden Schlag, überhaupt an ein gewaltsames, auf äussern

8) So die meisten jetzigen Erklärer: Paulus und Kuinöl, z. d. St.
Hase, Leben Jesu, §. 79. Selbst Fritzsche, Comm. in Matth.
S. 397. findet diess aliquanto verosimilius und bleibt dabei
stehen.
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[334/0358] Zweiter Abschnitt. und kann man ihm doch auch nicht nach der früheren Ent- schiedenheit jezt auf Einmal Zweifel an der Messianität Jesu zuschreiben: so bleibt nichts übrig, als, statt dieser negativen die positive Seite an seiner Frage hervorzukeh- ren, und das Skeptische an ihr als bloſse Einkleidung des Protreptischen aufzufassen 8). Dem Täufer wurde, nach dieser Erklärung, in seinem Gefängniſs die Zeit zu lang, welche Jesus vergehen lieſs, ohne öffentlich als Messias aufzutreten, daher läſst er ihn fragen, wie lange er noch auf sich warten lassen, wie lange noch zaudern wolle, durch die Erklärung, daſs er der Messias sei, das Volk für sich zu gewinnen, und dann einen Hauptschlag gegen die Feinde seiner Sache zu führen, der auch ihn, den Jo- hannes, aus seiner Haft befreien könnte? Allein, schon formell, wenn Johannes an der Messianität Jesu nicht zweifelte, so konnte er auch daran nicht zweifeln, daſs Jesus am besten die rechte Zeit und Art des messianischen Auftritts wissen werde; der bloſse Vorläufer, der sich frü- her zum Diener des Messias zu gering gehalten hatte, konnte ohne Änderung seiner Gesinnung sich jetzt nicht zum Rathgeber desselben aufwerfen wollen. Dann aber auch materiell konnte der Täufer an dem, was man das Zaudern Jesu mit dem Auftritt als Messias nennt, keinen Anstoſs nehmen, oder ihn zu rascherem Handeln auffor- dern wollen, wenn er noch seine frühere Ansicht von Jesu Bestimmung hatte. Denn wenn er ihn noch wie ehmals (Joh. 1, 29.) als ὑ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου, mithin als leidenden Messias auffaſste, so konnte ihm kein Gedanke an einen von Jesu gegen seine Feinde zu füh- renden Schlag, überhaupt an ein gewaltsames, auf äussern 8) So die meisten jetzigen Erklärer: Paulus und Kuinöl, z. d. St. Hase, Leben Jesu, §. 79. Selbst Fritzsche, Comm. in Matth. S. 397. findet diess aliquanto verosimilius und bleibt dabei stehen.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/358>, abgerufen am 25.11.2024.