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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 42.
was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da-
hingestellt sein liessen, dass auch die in diesen ausgespro-
chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias
nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.

Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre
nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig
ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der-
gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie
auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch
um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver-
stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson-
ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu-
fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu.
That er diess so begeistert, so öffentlich und so wiederholt,
wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich
von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der basileia ton ouranon
ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo-
gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu-
fer, wenn er Jesum den uios tou theou, welcher vor ihm ge-
wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes-
sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als o amnos tou
theou, o airon ten amartian tou kosmou bezeichnet, hatte
selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für
sein Bekenntniss Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes-
reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf
welchen es gegründet werden sollte. Indess, das Unbe-
greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner
Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ina phane-
rothe (Jesus als Messias) to Israel (1, 31.) und erkennt
es als göttliche Ordnung, dass dem zunehmenden Jesus ge-
genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während
bereits Jesus durch seine Jünger taufen lässt, sezt auch er
seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er
doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner
Taufe erfüllt wusste, und nun seine Anhänger auf Jesum

Erstes Kapitel. §. 42.
was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da-
hingestellt sein lieſsen, daſs auch die in diesen ausgespro-
chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias
nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.

Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre
nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig
ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der-
gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie
auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch
um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver-
stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson-
ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu-
fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu.
That er dieſs so begeistert, so öffentlich und so wiederholt,
wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich
von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der βασιλεία τῶν οὐρανῶν
ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo-
gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu-
fer, wenn er Jesum den υἱὸς τοῦ ϑεοῦ, welcher vor ihm ge-
wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes-
sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als ὁ ἀμνὸς τοῦ
ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου bezeichnet, hatte
selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für
sein Bekenntniſs Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes-
reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf
welchen es gegründet werden sollte. Indeſs, das Unbe-
greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner
Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ϊνα φανε-
ρωϑῇ (Jesus als Messias) τῷ Ἰσραὴλ (1, 31.) und erkennt
es als göttliche Ordnung, daſs dem zunehmenden Jesus ge-
genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während
bereits Jesus durch seine Jünger taufen läſst, sezt auch er
seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er
doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner
Taufe erfüllt wuſste, und nun seine Anhänger auf Jesum

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[345/0369] Erstes Kapitel. §. 42. was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da- hingestellt sein lieſsen, daſs auch die in diesen ausgespro- chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören. Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der- gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver- stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson- ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu- fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu. That er dieſs so begeistert, so öffentlich und so wiederholt, wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der βασιλεία τῶν οὐρανῶν ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo- gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu- fer, wenn er Jesum den υἱὸς τοῦ ϑεοῦ, welcher vor ihm ge- wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes- sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als ὁ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου bezeichnet, hatte selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für sein Bekenntniſs Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes- reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf welchen es gegründet werden sollte. Indeſs, das Unbe- greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ϊνα φανε- ρωϑῇ (Jesus als Messias) τῷ Ἰσραὴλ (1, 31.) und erkennt es als göttliche Ordnung, daſs dem zunehmenden Jesus ge- genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während bereits Jesus durch seine Jünger taufen läſst, sezt auch er seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner Taufe erfüllt wuſste, und nun seine Anhänger auf Jesum

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/369>, abgerufen am 25.11.2024.