was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da- hingestellt sein liessen, dass auch die in diesen ausgespro- chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.
Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der- gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver- stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson- ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu- fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu. That er diess so begeistert, so öffentlich und so wiederholt, wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der basileia ton ouranon ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo- gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu- fer, wenn er Jesum den uios tou theou, welcher vor ihm ge- wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes- sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als o amnos tou theou, o airon ten amartian tou kosmou bezeichnet, hatte selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für sein Bekenntniss Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes- reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf welchen es gegründet werden sollte. Indess, das Unbe- greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ina phane- rothe (Jesus als Messias) to Israel (1, 31.) und erkennt es als göttliche Ordnung, dass dem zunehmenden Jesus ge- genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während bereits Jesus durch seine Jünger taufen lässt, sezt auch er seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner Taufe erfüllt wusste, und nun seine Anhänger auf Jesum
Erstes Kapitel. §. 42.
was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da- hingestellt sein lieſsen, daſs auch die in diesen ausgespro- chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.
Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der- gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver- stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson- ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu- fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu. That er dieſs so begeistert, so öffentlich und so wiederholt, wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der βασιλεία τῶν οὐρανῶν ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo- gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu- fer, wenn er Jesum den υἱὸς τοῦ ϑεοῦ, welcher vor ihm ge- wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes- sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als ὁ ἀμνὸς τοῦ ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου bezeichnet, hatte selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für sein Bekenntniſs Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes- reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf welchen es gegründet werden sollte. Indeſs, das Unbe- greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ϊνα φανε- ρωϑῇ (Jesus als Messias) τῷ Ἰσραὴλ (1, 31.) und erkennt es als göttliche Ordnung, daſs dem zunehmenden Jesus ge- genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während bereits Jesus durch seine Jünger taufen läſst, sezt auch er seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner Taufe erfüllt wuſste, und nun seine Anhänger auf Jesum
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0369"n="345"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 42.</fw><lb/>
was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da-<lb/>
hingestellt sein lieſsen, daſs auch die in diesen ausgespro-<lb/>
chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias<lb/>
nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.</p><lb/><p>Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre<lb/>
nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig<lb/>
ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der-<lb/>
gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie<lb/>
auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch<lb/>
um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver-<lb/>
stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson-<lb/>
ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu-<lb/>
fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu.<lb/>
That er dieſs so begeistert, so öffentlich und so wiederholt,<lb/>
wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich<lb/>
von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der <foreignxml:lang="ell">βασιλείατῶνοὐρανῶν</foreign><lb/>
ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo-<lb/>
gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu-<lb/>
fer, wenn er Jesum den <foreignxml:lang="ell">υἱὸςτοῦϑεοῦ</foreign>, welcher vor ihm ge-<lb/>
wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes-<lb/>
sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als <foreignxml:lang="ell">ὁἀμνὸςτοῦ<lb/>ϑεοῦ, ὁαϊρωντὴνἁμαρτίαντοῦκόσμου</foreign> bezeichnet, hatte<lb/>
selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für<lb/>
sein Bekenntniſs Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes-<lb/>
reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf<lb/>
welchen es gegründet werden sollte. Indeſs, das Unbe-<lb/>
greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner<lb/>
Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, <foreignxml:lang="ell">ϊναφανε-<lb/>ρωϑῇ</foreign> (Jesus als Messias) <foreignxml:lang="ell">τῷἸσραὴλ</foreign> (1, 31.) und erkennt<lb/>
es als göttliche Ordnung, daſs dem zunehmenden Jesus ge-<lb/>
genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während<lb/>
bereits Jesus durch seine Jünger taufen läſst, sezt auch er<lb/>
seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er<lb/>
doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner<lb/>
Taufe erfüllt wuſste, und nun seine Anhänger auf Jesum<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[345/0369]
Erstes Kapitel. §. 42.
was wir, so wahrscheinlich es war, doch bisher noch da-
hingestellt sein lieſsen, daſs auch die in diesen ausgespro-
chenen Ideen von einem leidenden und präexistenten Messias
nicht dem Täufer, sondern nur dem Evangelisten angehören.
Durch die bisherige Beantwortung der ersten wäre
nun eigentlich die andere Frage, welche uns noch übrig
ist, bereits mitbeantwortet; denn wenn der Täufer der-
gleichen Messiasbegriffe gar nicht hatte, so kann er sie
auch nicht auf die Person Jesu übergetragen haben. Doch
um die Evidenz des bereits gewonnenen Resultats zu ver-
stärken, nehmen wir auch diese Untersuchung noch beson-
ders auf. Nach dem vierten Evangelium schreibt der Täu-
fer alle zuletzt erörterte messianische Attribute Jesu zu.
That er dieſs so begeistert, so öffentlich und so wiederholt,
wie wir es bei Johannes lesen: so konnte er unmöglich
von Jesu (Matth. 11, 11.) aus der βασιλεία τῶν οὐρανῶν
ausgeschlossen und der Kleinste in derselben ihm vorgezo-
gen werden. Denn solche Bekenntnisse, wie dieser Täu-
fer, wenn er Jesum den υἱὸς τοῦ ϑεοῦ, welcher vor ihm ge-
wesen sei, nennt, solche geläuterte Einsichten in die mes-
sianische Ökonomie, wie wenn er Jesum als ὁ ἀμνὸς τοῦ
ϑεοῦ, ὁ αϊρων τὴν ἁμαρτίαν τοῦ κόσμου bezeichnet, hatte
selbst Petrus nicht aufzuweisen, welchen Jesus doch für
sein Bekenntniſs Matth. 16, 16. nicht nur in das Gottes-
reich aufnimmt, sondern selbst zum Felsen macht, auf
welchen es gegründet werden sollte. Indeſs, das Unbe-
greifliche liegt noch weiter zurück. Als Zweck seiner
Taufe giebt Johannes im vierten Evangelium an, ϊνα φανε-
ρωϑῇ (Jesus als Messias) τῷ Ἰσραὴλ (1, 31.) und erkennt
es als göttliche Ordnung, daſs dem zunehmenden Jesus ge-
genüber er abnehmen müsse (3, 30.): dennoch, während
bereits Jesus durch seine Jünger taufen läſst, sezt auch er
seine Taufe fort (3, 23.). Warum nun aber, wenn er
doch mit der Introduktion Jesu die Bestimmung seiner
Taufe erfüllt wuſste, und nun seine Anhänger auf Jesum
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/369>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.