Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweites Kapitel. §. 45. sungen verschwunden, welche Jesum so frühe auf den Ge-danken, er möchte der Messias sein, bringen mussten, und es wird die Stellung, welche er durch die Annahme der johanneischen Taufe sich zur messianischen Idee gab, aus einem gezierten Nichtwissenwollen, dass er der Mes- sias sei, zum wirklichen Nichtwissen dieser Bestimmung. -- Zu bescheiden, meinen jene Erklärer weiter, um sich ei- genmächtig für den Messias zu erklären, habe Jesus Alles, was die strengste Selbstbeurtheilung erforderte, erfüllen (plerosai pasan dikaiosunen) und den entscheidenden Ver- such machen wollen, ob es die Gottheit dulden würde, dass auch er wie jeder Andere auf den kommenden Mes- sias sich einweihen lasse, oder ob sie einen Wink geben würde, dass er selbst der erkhomenos sei? Allein auf diese Weise etwas thun, was man selbst als unangemessen er- kennt, nur um zu versuchen, ob nicht Gött das Un- passende corrigiren werde, ein solches Herausfordern eines göttlichen Zeichens ist doch nichts Andres, als ein ekpeirazein ton Kurion, was Jesus bald nach der Taufe so entschieden von sich gewiesen haben soll (Matth. 4, 7.). Das also wird man anerkennen müssen: sofern die Taufe des Johannes eine Taufe eis ton erkhomenon war, kann Jesus, wenn er sich derselben ohne Heuchelei und Vermessenheit unterworfen haben soll, noch nicht sich selbst für diesen erkhomenos gehalten haben, und wenn er das ou`'to prepon esi k. t. l. wirklich gesprochen hätte, wozu aber ohne die mit dessen früherer Überzeugung von seiner Messianität wegfallende Weigerung des Täufers keine Veranlassung war, so konnte er es, wenn es auch der Referent vom Standpunkt des späteren Erfolgs aus anders versteht, nur so gemeint haben, es zieme ihm, wie jedem frommen Is- raeliten, durch die Taufe sich dem zu erwartenden Mes- sias im Voraus anzuschliessen. Doch die bisher besprochene Beziehung ist nur die 24*
Zweites Kapitel. §. 45. sungen verschwunden, welche Jesum so frühe auf den Ge-danken, er möchte der Messias sein, bringen muſsten, und es wird die Stellung, welche er durch die Annahme der johanneischen Taufe sich zur messianischen Idee gab, aus einem gezierten Nichtwissenwollen, daſs er der Mes- sias sei, zum wirklichen Nichtwissen dieser Bestimmung. — Zu bescheiden, meinen jene Erklärer weiter, um sich ei- genmächtig für den Messias zu erklären, habe Jesus Alles, was die strengste Selbstbeurtheilung erforderte, erfüllen (πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην) und den entscheidenden Ver- such machen wollen, ob es die Gottheit dulden würde, daſs auch er wie jeder Andere auf den kommenden Mes- sias sich einweihen lasse, oder ob sie einen Wink geben würde, daſs er selbst der ἐρχόμενος sei? Allein auf diese Weise etwas thun, was man selbst als unangemessen er- kennt, nur um zu versuchen, ob nicht Gött das Un- passende corrigiren werde, ein solches Herausfordern eines göttlichen Zeichens ist doch nichts Andres, als ein ἐκπειράζειν τὸν Κύριον, was Jesus bald nach der Taufe so entschieden von sich gewiesen haben soll (Matth. 4, 7.). Das also wird man anerkennen müssen: sofern die Taufe des Johannes eine Taufe εἰς τὸν ἐρχόμενον war, kann Jesus, wenn er sich derselben ohne Heuchelei und Vermessenheit unterworfen haben soll, noch nicht sich selbst für diesen ἐρχόμενος gehalten haben, und wenn er das ου῞τω πρέπον ἐςὶ κ. τ. λ. wirklich gesprochen hätte, wozu aber ohne die mit dessen früherer Überzeugung von seiner Messianität wegfallende Weigerung des Täufers keine Veranlassung war, so konnte er es, wenn es auch der Referent vom Standpunkt des späteren Erfolgs aus anders versteht, nur so gemeint haben, es zieme ihm, wie jedem frommen Is- raëliten, durch die Taufe sich dem zu erwartenden Mes- sias im Voraus anzuschlieſsen. Doch die bisher besprochene Beziehung ist nur die 24*
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Zweites Kapitel. §. 45.
sungen verschwunden, welche Jesum so frühe auf den Ge-
danken, er möchte der Messias sein, bringen muſsten, und
es wird die Stellung, welche er durch die Annahme der
johanneischen Taufe sich zur messianischen Idee gab,
aus einem gezierten Nichtwissenwollen, daſs er der Mes-
sias sei, zum wirklichen Nichtwissen dieser Bestimmung. —
Zu bescheiden, meinen jene Erklärer weiter, um sich ei-
genmächtig für den Messias zu erklären, habe Jesus Alles,
was die strengste Selbstbeurtheilung erforderte, erfüllen
(πληρῶσαι πᾶσαν δικαιοσύνην) und den entscheidenden Ver-
such machen wollen, ob es die Gottheit dulden würde,
daſs auch er wie jeder Andere auf den kommenden Mes-
sias sich einweihen lasse, oder ob sie einen Wink geben
würde, daſs er selbst der ἐρχόμενος sei? Allein auf diese
Weise etwas thun, was man selbst als unangemessen er-
kennt, nur um zu versuchen, ob nicht Gött das Un-
passende corrigiren werde, ein solches Herausfordern
eines göttlichen Zeichens ist doch nichts Andres, als ein
ἐκπειράζειν τὸν Κύριον, was Jesus bald nach der Taufe so
entschieden von sich gewiesen haben soll (Matth. 4, 7.). Das
also wird man anerkennen müssen: sofern die Taufe des
Johannes eine Taufe εἰς τὸν ἐρχόμενον war, kann Jesus,
wenn er sich derselben ohne Heuchelei und Vermessenheit
unterworfen haben soll, noch nicht sich selbst für diesen
ἐρχόμενος gehalten haben, und wenn er das ου῞τω πρέπον ἐςὶ
κ. τ. λ. wirklich gesprochen hätte, wozu aber ohne die
mit dessen früherer Überzeugung von seiner Messianität
wegfallende Weigerung des Täufers keine Veranlassung
war, so konnte er es, wenn es auch der Referent vom
Standpunkt des späteren Erfolgs aus anders versteht, nur
so gemeint haben, es zieme ihm, wie jedem frommen Is-
raëliten, durch die Taufe sich dem zu erwartenden Mes-
sias im Voraus anzuschlieſsen.
Doch die bisher besprochene Beziehung ist nur die
eine Seite der johanneischen Taufe; die andere, historisch
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