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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
noch sicherer verbürgte ist, dass sie ein baptisma metanoias
war. Die Israeliten, heisst es Matth. 3, 6, haben sich von
Johannes taufen lassen exomologoumenoi tas amartias auton:
soll nun Jesus gleichfalls ein solches Bekenntniss abgelegt
haben? es ergieng an sie der Ruf: metanoe[i]te (Matth. 3, 2.):
soll auch Jesus sich diess haben gesagt sein lassen? Schon
in der alten Kirche war diess Bedenken; im Hebräer-Evan-
gelium der Nazarener richtete Jesus an seine Mutter und
Brüder, welche ihn aufforderten, sich von Johannes tau-
fen zu lassen, die Frage, was er denn gesündigt habe,
dass er diese Taufe nöthig hätte 4)? und ein ketzerisches
Apokryphum soll Jesum bei seiner Taufe geradezu ein Be-
kenntniss eigener Sünde haben ablegen lassen 5).

Fasst man zusammen, was neuere Theologen, um
diesem Anstoss auszuweichen, angedeutet haben 6), so ist

4) Hieron. adv. Pelagian. 3, 2: In Evangelio juxta Hebraeos --
-- narrat historia: Ecce mater Domini et fratres ejus dice-
bant ei: Joannes baptista baptizat in remissionem peccato-
rum; eamus et baptizemur ab eo. Dixit autem eis: quid
peccavi ut vadam et baptizer ab eo? nisi forte hoc ipsum
quod dixi, ignorantia est.
5) Der Verfasser des tractatus de non iterando baptismo in Cy-
prians Werken ed. Rigalt. p. 139. sagt (die Stelle steht auch
in Fabric. Cod. apocr. N. T. 1, S. 799 f.): Est -- liber, qui
inscribitur Pauli praedicatio. In quo libro, contra omnes
scripturas et de peccato proprio confitentem invenies Chri-
stum, qui solus omnino nihil deliquit, et ad accipiendum
Joannis baptisma paene invitum a matre sua Maria esse com-
pulsum.
-- Da dieses Sträuben gegen die Taufe nicht zum
Bekenntniss eigner Sünde, sondern eigentlich nur zu dem
Bewusstsein der Sündlosigkeit passt, wie es Jesus im Naza-
renerevangelium ausspricht: so mag die Darstellung der Prae-
dicatio Pauli der des genannten Evangeliums verwandt gewe-
sen, und vielleicht nur aus verketzerndem Missverstand här-
ter dargestellt worden sein.
6) Ruinöl, Comm. in Matth. S. 70. Olshausen, bibl. Comm. 1,
S. 175.

Zweiter Abschnitt.
noch sicherer verbürgte ist, daſs sie ein βάπτισμα μετανοίας
war. Die Israëliten, heiſst es Matth. 3, 6, haben sich von
Johannes taufen lassen ἐξομολογούμενοι τὰς ἁμαρτίας αὑτῶν:
soll nun Jesus gleichfalls ein solches Bekenntniſs abgelegt
haben? es ergieng an sie der Ruf: μετανοε[ί]τε (Matth. 3, 2.):
soll auch Jesus sich dieſs haben gesagt sein lassen? Schon
in der alten Kirche war dieſs Bedenken; im Hebräer-Evan-
gelium der Nazarener richtete Jesus an seine Mutter und
Brüder, welche ihn aufforderten, sich von Johannes tau-
fen zu lassen, die Frage, was er denn gesündigt habe,
daſs er diese Taufe nöthig hätte 4)? und ein ketzerisches
Apokryphum soll Jesum bei seiner Taufe geradezu ein Be-
kenntniſs eigener Sünde haben ablegen lassen 5).

Faſst man zusammen, was neuere Theologen, um
diesem Anstoſs auszuweichen, angedeutet haben 6), so ist

4) Hieron. adv. Pelagian. 3, 2: In Evangelio juxta Hebraeos —
— narrat historia: Ecce mater Domini et fratres ejus dice-
bant ei: Joannes baptista baptizat in remissionem peccato-
rum; eamus et baptizemur ab eo. Dixit autem eis: quid
peccavi ut vadam et baptizer ab eo? nisi forte hoc ipsum
quod dixi, ignorantia est.
5) Der Verfasser des tractatus de non iterando baptismo in Cy-
prians Werken ed. Rigalt. p. 139. sagt (die Stelle steht auch
in Fabric. Cod. apocr. N. T. 1, S. 799 f.): Est — liber, qui
inscribitur Pauli praedicatio. In quo libro, contra omnes
scripturas et de peccato proprio confitentem invenies Chri-
stum, qui solus omnino nihil deliquit, et ad accipiendum
Joannis baptisma paene invitum a matre sua Maria esse com-
pulsum.
— Da dieses Sträuben gegen die Taufe nicht zum
Bekenntniss eigner Sünde, sondern eigentlich nur zu dem
Bewusstsein der Sündlosigkeit passt, wie es Jesus im Naza-
renerevangelium ausspricht: so mag die Darstellung der Prae-
dicatio Pauli der des genannten Evangeliums verwandt gewe-
sen, und vielleicht nur aus verketzerndem Missverstand här-
ter dargestellt worden sein.
6) Ruinöl, Comm. in Matth. S. 70. Olshausen, bibl. Comm. 1,
S. 175.
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[372/0396] Zweiter Abschnitt. noch sicherer verbürgte ist, daſs sie ein βάπτισμα μετανοίας war. Die Israëliten, heiſst es Matth. 3, 6, haben sich von Johannes taufen lassen ἐξομολογούμενοι τὰς ἁμαρτίας αὑτῶν: soll nun Jesus gleichfalls ein solches Bekenntniſs abgelegt haben? es ergieng an sie der Ruf: μετανοείτε (Matth. 3, 2.): soll auch Jesus sich dieſs haben gesagt sein lassen? Schon in der alten Kirche war dieſs Bedenken; im Hebräer-Evan- gelium der Nazarener richtete Jesus an seine Mutter und Brüder, welche ihn aufforderten, sich von Johannes tau- fen zu lassen, die Frage, was er denn gesündigt habe, daſs er diese Taufe nöthig hätte 4)? und ein ketzerisches Apokryphum soll Jesum bei seiner Taufe geradezu ein Be- kenntniſs eigener Sünde haben ablegen lassen 5). Faſst man zusammen, was neuere Theologen, um diesem Anstoſs auszuweichen, angedeutet haben 6), so ist 4) Hieron. adv. Pelagian. 3, 2: In Evangelio juxta Hebraeos — — narrat historia: Ecce mater Domini et fratres ejus dice- bant ei: Joannes baptista baptizat in remissionem peccato- rum; eamus et baptizemur ab eo. Dixit autem eis: quid peccavi ut vadam et baptizer ab eo? nisi forte hoc ipsum quod dixi, ignorantia est. 5) Der Verfasser des tractatus de non iterando baptismo in Cy- prians Werken ed. Rigalt. p. 139. sagt (die Stelle steht auch in Fabric. Cod. apocr. N. T. 1, S. 799 f.): Est — liber, qui inscribitur Pauli praedicatio. In quo libro, contra omnes scripturas et de peccato proprio confitentem invenies Chri- stum, qui solus omnino nihil deliquit, et ad accipiendum Joannis baptisma paene invitum a matre sua Maria esse com- pulsum. — Da dieses Sträuben gegen die Taufe nicht zum Bekenntniss eigner Sünde, sondern eigentlich nur zu dem Bewusstsein der Sündlosigkeit passt, wie es Jesus im Naza- renerevangelium ausspricht: so mag die Darstellung der Prae- dicatio Pauli der des genannten Evangeliums verwandt gewe- sen, und vielleicht nur aus verketzerndem Missverstand här- ter dargestellt worden sein. 6) Ruinöl, Comm. in Matth. S. 70. Olshausen, bibl. Comm. 1, S. 175.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/396>, abgerufen am 23.11.2024.