eröffneten geistigen Auge sichtbar, und ebenso die Worte nicht leiblichen Ohren hörbar, sondern nur dem Geiste ver- nehmlich gewesen sein sollen: so geht über solcher über- sinnlichen Sinnlichkeit Olshausen'scher Pneumatologie uns Übrigen das Verständniss aus, und wir eilen aus dieser dumpfen Atmosphäre gerne zu der Klarheit derjenigen fort, welche uns einfach sagen, die Sache sei ein äusserer Vor- gang, aber ein rein natürlicher gewesen.
Von dieser Seite beruft man sich auf die Weise des Alterthums, natürliche Vorgänge als göttliche Zeichen an- zusehen und in bedeutungsvollen Momenten, wo es auf ei- nen kühnen Entschlnss ankam, sich durch dieselben leiten zu lassen. So habe auch für Jesum, als er, innerlich zum Messias herangereift, nur noch auf eine äussere göttliche Bestätigung wartete, und ebenso für den Täufer, der sei- nen Jugendfreund bereits über sich selber stellte, in der feierlichen Stimmung bei der Taufe des Ersteren durch den Lezteren jedes zufällig eintretende Naturphänomen be- deutungsvoll sein, und ihnen als Zeichen des göttlichen Willens erscheinen müssen 9). Was nun dieses natürliche Phänomen gewesen sei, darüber sind die Erklärer getheil- ter Meinung 10). Die einen nehmen mit den Synoptikern sowohl etwas Hörbares als etwas Sichtbares an, die an- dern mit Johannes nur etwas Sichtbares. Was das Sicht- bare betrifft, so deuten sie das Sichöffnen des Himmels entweder von plötzlicher Zertheilung der Wolken 11), oder von einem Blitzstrahl 12); die Taube aber nehmen sie ent- weder als einen wirklichen Vogel dieser Gattung, welcher zufällig über das Haupt Jesu langsam hinschwebte 13),
9)Paulus, a. a. O. S. 363 ff.
10) Unentschieden lässt es Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 236.
11)Paulus, a. a. O. und S. 373.
12)Bauer, hebr. Mythologie 2, 226 f. Kuinöl, Comm. in Matth. p. 72.
13) So Paulus, Bauer.
Zweites Kapitel. §. 46.
eröffneten geistigen Auge sichtbar, und ebenso die Worte nicht leiblichen Ohren hörbar, sondern nur dem Geiste ver- nehmlich gewesen sein sollen: so geht über solcher über- sinnlichen Sinnlichkeit Olshausen'scher Pneumatologie uns Übrigen das Verständniſs aus, und wir eilen aus dieser dumpfen Atmosphäre gerne zu der Klarheit derjenigen fort, welche uns einfach sagen, die Sache sei ein äusserer Vor- gang, aber ein rein natürlicher gewesen.
Von dieser Seite beruft man sich auf die Weise des Alterthums, natürliche Vorgänge als göttliche Zeichen an- zusehen und in bedeutungsvollen Momenten, wo es auf ei- nen kühnen Entschlnſs ankam, sich durch dieselben leiten zu lassen. So habe auch für Jesum, als er, innerlich zum Messias herangereift, nur noch auf eine äussere göttliche Bestätigung wartete, und ebenso für den Täufer, der sei- nen Jugendfreund bereits über sich selber stellte, in der feierlichen Stimmung bei der Taufe des Ersteren durch den Lezteren jedes zufällig eintretende Naturphänomen be- deutungsvoll sein, und ihnen als Zeichen des göttlichen Willens erscheinen müssen 9). Was nun dieses natürliche Phänomen gewesen sei, darüber sind die Erklärer getheil- ter Meinung 10). Die einen nehmen mit den Synoptikern sowohl etwas Hörbares als etwas Sichtbares an, die an- dern mit Johannes nur etwas Sichtbares. Was das Sicht- bare betrifft, so deuten sie das Sichöffnen des Himmels entweder von plötzlicher Zertheilung der Wolken 11), oder von einem Blitzstrahl 12); die Taube aber nehmen sie ent- weder als einen wirklichen Vogel dieser Gattung, welcher zufällig über das Haupt Jesu langsam hinschwebte 13),
9)Paulus, a. a. O. S. 363 ff.
10) Unentschieden lässt es Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 236.
11)Paulus, a. a. O. und S. 373.
12)Bauer, hebr. Mythologie 2, 226 f. Kuinöl, Comm. in Matth. p. 72.
13) So Paulus, Bauer.
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Zweites Kapitel. §. 46.
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nicht leiblichen Ohren hörbar, sondern nur dem Geiste ver-
nehmlich gewesen sein sollen: so geht über solcher über-
sinnlichen Sinnlichkeit Olshausen'scher Pneumatologie uns
Übrigen das Verständniſs aus, und wir eilen aus dieser
dumpfen Atmosphäre gerne zu der Klarheit derjenigen fort,
welche uns einfach sagen, die Sache sei ein äusserer Vor-
gang, aber ein rein natürlicher gewesen.
Von dieser Seite beruft man sich auf die Weise des
Alterthums, natürliche Vorgänge als göttliche Zeichen an-
zusehen und in bedeutungsvollen Momenten, wo es auf ei-
nen kühnen Entschlnſs ankam, sich durch dieselben leiten
zu lassen. So habe auch für Jesum, als er, innerlich zum
Messias herangereift, nur noch auf eine äussere göttliche
Bestätigung wartete, und ebenso für den Täufer, der sei-
nen Jugendfreund bereits über sich selber stellte, in der
feierlichen Stimmung bei der Taufe des Ersteren durch
den Lezteren jedes zufällig eintretende Naturphänomen be-
deutungsvoll sein, und ihnen als Zeichen des göttlichen
Willens erscheinen müssen 9). Was nun dieses natürliche
Phänomen gewesen sei, darüber sind die Erklärer getheil-
ter Meinung 10). Die einen nehmen mit den Synoptikern
sowohl etwas Hörbares als etwas Sichtbares an, die an-
dern mit Johannes nur etwas Sichtbares. Was das Sicht-
bare betrifft, so deuten sie das Sichöffnen des Himmels
entweder von plötzlicher Zertheilung der Wolken 11), oder
von einem Blitzstrahl 12); die Taube aber nehmen sie ent-
weder als einen wirklichen Vogel dieser Gattung, welcher
zufällig über das Haupt Jesu langsam hinschwebte 13),
9) Paulus, a. a. O. S. 363 ff.
10) Unentschieden lässt es Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 236.
11) Paulus, a. a. O. und S. 373.
12) Bauer, hebr. Mythologie 2, 226 f. Kuinöl, Comm. in Matth.
p. 72.
13) So Paulus, Bauer.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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