Übrigen vielmehr ungleich geworden, die wir von derglei- chen Erscheinungen verschont bleiben.
Auch mit dem 40tätigen Fasten ist es etwas Eigenes. Man begreift nicht, wie Jesus nach 6wöchiger Enthaltung von aller Nahrung noch hungern konnte und nicht schon längst verhungert war, da für gewöhnlich die menschliche Natur nicht Eine Woche völlige Nahrungslosigkeit ertra- gen kann. Freilich trösten sich die Ausleger damit, die emerai tessarakonta seien eine runde Zahl, das neseusas bei Matthäus aber und selbst das ouk e[ph]agen ouden bei Lukas sei nicht so streng zu nehmen und bezeichne nicht Enthal- tung von allen, sondern nur von den gewöhnlichen Spei- sen, so dass der Genuss von Wurzeln und Kräutern da- durch nicht ausgeschlossen werde 4). Aber von den 40 Tagen kann man in keinem Falle so viel abziehen, als nö- thig wäre, um ein so langes Fasten denkbar zu finden, und was dieses selbst betrifft, so hat Fritzsche evident ge- zeigt 5), und auch Olshausen giebt es zu 6), dass nament- lich wegen der Parallele mit dem ebenso langen Fasten des Moses (2. Mos. 34, 28. 5. Mos. 9, 9. 18.) und des Elias (1. Kön. 19, 8.), von deren Ersterem es heisst: er ass kein Brot und trank kein Wasser, vom Lezteren aber, er sei durch die Kraft einer vor der Abreise genossenen Speise 40 Tage lang gegangen, auch hier an nichts Gerin- geres, als an gänzliche Enthaltung von aller Nahrung zu denken ist. Eine solche aber ist nicht allein rücksichtlich der Möglichkeit, sondern auch der Zweckmässigkeit schwie- rig. Dem Zusammenhang nach muss das Fasten von Jesu auf Antrieb desselben pneuma übernommen gewesen sein, welches ihn zu dem Gang in die Wüste veranlasst hatte,
4) So z. B. Kuinöl, Comm. in Matth. p. 84. Vergl. Gratz, Comm. zum Matth., 1, S. 229.
5) Comm. in Matth. p. 157 f.
6) Bibl. Comm. 1, S. 187 f.
Zweites Kapitel. §. 50.
Übrigen vielmehr ungleich geworden, die wir von derglei- chen Erscheinungen verschont bleiben.
Auch mit dem 40tätigen Fasten ist es etwas Eigenes. Man begreift nicht, wie Jesus nach 6wöchiger Enthaltung von aller Nahrung noch hungern konnte und nicht schon längst verhungert war, da für gewöhnlich die menschliche Natur nicht Eine Woche völlige Nahrungslosigkeit ertra- gen kann. Freilich trösten sich die Ausleger damit, die ημέραι τεσσαράκοντα seien eine runde Zahl, das νηςευσας bei Matthäus aber und selbst das οὺκ ἔ[φ]αγεν οὐδὲν bei Lukas sei nicht so streng zu nehmen und bezeichne nicht Enthal- tung von allen, sondern nur von den gewöhnlichen Spei- sen, so daſs der Genuſs von Wurzeln und Kräutern da- durch nicht ausgeschlossen werde 4). Aber von den 40 Tagen kann man in keinem Falle so viel abziehen, als nö- thig wäre, um ein so langes Fasten denkbar zu finden, und was dieses selbst betrifft, so hat Fritzsche evident ge- zeigt 5), und auch Olshausen giebt es zu 6), daſs nament- lich wegen der Parallele mit dem ebenso langen Fasten des Moses (2. Mos. 34, 28. 5. Mos. 9, 9. 18.) und des Elias (1. Kön. 19, 8.), von deren Ersterem es heiſst: er aſs kein Brot und trank kein Wasser, vom Lezteren aber, er sei durch die Kraft einer vor der Abreise genossenen Speise 40 Tage lang gegangen, auch hier an nichts Gerin- geres, als an gänzliche Enthaltung von aller Nahrung zu denken ist. Eine solche aber ist nicht allein rücksichtlich der Möglichkeit, sondern auch der Zweckmäſsigkeit schwie- rig. Dem Zusammenhang nach muſs das Fasten von Jesu auf Antrieb desselben πνεῦμα übernommen gewesen sein, welches ihn zu dem Gang in die Wüste veranlaſst hatte,
4) So z. B. Kuinöl, Comm. in Matth. p. 84. Vergl. Gratz, Comm. zum Matth., 1, S. 229.
5) Comm. in Matth. p. 157 f.
6) Bibl. Comm. 1, S. 187 f.
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[405/0429]
Zweites Kapitel. §. 50.
Übrigen vielmehr ungleich geworden, die wir von derglei-
chen Erscheinungen verschont bleiben.
Auch mit dem 40tätigen Fasten ist es etwas Eigenes.
Man begreift nicht, wie Jesus nach 6wöchiger Enthaltung
von aller Nahrung noch hungern konnte und nicht schon
längst verhungert war, da für gewöhnlich die menschliche
Natur nicht Eine Woche völlige Nahrungslosigkeit ertra-
gen kann. Freilich trösten sich die Ausleger damit, die
ημέραι τεσσαράκοντα seien eine runde Zahl, das νηςευσας
bei Matthäus aber und selbst das οὺκ ἔφαγεν οὐδὲν bei Lukas
sei nicht so streng zu nehmen und bezeichne nicht Enthal-
tung von allen, sondern nur von den gewöhnlichen Spei-
sen, so daſs der Genuſs von Wurzeln und Kräutern da-
durch nicht ausgeschlossen werde 4). Aber von den 40
Tagen kann man in keinem Falle so viel abziehen, als nö-
thig wäre, um ein so langes Fasten denkbar zu finden,
und was dieses selbst betrifft, so hat Fritzsche evident ge-
zeigt 5), und auch Olshausen giebt es zu 6), daſs nament-
lich wegen der Parallele mit dem ebenso langen Fasten
des Moses (2. Mos. 34, 28. 5. Mos. 9, 9. 18.) und des
Elias (1. Kön. 19, 8.), von deren Ersterem es heiſst: er
aſs kein Brot und trank kein Wasser, vom Lezteren aber,
er sei durch die Kraft einer vor der Abreise genossenen
Speise 40 Tage lang gegangen, auch hier an nichts Gerin-
geres, als an gänzliche Enthaltung von aller Nahrung zu
denken ist. Eine solche aber ist nicht allein rücksichtlich
der Möglichkeit, sondern auch der Zweckmäſsigkeit schwie-
rig. Dem Zusammenhang nach muſs das Fasten von Jesu
auf Antrieb desselben πνεῦμα übernommen gewesen sein,
welches ihn zu dem Gang in die Wüste veranlaſst hatte,
4) So z. B. Kuinöl, Comm. in Matth. p. 84. Vergl. Gratz, Comm.
zum Matth., 1, S. 229.
5) Comm. in Matth. p. 157 f.
6) Bibl. Comm. 1, S. 187 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/429>, abgerufen am 21.11.2024.
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