denn unter den verschiedenen Versuchungen, welche die Rabbinen von Abraham zu erzählen wissen, meistens auch der Hunger mitaufgezählt wird 12). Dass der Satan die Aufforderung an Jesum, die Befriedigung seines Bedürf- nisses, statt sie vertrauensvoll von Gott zu erwarten, auf eigenmächtige Weise herbeizuführen, gerade so aus- drückt, wie wir es bei den Evangelisten lesen, kann nicht Wunder nehmen, wenn man, neben dem steinigten Lokal der Wüste, bedenkt, wie gewöhnlich für den Ersatz eines gänzlich mangelnden Gegenstandes die Formel war, ihn aus Steinen hervorzubringen (Matth. 3, 9. vergl. Luc. 19, 40.), und wie namentlich Stein und Brot einen auch sonst ge- läufigen Gegensatz bilden (Matth. 7, 9.). Was Jesus auf diese Zumuthung erwiedert, ist aus demselben Zusammen- hang, welchem der ganze erste Versuchungsakt nachgebil- det scheint. Denn eben das giebt hier Jesus dem Satan zur Antwort, was nach 5. Mos. 8, 3. das Volk Israel durch die Versuchung des Hungers (die es aber zunächst nicht bestanden, sondern sich zum Murren hatte verleiten las- sen), doch nachträglich hatte lernen müssen, nämlich, oti ouk ep' arto mono zesetai o anthropos k. t. l.
Doch an Einer Versuchung war es nicht genug. Von Abraham zählten die Rabbinen deren zehn; für eine dra- matische Darstellung aber, wie wir sie in den Evangelien haben, war diess zu viel, und unter den niedrigeren Zah- len lag keine näher, als die heilige Drei. Dreimal riss sich im Seelenkampf in Gethsemane Jesus von seinen Jün- gern los (Matth. 26.); dreimal verleugnete Petrus den Herrn, (ebendas.), und dreimal stellte nachher Jesus des- sen Liebe zu ihm in Frage (Joh. 21.); auch in jener rab- binischen Stelle, welche den Abraham durch den Teufel persönlich versucht werden lässt, sind es drei Gänge, wel- che er mit ihm macht, -- eine Darstellung, welche auch
12) s. Fabricius, Cod. pseudepigr. V. T. p. 398 ff.
Zweiter Abschnitt.
denn unter den verschiedenen Versuchungen, welche die Rabbinen von Abraham zu erzählen wissen, meistens auch der Hunger mitaufgezählt wird 12). Daſs der Satan die Aufforderung an Jesum, die Befriedigung seines Bedürf- nisses, statt sie vertrauensvoll von Gott zu erwarten, auf eigenmächtige Weise herbeizuführen, gerade so aus- drückt, wie wir es bei den Evangelisten lesen, kann nicht Wunder nehmen, wenn man, neben dem steinigten Lokal der Wüste, bedenkt, wie gewöhnlich für den Ersatz eines gänzlich mangelnden Gegenstandes die Formel war, ihn aus Steinen hervorzubringen (Matth. 3, 9. vergl. Luc. 19, 40.), und wie namentlich Stein und Brot einen auch sonst ge- läufigen Gegensatz bilden (Matth. 7, 9.). Was Jesus auf diese Zumuthung erwiedert, ist aus demselben Zusammen- hang, welchem der ganze erste Versuchungsakt nachgebil- det scheint. Denn eben das giebt hier Jesus dem Satan zur Antwort, was nach 5. Mos. 8, 3. das Volk Israël durch die Versuchung des Hungers (die es aber zunächst nicht bestanden, sondern sich zum Murren hatte verleiten las- sen), doch nachträglich hatte lernen müssen, nämlich, ὄτι οὐκ ἐπ' ἄρτῳ μόνῳ ζήσεται ὁ ἄνϑρωπος κ. τ. λ.
Doch an Einer Versuchung war es nicht genug. Von Abraham zählten die Rabbinen deren zehn; für eine dra- matische Darstellung aber, wie wir sie in den Evangelien haben, war dieſs zu viel, und unter den niedrigeren Zah- len lag keine näher, als die heilige Drei. Dreimal riſs sich im Seelenkampf in Gethsemane Jesus von seinen Jün- gern los (Matth. 26.); dreimal verleugnete Petrus den Herrn, (ebendas.), und dreimal stellte nachher Jesus des- sen Liebe zu ihm in Frage (Joh. 21.); auch in jener rab- binischen Stelle, welche den Abraham durch den Teufel persönlich versucht werden läſst, sind es drei Gänge, wel- che er mit ihm macht, — eine Darstellung, welche auch
12) s. Fabricius, Cod. pseudepigr. V. T. p. 398 ff.
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Zweiter Abschnitt.
denn unter den verschiedenen Versuchungen, welche die
Rabbinen von Abraham zu erzählen wissen, meistens auch
der Hunger mitaufgezählt wird 12). Daſs der Satan die
Aufforderung an Jesum, die Befriedigung seines Bedürf-
nisses, statt sie vertrauensvoll von Gott zu erwarten, auf
eigenmächtige Weise herbeizuführen, gerade so aus-
drückt, wie wir es bei den Evangelisten lesen, kann nicht
Wunder nehmen, wenn man, neben dem steinigten Lokal
der Wüste, bedenkt, wie gewöhnlich für den Ersatz eines
gänzlich mangelnden Gegenstandes die Formel war, ihn
aus Steinen hervorzubringen (Matth. 3, 9. vergl. Luc. 19, 40.),
und wie namentlich Stein und Brot einen auch sonst ge-
läufigen Gegensatz bilden (Matth. 7, 9.). Was Jesus auf
diese Zumuthung erwiedert, ist aus demselben Zusammen-
hang, welchem der ganze erste Versuchungsakt nachgebil-
det scheint. Denn eben das giebt hier Jesus dem Satan zur
Antwort, was nach 5. Mos. 8, 3. das Volk Israël durch
die Versuchung des Hungers (die es aber zunächst nicht
bestanden, sondern sich zum Murren hatte verleiten las-
sen), doch nachträglich hatte lernen müssen, nämlich, ὄτι
οὐκ ἐπ' ἄρτῳ μόνῳ ζήσεται ὁ ἄνϑρωπος κ. τ. λ.
Doch an Einer Versuchung war es nicht genug. Von
Abraham zählten die Rabbinen deren zehn; für eine dra-
matische Darstellung aber, wie wir sie in den Evangelien
haben, war dieſs zu viel, und unter den niedrigeren Zah-
len lag keine näher, als die heilige Drei. Dreimal riſs
sich im Seelenkampf in Gethsemane Jesus von seinen Jün-
gern los (Matth. 26.); dreimal verleugnete Petrus den
Herrn, (ebendas.), und dreimal stellte nachher Jesus des-
sen Liebe zu ihm in Frage (Joh. 21.); auch in jener rab-
binischen Stelle, welche den Abraham durch den Teufel
persönlich versucht werden läſst, sind es drei Gänge, wel-
che er mit ihm macht, — eine Darstellung, welche auch
12) s. Fabricius, Cod. pseudepigr. V. T. p. 398 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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