Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Drittes Kapitel. §. 53. einen anderen Trieb hat die Sage auch und der ist ihrstärkster, nämlich zu verherrlichen. Nun könnte man frei- lich sagen: zur Verherrlichung der Provinz, in welcher die synoptische Tradition entstand, diente es, die frühere Wirksamkeit Jesu ganz in die Grenzen Galiläa's einzu- schliessen. Allein, nicht Galiläa wollte die synoptische Sage verherrlichen, über welches sich vielmehr sehr harte Ur- theile in derselben finden, sondern Jesum verherrlicht sie, und dieser steht um so grösser da, je weniger er sich von jeher in dem galiläischen angulus terrae verkrochen, je öfter er sich auf dem glänzenden Schauplatz der Haupt- stadt, besonders wenn diese von Zuschauern und Zuhö- rern aus allen Regionen so zahlreich wie um die Festzei- ten besucht war, producirt hatte. Wenn daher auch ge- schichtlich nur Eine jerusalemische Reise Jesu stattgefun- den hätte, so konnte doch die Sage versucht sein, nach und nach deren mehrere zu machen, indem sie für sich von dem Schlusse ausgieng: wie wird ein so grosses Licht als Jesus war, so lange unter dem Scheffel gestanden und nicht frühzeitig und oft sich auf den erhabenen Leuchter gestellt haben (Matth. 5, 15.), welchen ihm Jerusalem darbot? in Bezug auf die Gegner aber glaubte man Ein- würfen, wie schon die ungläubigen adelphoi Iesou Joh. 7, 3. 4. sie machten, dass, wer etwas Rechtes leisten zu kön- nen sich bewusst sei, sich nicht verstecke, sondern die Öffentlichkeit suche, um sich Anerkennung zu verschaffen, nicht besser begegnen zu können, als durch die Wendung, dass Jesus allerdings auch früher schon jene Öffentlichkeit gesucht und sich Anerkennung in weiteren Kreisen erwor- ben habe, woraus sich dann leicht allmählig die Vorstel- lung bilden konnte, wie sie jetzt im vierten Evangelium zum Grunde liegt, dass nicht Galiläa, sondern Judäa der eigentliche Aufenthalt Jesu gewesen sei. Wenn sich auf diese Weise, die Sache vom Stand- Drittes Kapitel. §. 53. einen anderen Trieb hat die Sage auch und der ist ihrstärkster, nämlich zu verherrlichen. Nun könnte man frei- lich sagen: zur Verherrlichung der Provinz, in welcher die synoptische Tradition entstand, diente es, die frühere Wirksamkeit Jesu ganz in die Grenzen Galiläa's einzu- schlieſsen. Allein, nicht Galiläa wollte die synoptische Sage verherrlichen, über welches sich vielmehr sehr harte Ur- theile in derselben finden, sondern Jesum verherrlicht sie, und dieser steht um so gröſser da, je weniger er sich von jeher in dem galiläischen angulus terrae verkrochen, je öfter er sich auf dem glänzenden Schauplatz der Haupt- stadt, besonders wenn diese von Zuschauern und Zuhö- rern aus allen Regionen so zahlreich wie um die Festzei- ten besucht war, producirt hatte. Wenn daher auch ge- schichtlich nur Eine jerusalemische Reise Jesu stattgefun- den hätte, so konnte doch die Sage versucht sein, nach und nach deren mehrere zu machen, indem sie für sich von dem Schlusse ausgieng: wie wird ein so groſses Licht als Jesus war, so lange unter dem Scheffel gestanden und nicht frühzeitig und oft sich auf den erhabenen Leuchter gestellt haben (Matth. 5, 15.), welchen ihm Jerusalem darbot? in Bezug auf die Gegner aber glaubte man Ein- würfen, wie schon die ungläubigen ἀδελφοὶ Ἰησοῦ Joh. 7, 3. 4. sie machten, daſs, wer etwas Rechtes leisten zu kön- nen sich bewuſst sei, sich nicht verstecke, sondern die Öffentlichkeit suche, um sich Anerkennung zu verschaffen, nicht besser begegnen zu können, als durch die Wendung, daſs Jesus allerdings auch früher schon jene Öffentlichkeit gesucht und sich Anerkennung in weiteren Kreisen erwor- ben habe, woraus sich dann leicht allmählig die Vorstel- lung bilden konnte, wie sie jetzt im vierten Evangelium zum Grunde liegt, daſs nicht Galiläa, sondern Judäa der eigentliche Aufenthalt Jesu gewesen sei. 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Drittes Kapitel. §. 53.
einen anderen Trieb hat die Sage auch und der ist ihr
stärkster, nämlich zu verherrlichen. Nun könnte man frei-
lich sagen: zur Verherrlichung der Provinz, in welcher
die synoptische Tradition entstand, diente es, die frühere
Wirksamkeit Jesu ganz in die Grenzen Galiläa's einzu-
schlieſsen. Allein, nicht Galiläa wollte die synoptische Sage
verherrlichen, über welches sich vielmehr sehr harte Ur-
theile in derselben finden, sondern Jesum verherrlicht sie,
und dieser steht um so gröſser da, je weniger er sich von
jeher in dem galiläischen angulus terrae verkrochen, je
öfter er sich auf dem glänzenden Schauplatz der Haupt-
stadt, besonders wenn diese von Zuschauern und Zuhö-
rern aus allen Regionen so zahlreich wie um die Festzei-
ten besucht war, producirt hatte. Wenn daher auch ge-
schichtlich nur Eine jerusalemische Reise Jesu stattgefun-
den hätte, so konnte doch die Sage versucht sein, nach
und nach deren mehrere zu machen, indem sie für sich
von dem Schlusse ausgieng: wie wird ein so groſses Licht
als Jesus war, so lange unter dem Scheffel gestanden und
nicht frühzeitig und oft sich auf den erhabenen Leuchter
gestellt haben (Matth. 5, 15.), welchen ihm Jerusalem
darbot? in Bezug auf die Gegner aber glaubte man Ein-
würfen, wie schon die ungläubigen ἀδελφοὶ Ἰησοῦ Joh. 7,
3. 4. sie machten, daſs, wer etwas Rechtes leisten zu kön-
nen sich bewuſst sei, sich nicht verstecke, sondern die
Öffentlichkeit suche, um sich Anerkennung zu verschaffen,
nicht besser begegnen zu können, als durch die Wendung,
daſs Jesus allerdings auch früher schon jene Öffentlichkeit
gesucht und sich Anerkennung in weiteren Kreisen erwor-
ben habe, woraus sich dann leicht allmählig die Vorstel-
lung bilden konnte, wie sie jetzt im vierten Evangelium
zum Grunde liegt, daſs nicht Galiläa, sondern Judäa der
eigentliche Aufenthalt Jesu gewesen sei.
Wenn sich auf diese Weise, die Sache vom Stand-
punkt möglicher Sagenbildung aus betrachtet, die Wage
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