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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
Festtage sich mit der regierenden Partei der Hauptstadt so
entschieden habe verfeinden können, dass sie seine Gefan-
gennehmung und Hinrichtung veranstaltete, wenn man nicht
nach Johannes annimmt, dass sich diese Feindschaft schon
bei früherer öfteren Anwesenheit Jesu in Jerusalem ange-
sponnen und allmählig ausgebildet hatte 15). Beruft man
sich hier darauf, dass sich theils auch in galiläischen Syn-
agogen ansässige Schriftgelehrte und Pharisäer fanden
(Matth. 9, 3. 12, 14.), theils solche, die in der Haupt-
stadt wohnten, die Provinzen zu durchreisen pflegten (Matth.
15, 1.), dass also ein hierarchischer Nexus vorhanden war,
vermöge dessen man Jesu in Jerusalem längst den Tod ge-
schworen haben konnte, ehe er einmal öffentlich wirkend
dahingekommen war: so scheint eben hieraus eine kirchli-
che Verbindung zwischen Galiläa und Jerusalem sich zu
ergeben, welche die Unterlassung einer Reihe von Festbe-
suchen von Seiten Jesu unwahrscheinlich macht. Eine den
Synoptikern sehr gefährliche Einzelheit ist noch folgende.
Die Worte: Ierousalem, Ierousalem, -- posakis ethelesa
episunaxai ta tekna sou -- kai ouk ethelesate, haben bei Lu-
kas, der sie Jesu in den Mund legt, ehe er während sei-
ner öffentlichen Wirksamkeit Jerusalem auch nur gesehen
(13, 34.), gar keinen Sinn, und auch nach der besseren
Anordnung des Matthäus (23, 37.) ist nicht abzusehen,
wie Jesus nach einem einzigen Aufenthalt von wenigen Ta-
gen auf häufige Versuche, die Bewohner Jerusalems zu ge-
winnen, sich berufen konnte. Sollen also diese Worte
nicht dafür angesehen werden, Jesu später untergelegt wor-
den zu sein, was bei einer so originellen Gnome immer
schwer hält: so müsste, um sie passend zu finden, aller-
dings eine Reihe früherer jerusalemischer Aufenthalte Jesu,
wie sie das vierte Evangelium bietet, angenommen werden.

Aus dem Bisherigen wird erhellen, ob, wo so Vieles

15) Hug, a. a. O. S. 211 f.

Zweiter Abschnitt.
Festtage sich mit der regierenden Partei der Hauptstadt so
entschieden habe verfeinden können, daſs sie seine Gefan-
gennehmung und Hinrichtung veranstaltete, wenn man nicht
nach Johannes annimmt, daſs sich diese Feindschaft schon
bei früherer öfteren Anwesenheit Jesu in Jerusalem ange-
sponnen und allmählig ausgebildet hatte 15). Beruft man
sich hier darauf, daſs sich theils auch in galiläischen Syn-
agogen ansäſsige Schriftgelehrte und Pharisäer fanden
(Matth. 9, 3. 12, 14.), theils solche, die in der Haupt-
stadt wohnten, die Provinzen zu durchreisen pflegten (Matth.
15, 1.), daſs also ein hierarchischer Nexus vorhanden war,
vermöge dessen man Jesu in Jerusalem längst den Tod ge-
schworen haben konnte, ehe er einmal öffentlich wirkend
dahingekommen war: so scheint eben hieraus eine kirchli-
che Verbindung zwischen Galiläa und Jerusalem sich zu
ergeben, welche die Unterlassung einer Reihe von Festbe-
suchen von Seiten Jesu unwahrscheinlich macht. Eine den
Synoptikern sehr gefährliche Einzelheit ist noch folgende.
Die Worte: Ἱερουσαλὴμ, Ἱερουσαλὴμ, — ποσάκις ήϑέλησα
ἐπισυνάξαι τὰ τέκνα σου — καὶ οὐκ ἠϑελήσατε, haben bei Lu-
kas, der sie Jesu in den Mund legt, ehe er während sei-
ner öffentlichen Wirksamkeit Jerusalem auch nur gesehen
(13, 34.), gar keinen Sinn, und auch nach der besseren
Anordnung des Matthäus (23, 37.) ist nicht abzusehen,
wie Jesus nach einem einzigen Aufenthalt von wenigen Ta-
gen auf häufige Versuche, die Bewohner Jerusalems zu ge-
winnen, sich berufen konnte. Sollen also diese Worte
nicht dafür angesehen werden, Jesu später untergelegt wor-
den zu sein, was bei einer so originellen Gnome immer
schwer hält: so müſste, um sie passend zu finden, aller-
dings eine Reihe früherer jerusalemischer Aufenthalte Jesu,
wie sie das vierte Evangelium bietet, angenommen werden.

Aus dem Bisherigen wird erhellen, ob, wo so Vieles

15) Hug, a. a. O. S. 211 f.
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[444/0468] Zweiter Abschnitt. Festtage sich mit der regierenden Partei der Hauptstadt so entschieden habe verfeinden können, daſs sie seine Gefan- gennehmung und Hinrichtung veranstaltete, wenn man nicht nach Johannes annimmt, daſs sich diese Feindschaft schon bei früherer öfteren Anwesenheit Jesu in Jerusalem ange- sponnen und allmählig ausgebildet hatte 15). Beruft man sich hier darauf, daſs sich theils auch in galiläischen Syn- agogen ansäſsige Schriftgelehrte und Pharisäer fanden (Matth. 9, 3. 12, 14.), theils solche, die in der Haupt- stadt wohnten, die Provinzen zu durchreisen pflegten (Matth. 15, 1.), daſs also ein hierarchischer Nexus vorhanden war, vermöge dessen man Jesu in Jerusalem längst den Tod ge- schworen haben konnte, ehe er einmal öffentlich wirkend dahingekommen war: so scheint eben hieraus eine kirchli- che Verbindung zwischen Galiläa und Jerusalem sich zu ergeben, welche die Unterlassung einer Reihe von Festbe- suchen von Seiten Jesu unwahrscheinlich macht. Eine den Synoptikern sehr gefährliche Einzelheit ist noch folgende. Die Worte: Ἱερουσαλὴμ, Ἱερουσαλὴμ, — ποσάκις ήϑέλησα ἐπισυνάξαι τὰ τέκνα σου — καὶ οὐκ ἠϑελήσατε, haben bei Lu- kas, der sie Jesu in den Mund legt, ehe er während sei- ner öffentlichen Wirksamkeit Jerusalem auch nur gesehen (13, 34.), gar keinen Sinn, und auch nach der besseren Anordnung des Matthäus (23, 37.) ist nicht abzusehen, wie Jesus nach einem einzigen Aufenthalt von wenigen Ta- gen auf häufige Versuche, die Bewohner Jerusalems zu ge- winnen, sich berufen konnte. Sollen also diese Worte nicht dafür angesehen werden, Jesu später untergelegt wor- den zu sein, was bei einer so originellen Gnome immer schwer hält: so müſste, um sie passend zu finden, aller- dings eine Reihe früherer jerusalemischer Aufenthalte Jesu, wie sie das vierte Evangelium bietet, angenommen werden. Aus dem Bisherigen wird erhellen, ob, wo so Vieles 15) Hug, a. a. O. S. 211 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/468>, abgerufen am 22.11.2024.