Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Drittes Kapitel. §. 53. lich an den drei Hauptfesten vor Jehova erscheinen solle(2. Mos. 23, 14 ff.) und bei Jesu Ehrfurcht vor den mosai- schen Institutionen (Matth. 5, 17 ff.), lässt es sich nicht ohne Schwierigkeit denken, dass Jesus während der gan- zen Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit nur Eine Festreise sollte unternommen haben 14). Indess, das Matthäusevan- gelium, welches diese Darstellung giebt, wir mögen von Zeit und Ort seiner Abfassung urtheilen, wie wir wollen, ist jedenfalls in einem judenchristlichen Gebiet entstanden, wo man, was das Gesez von einem frommen Israeliten for- derte, gar wohl wusste, also auch ein Bewusstsein davon haben musste, in welchen Widerspruch gegen das Gesez man Jesum verwickelte, wenn man aus seiner mehrjähri- gen öffentlichen Wirksamkeit nur Einen Festbesuch mel- dete, oder (falls die Synoptiker nur ein einjähriges Wir- ken Jesu voraussetzen sollten, wovon unten) wenn man ihn ausser dem Pascha die beiden andern Jahresfeste ver- säumen liess. Fand also ein der jüdischen Sitte noch so nahe stehender Kreis an der Annahme nur Eines Festbe- suchs Jesu nichts Anstössiges: so weiss ich nicht, ob diese Auktorität nicht auch uns das Bedenken in dieser Sache benehmen sollte? Wirklich auch, wenn man die histori- schen und geographischen Verhältnisse näher erwägt, könnte die Frage entstehen, ob zwischen dem entlegenen, zum Theil von Heiden bewohnten Galiläa und Jerusalem das kirchliche Band damals ein so enges gewesen sei, dass ein Mitmachen sämmtlicher Festreisen von einem Galiläer er- wartet werden konnte? wie denn auch nach der johannei- schen Darstellung Jesus ein in die Periode seines öffentli- chen Lebens gefallenes Pascha nicht besucht hat (Joh. 6, 4.). Der für die Synoptiker ungünstigste Punkt aber ist nun, dass es unerklärlich scheint, wie Jesus bei seinem lezten Aufenthalt in Jerusalem während der kurzen Dauer der 14) Hug, Einleit. in das N. T. 2. Thl., S. 210.
Drittes Kapitel. §. 53. lich an den drei Hauptfesten vor Jehova erscheinen solle(2. Mos. 23, 14 ff.) und bei Jesu Ehrfurcht vor den mosai- schen Institutionen (Matth. 5, 17 ff.), läſst es sich nicht ohne Schwierigkeit denken, daſs Jesus während der gan- zen Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit nur Eine Festreise sollte unternommen haben 14). Indeſs, das Matthäusevan- gelium, welches diese Darstellung giebt, wir mögen von Zeit und Ort seiner Abfassung urtheilen, wie wir wollen, ist jedenfalls in einem judenchristlichen Gebiet entstanden, wo man, was das Gesez von einem frommen Israëliten for- derte, gar wohl wuſste, also auch ein Bewuſstsein davon haben muſste, in welchen Widerspruch gegen das Gesez man Jesum verwickelte, wenn man aus seiner mehrjähri- gen öffentlichen Wirksamkeit nur Einen Festbesuch mel- dete, oder (falls die Synoptiker nur ein einjähriges Wir- ken Jesu voraussetzen sollten, wovon unten) wenn man ihn ausser dem Pascha die beiden andern Jahresfeste ver- säumen lieſs. Fand also ein der jüdischen Sitte noch so nahe stehender Kreis an der Annahme nur Eines Festbe- suchs Jesu nichts Anstöſsiges: so weiſs ich nicht, ob diese Auktorität nicht auch uns das Bedenken in dieser Sache benehmen sollte? Wirklich auch, wenn man die histori- schen und geographischen Verhältnisse näher erwägt, könnte die Frage entstehen, ob zwischen dem entlegenen, zum Theil von Heiden bewohnten Galiläa und Jerusalem das kirchliche Band damals ein so enges gewesen sei, daſs ein Mitmachen sämmtlicher Festreisen von einem Galiläer er- wartet werden konnte? wie denn auch nach der johannei- schen Darstellung Jesus ein in die Periode seines öffentli- chen Lebens gefallenes Pascha nicht besucht hat (Joh. 6, 4.). Der für die Synoptiker ungünstigste Punkt aber ist nun, daſs es unerklärlich scheint, wie Jesus bei seinem lezten Aufenthalt in Jerusalem während der kurzen Dauer der 14) Hug, Einleit. in das N. T. 2. Thl., S. 210.
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Drittes Kapitel. §. 53.
lich an den drei Hauptfesten vor Jehova erscheinen solle
(2. Mos. 23, 14 ff.) und bei Jesu Ehrfurcht vor den mosai-
schen Institutionen (Matth. 5, 17 ff.), läſst es sich nicht
ohne Schwierigkeit denken, daſs Jesus während der gan-
zen Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit nur Eine Festreise
sollte unternommen haben 14). Indeſs, das Matthäusevan-
gelium, welches diese Darstellung giebt, wir mögen von
Zeit und Ort seiner Abfassung urtheilen, wie wir wollen,
ist jedenfalls in einem judenchristlichen Gebiet entstanden,
wo man, was das Gesez von einem frommen Israëliten for-
derte, gar wohl wuſste, also auch ein Bewuſstsein davon
haben muſste, in welchen Widerspruch gegen das Gesez
man Jesum verwickelte, wenn man aus seiner mehrjähri-
gen öffentlichen Wirksamkeit nur Einen Festbesuch mel-
dete, oder (falls die Synoptiker nur ein einjähriges Wir-
ken Jesu voraussetzen sollten, wovon unten) wenn man
ihn ausser dem Pascha die beiden andern Jahresfeste ver-
säumen lieſs. Fand also ein der jüdischen Sitte noch so
nahe stehender Kreis an der Annahme nur Eines Festbe-
suchs Jesu nichts Anstöſsiges: so weiſs ich nicht, ob diese
Auktorität nicht auch uns das Bedenken in dieser Sache
benehmen sollte? Wirklich auch, wenn man die histori-
schen und geographischen Verhältnisse näher erwägt, könnte
die Frage entstehen, ob zwischen dem entlegenen, zum
Theil von Heiden bewohnten Galiläa und Jerusalem das
kirchliche Band damals ein so enges gewesen sei, daſs ein
Mitmachen sämmtlicher Festreisen von einem Galiläer er-
wartet werden konnte? wie denn auch nach der johannei-
schen Darstellung Jesus ein in die Periode seines öffentli-
chen Lebens gefallenes Pascha nicht besucht hat (Joh. 6, 4.).
Der für die Synoptiker ungünstigste Punkt aber ist nun,
daſs es unerklärlich scheint, wie Jesus bei seinem lezten
Aufenthalt in Jerusalem während der kurzen Dauer der
14) Hug, Einleit. in das N. T. 2. Thl., S. 210.
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