einen blossen Nebenzug, wie hier. die Vergleichung mit ei- nem Menschensohn, zur stehenden Bezeichnung einer Per- son oder Sache zu machen 9). Musste so der Ausdruck o uios tou anthropou nothwendig an die auf den Messias be- zogene Stelle des Daniel erinnern: so konnte Jesus den- selben unmöglich so oft, und zwar in Verbindungen, wel- che auf den Messias deuteten, gebrauchen, ohne diesen dadurch bezeichnen zu wollen.
Weit eher, als die Annahme, er habe mit dem be- sprochenen Ausdruck sich selbst ohne Bezug auf die mes- sianische Würde gemeint, liesse sich vielleicht die umge- kehrte Vermuthung begründen, er möchte wohl öfters, wenn er vom uios tou anthropou sprach, den Messias, aber ohne Bezug auf seine Person, gemeint haben. Wenn er Matth. 10, 23. bei der ersten Aussendung der Zwölfe zur Verkündigung des Gottesreichs diese über die ihnen bevor- stehenden Verfolgungen durch die schon angeführte Ver- sicherung beruhigt, sie werden nicht in allen israelitischen Städten herumgekommen sein, eos an [el]th[e] o uios tou an- thropou: so würde man, diesen Ausspruch für sich genom- men, um so eher an eine dritte Person denken, deren bal- dige messianische Ankunft Jesus verspreche, als er selber, der Redende, ja bereits gekommen war, und man vorläu- fig nicht sieht, wie er sein Kommen als ein erst bevorste- hendes darstellen könne. Ebenso, wenn Jesus Matth. 13, 37 ff. den spe[i]ron der Parabel als den uios tou anthropou deutet, welcher am Ende der Tage Ernte und Gericht hal- ten werde: so könnte er an und für sich auch hier auf
9) Man denke nur an die Bezeichnung jener Davidischen Elegie 2 Sam. 1, 17 ff. durch qeshet, und an die Benennung des Mes- sias als tsemakh. Hätte Schleiermacher diese jüdische Bezeich- nungsweise beachten mögen, so hätte er nicht die Beziehung des uios tou a. auf die Danielische Stelle einen sonderbaren Einfall nennen können (Glaubensl. §. 99. S. 99. Anm.)
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Viertes Kapitel. §. 57.
einen bloſsen Nebenzug, wie hier. die Vergleichung mit ei- nem Menschensohn, zur stehenden Bezeichnung einer Per- son oder Sache zu machen 9). Muſste so der Ausdruck ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου nothwendig an die auf den Messias be- zogene Stelle des Daniel erinnern: so konnte Jesus den- selben unmöglich so oft, und zwar in Verbindungen, wel- che auf den Messias deuteten, gebrauchen, ohne diesen dadurch bezeichnen zu wollen.
Weit eher, als die Annahme, er habe mit dem be- sprochenen Ausdruck sich selbst ohne Bezug auf die mes- sianische Würde gemeint, lieſse sich vielleicht die umge- kehrte Vermuthung begründen, er möchte wohl öfters, wenn er vom υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου sprach, den Messias, aber ohne Bezug auf seine Person, gemeint haben. Wenn er Matth. 10, 23. bei der ersten Aussendung der Zwölfe zur Verkündigung des Gottesreichs diese über die ihnen bevor- stehenden Verfolgungen durch die schon angeführte Ver- sicherung beruhigt, sie werden nicht in allen israëlitischen Städten herumgekommen sein, ἔως ἄν [ἔλ]ϑ[ῃ] ὁ υἱὸς τοῦ ἀν- ϑρώπου: so würde man, diesen Ausspruch für sich genom- men, um so eher an eine dritte Person denken, deren bal- dige messianische Ankunft Jesus verspreche, als er selber, der Redende, ja bereits gekommen war, und man vorläu- fig nicht sieht, wie er sein Kommen als ein erst bevorste- hendes darstellen könne. Ebenso, wenn Jesus Matth. 13, 37 ff. den σπε[ί]ρων der Parabel als den υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου deutet, welcher am Ende der Tage Ernte und Gericht hal- ten werde: so könnte er an und für sich auch hier auf
9) Man denke nur an die Bezeichnung jener Davidischen Elegie 2 Sam. 1, 17 ff. durch קֶשֶׁת, und an die Benennung des Mes- sias als צֶמַח. Hätte Schleiermacher diese jüdische Bezeich- nungsweise beachten mögen, so hätte er nicht die Beziehung des υἱὸς τοῦ ἀ. auf die Danielische Stelle einen sonderbaren Einfall nennen können (Glaubensl. §. 99. S. 99. Anm.)
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Viertes Kapitel. §. 57.
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ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου nothwendig an die auf den Messias be-
zogene Stelle des Daniel erinnern: so konnte Jesus den-
selben unmöglich so oft, und zwar in Verbindungen, wel-
che auf den Messias deuteten, gebrauchen, ohne diesen
dadurch bezeichnen zu wollen.
Weit eher, als die Annahme, er habe mit dem be-
sprochenen Ausdruck sich selbst ohne Bezug auf die mes-
sianische Würde gemeint, lieſse sich vielleicht die umge-
kehrte Vermuthung begründen, er möchte wohl öfters,
wenn er vom υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου sprach, den Messias, aber
ohne Bezug auf seine Person, gemeint haben. Wenn er
Matth. 10, 23. bei der ersten Aussendung der Zwölfe zur
Verkündigung des Gottesreichs diese über die ihnen bevor-
stehenden Verfolgungen durch die schon angeführte Ver-
sicherung beruhigt, sie werden nicht in allen israëlitischen
Städten herumgekommen sein, ἔως ἄν ἔλϑῃ ὁ υἱὸς τοῦ ἀν-
ϑρώπου: so würde man, diesen Ausspruch für sich genom-
men, um so eher an eine dritte Person denken, deren bal-
dige messianische Ankunft Jesus verspreche, als er selber,
der Redende, ja bereits gekommen war, und man vorläu-
fig nicht sieht, wie er sein Kommen als ein erst bevorste-
hendes darstellen könne. Ebenso, wenn Jesus Matth. 13,
37 ff. den σπείρων der Parabel als den υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου
deutet, welcher am Ende der Tage Ernte und Gericht hal-
ten werde: so könnte er an und für sich auch hier auf
9) Man denke nur an die Bezeichnung jener Davidischen Elegie
2 Sam. 1, 17 ff. durch קֶשֶׁת, und an die Benennung des Mes-
sias als צֶמַח. Hätte Schleiermacher diese jüdische Bezeich-
nungsweise beachten mögen, so hätte er nicht die Beziehung
des υἱὸς τοῦ ἀ. auf die Danielische Stelle einen sonderbaren
Einfall nennen können (Glaubensl. §. 99. S. 99. Anm.)
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/491>, abgerufen am 22.11.2024.
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