Grundelement in seinen messianischen Plan aufgenommen habe?
Dass Jesus zum weltlichen Herrscher sich habe auf- werfen wollen, ist von jeher von Gegnern des Christen- thums behauptet, von keinem aber so scharf an der Hand der Exegese durchgeführt worden, als von dem Wolfen- büttler Fragmentisten 1), welcher ihm übrigens hiebei das Streben nach sittlicher Besserung seiner Nation keineswegs absprach. Das Erste, was dem Fragmentisten zufolge für einen politischen Plan Jesu zu sprechen scheint, ist, dass er immer nur schlechtweg das sich nahende Messiasreich ankündigte und die Bedingungen des Eintritts in dasselbe vorlegte, ohne sich näher darüber zu erklären, was es sei und worin es bestehe 2), mithin den Begriff desselben als einen allbekannten voraussetzte. Nun war aber der da- mals herrschende Begriff von demselben überwiegend poli- tisch gefärbt: folglich konnten die Juden, wenn Jesus ohne nähere Erklärung vom Messiasreiche sprach, nur an eine weltliche Herrschaft denken, und da Jesus keine andre Auffassung seiner Worte voraussetzen konnte, so muss er eben so haben verstanden sein wollen. Dasselbe scheint sich daraus zu ergeben, dass er die Apostel, deren Vor- stellungsweise ihm nicht verborgen sein konnte, zur Ver- kündigung des Messiasreichs im Lande umherschickte (Matth. 10). Nun aber hatten diese, welche sich um die oberste Stelle in dem von Jesu zu errichtenden Reiche zankten (Matth. 18, 1. Luc. 22, 24.), von welchen zwei sich bestimmt die Sitze zur Rechten und Linken des messia- nischen Königs ausbaten (Marc. 10, 35 ff.), welche selbst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu noch ein apo- kathisanein ten basileian to Israel erwarteten (A. G. 1, 6), diese hatten doch offenbar von Anfang bis zum Ende ihres
1) Von dem Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 108--157.
2) Vgl. Fritzsche, in Matth. S. 114.
Zweiter Abschnitt.
Grundelement in seinen messianischen Plan aufgenommen habe?
Daſs Jesus zum weltlichen Herrscher sich habe auf- werfen wollen, ist von jeher von Gegnern des Christen- thums behauptet, von keinem aber so scharf an der Hand der Exegese durchgeführt worden, als von dem Wolfen- büttler Fragmentisten 1), welcher ihm übrigens hiebei das Streben nach sittlicher Besserung seiner Nation keineswegs absprach. Das Erste, was dem Fragmentisten zufolge für einen politischen Plan Jesu zu sprechen scheint, ist, daſs er immer nur schlechtweg das sich nahende Messiasreich ankündigte und die Bedingungen des Eintritts in dasselbe vorlegte, ohne sich näher darüber zu erklären, was es sei und worin es bestehe 2), mithin den Begriff desselben als einen allbekannten voraussetzte. Nun war aber der da- mals herrschende Begriff von demselben überwiegend poli- tisch gefärbt: folglich konnten die Juden, wenn Jesus ohne nähere Erklärung vom Messiasreiche sprach, nur an eine weltliche Herrschaft denken, und da Jesus keine andre Auffassung seiner Worte voraussetzen konnte, so muſs er eben so haben verstanden sein wollen. Dasselbe scheint sich daraus zu ergeben, daſs er die Apostel, deren Vor- stellungsweise ihm nicht verborgen sein konnte, zur Ver- kündigung des Messiasreichs im Lande umherschickte (Matth. 10). Nun aber hatten diese, welche sich um die oberste Stelle in dem von Jesu zu errichtenden Reiche zankten (Matth. 18, 1. Luc. 22, 24.), von welchen zwei sich bestimmt die Sitze zur Rechten und Linken des messia- nischen Königs ausbaten (Marc. 10, 35 ff.), welche selbst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu noch ein ἀπο- καϑιςάνειν τὴν βασιλείαν τῷ Ἰσραὴλ erwarteten (A. G. 1, 6), diese hatten doch offenbar von Anfang bis zum Ende ihres
1) Von dem Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 108—157.
2) Vgl. Fritzsche, in Matth. S. 114.
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Zweiter Abschnitt.
Grundelement in seinen messianischen Plan aufgenommen
habe?
Daſs Jesus zum weltlichen Herrscher sich habe auf-
werfen wollen, ist von jeher von Gegnern des Christen-
thums behauptet, von keinem aber so scharf an der Hand
der Exegese durchgeführt worden, als von dem Wolfen-
büttler Fragmentisten 1), welcher ihm übrigens hiebei das
Streben nach sittlicher Besserung seiner Nation keineswegs
absprach. Das Erste, was dem Fragmentisten zufolge für
einen politischen Plan Jesu zu sprechen scheint, ist, daſs
er immer nur schlechtweg das sich nahende Messiasreich
ankündigte und die Bedingungen des Eintritts in dasselbe
vorlegte, ohne sich näher darüber zu erklären, was es sei
und worin es bestehe 2), mithin den Begriff desselben als
einen allbekannten voraussetzte. Nun war aber der da-
mals herrschende Begriff von demselben überwiegend poli-
tisch gefärbt: folglich konnten die Juden, wenn Jesus ohne
nähere Erklärung vom Messiasreiche sprach, nur an eine
weltliche Herrschaft denken, und da Jesus keine andre
Auffassung seiner Worte voraussetzen konnte, so muſs er
eben so haben verstanden sein wollen. Dasselbe scheint
sich daraus zu ergeben, daſs er die Apostel, deren Vor-
stellungsweise ihm nicht verborgen sein konnte, zur Ver-
kündigung des Messiasreichs im Lande umherschickte
(Matth. 10). Nun aber hatten diese, welche sich um die
oberste Stelle in dem von Jesu zu errichtenden Reiche
zankten (Matth. 18, 1. Luc. 22, 24.), von welchen zwei
sich bestimmt die Sitze zur Rechten und Linken des messia-
nischen Königs ausbaten (Marc. 10, 35 ff.), welche selbst
nach dem Tod und der Auferstehung Jesu noch ein ἀπο-
καϑιςάνειν τὴν βασιλείαν τῷ Ἰσραὴλ erwarteten (A. G. 1, 6),
diese hatten doch offenbar von Anfang bis zum Ende ihres
1) Von dem Zweck Jesu und seiner Jünger, S. 108—157.
2) Vgl. Fritzsche, in Matth. S. 114.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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