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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 61.
Umgangs mit Jesu ganz die gewöhnlichen Vorstellungen
vom Messias: wenn also Jesus sie als Herolde seines Rei-
ches aussandte, so muss es in seiner Absicht gelegen ha-
ben, dass sie aller Orten ihre politischen Messiasbegriffe
verbreiten sollten.

Unter den eigenen Reden Jesu lässt sich besonders
Eine hervorheben. Matth. 19, 28. (vrgl. Luc. 22, 30.) ver-
heisst er auf die Anfrage des Petrus, was ihnen, die um
seinetwillen Alles verlassen haben, dafür werden würde?
seinen Jüngern, dass sie in der paliggenesia, wenn des
Menschen Sohn seinen herrlichen Thron bestiegen haben
werde, selbst auch auf 12 Stühlen sitzen und die 12 Stäm-
me Israels richten sollen. Dass der nächste Wortsinn die-
ser Verheissung dem Zusammenhang der weltlichen Messias-
hoffnungen der damaligen Juden angehöre, darf als einge-
standen vorausgesetzt werden. Aber Jesus soll sie nicht
wörtlich, sondern uneigentlich gemeint, und durch ge-
wohnte jüdische Bilder nur diess haben ausdrücken wollen,
dass die Apostel für ihre hier gemachten Aufopferungen in
jenem Leben durch die Theilnahme an seiner Herrlichkeit
reichlich entschädigt werden würden 3). Allein die Jün-
ger müssen diese Rede eigentlich verstanden haben, wenn
doch selbst nach Jesu Auferstehung noch ähnliche Gedan-
ken in ihnen wohnten, und da Jesus ihre Geneigtheit zu
irdischen Messiashoffnungen aus mehreren Proben kannte,
so würde er sich schwerlich jenes Versprechen erlaubt
haben, wenn er nicht beabsichtigte, diese Erwartungen in
ihnen zu nähren. Dass er diess, ohne sie selbst zu thei-
len, aus bloser Accommodation an die Jünger, um ihren
Muth zu befeuern, gethan habe, diese Voraussetzung lässt
ihn unredlich handeln, und diess im gegebenen Fall

3) Kuinöl, Comm. in Matth. S. 518 ff. Auch Olshausen, S. 744,
fasst die Rede symbolisch, ob er gleich einen andern Sinn
in derselben findet.

Viertes Kapitel. §. 61.
Umgangs mit Jesu ganz die gewöhnlichen Vorstellungen
vom Messias: wenn also Jesus sie als Herolde seines Rei-
ches aussandte, so muſs es in seiner Absicht gelegen ha-
ben, daſs sie aller Orten ihre politischen Messiasbegriffe
verbreiten sollten.

Unter den eigenen Reden Jesu läſst sich besonders
Eine hervorheben. Matth. 19, 28. (vrgl. Luc. 22, 30.) ver-
heiſst er auf die Anfrage des Petrus, was ihnen, die um
seinetwillen Alles verlassen haben, dafür werden würde?
seinen Jüngern, daſs sie in der παλιγγενεσία, wenn des
Menschen Sohn seinen herrlichen Thron bestiegen haben
werde, selbst auch auf 12 Stühlen sitzen und die 12 Stäm-
me Israëls richten sollen. Daſs der nächste Wortsinn die-
ser Verheiſsung dem Zusammenhang der weltlichen Messias-
hoffnungen der damaligen Juden angehöre, darf als einge-
standen vorausgesetzt werden. Aber Jesus soll sie nicht
wörtlich, sondern uneigentlich gemeint, und durch ge-
wohnte jüdische Bilder nur dieſs haben ausdrücken wollen,
daſs die Apostel für ihre hier gemachten Aufopferungen in
jenem Leben durch die Theilnahme an seiner Herrlichkeit
reichlich entschädigt werden würden 3). Allein die Jün-
ger müssen diese Rede eigentlich verstanden haben, wenn
doch selbst nach Jesu Auferstehung noch ähnliche Gedan-
ken in ihnen wohnten, und da Jesus ihre Geneigtheit zu
irdischen Messiashoffnungen aus mehreren Proben kannte,
so würde er sich schwerlich jenes Versprechen erlaubt
haben, wenn er nicht beabsichtigte, diese Erwartungen in
ihnen zu nähren. Daſs er dieſs, ohne sie selbst zu thei-
len, aus bloser Accommodation an die Jünger, um ihren
Muth zu befeuern, gethan habe, diese Voraussetzung läſst
ihn unredlich handeln, und dieſs im gegebenen Fall

3) Kuinöl, Comm. in Matth. S. 518 ff. Auch Olshausen, S. 744,
fasst die Rede symbolisch, ob er gleich einen andern Sinn
in derselben findet.
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[489/0513] Viertes Kapitel. §. 61. Umgangs mit Jesu ganz die gewöhnlichen Vorstellungen vom Messias: wenn also Jesus sie als Herolde seines Rei- ches aussandte, so muſs es in seiner Absicht gelegen ha- ben, daſs sie aller Orten ihre politischen Messiasbegriffe verbreiten sollten. Unter den eigenen Reden Jesu läſst sich besonders Eine hervorheben. Matth. 19, 28. (vrgl. Luc. 22, 30.) ver- heiſst er auf die Anfrage des Petrus, was ihnen, die um seinetwillen Alles verlassen haben, dafür werden würde? seinen Jüngern, daſs sie in der παλιγγενεσία, wenn des Menschen Sohn seinen herrlichen Thron bestiegen haben werde, selbst auch auf 12 Stühlen sitzen und die 12 Stäm- me Israëls richten sollen. Daſs der nächste Wortsinn die- ser Verheiſsung dem Zusammenhang der weltlichen Messias- hoffnungen der damaligen Juden angehöre, darf als einge- standen vorausgesetzt werden. Aber Jesus soll sie nicht wörtlich, sondern uneigentlich gemeint, und durch ge- wohnte jüdische Bilder nur dieſs haben ausdrücken wollen, daſs die Apostel für ihre hier gemachten Aufopferungen in jenem Leben durch die Theilnahme an seiner Herrlichkeit reichlich entschädigt werden würden 3). Allein die Jün- ger müssen diese Rede eigentlich verstanden haben, wenn doch selbst nach Jesu Auferstehung noch ähnliche Gedan- ken in ihnen wohnten, und da Jesus ihre Geneigtheit zu irdischen Messiashoffnungen aus mehreren Proben kannte, so würde er sich schwerlich jenes Versprechen erlaubt haben, wenn er nicht beabsichtigte, diese Erwartungen in ihnen zu nähren. Daſs er dieſs, ohne sie selbst zu thei- len, aus bloser Accommodation an die Jünger, um ihren Muth zu befeuern, gethan habe, diese Voraussetzung läſst ihn unredlich handeln, und dieſs im gegebenen Fall 3) Kuinöl, Comm. in Matth. S. 518 ff. Auch Olshausen, S. 744, fasst die Rede symbolisch, ob er gleich einen andern Sinn in derselben findet.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/513>, abgerufen am 22.11.2024.