Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 64. zu beschränken, da er vielmehr 8, 11 f., 21, 33 ff., 22, 1 ff.28, 19 f. Jesum deutlich von der Berufung der Heiden spre- chen lässt: so hatte er keinen Anlass, einen so partikulari- stischen Zusatz zu machen; wohl aber die andern, das Dik- tum, zur Vermeidung des Anstosses bei den nunmehr auf- genommenen Heiden, wegzulassen. Da es aber bei Mat- thäus stehen geblieben ist, so sucht die Auslegung den An- stoss dadurch zu entfernen, dass sie die Vorschrift Jesu als blosse Klugheitsmassregel darstellt 2), und es ist nicht in Abrede zu stellen, dass Jesus, wenn auch seine Plane auf Heiden wie auf Juden giengen, doch, um es mit sei- nen Volksgenossen nicht für immer zu verderben, für den Anfang jene Einschränkung sich und den Jüngern zur Regel machen musste. Hieraus liesse sich, wie es scheint, auch Jesu eigenes Verfahren bei einer andern Gelegenheit erklären, wo er der Bitte des kananäischen Weibes um Heilung ihrer kranken Tochter desswegen nicht entspre- chen will, weil er nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt sei (Matth. 15, 24). Indessen han- delte es sich hier nicht um Einladung zum messianischen Reich, sondern nur um eine einzelne, zeitliche Wohlthat, wie dergleichen schon Elias und Elisa auch Nichtisraeli- ten erwiesen hatten (1 Kön. 17, 9 ff; 2 Kön. 5, 1 ff.), wor- auf sich Jesus sonst beruft (Luc. 4, 25 ff). Desswegen fan- den auch die Jünger es natürlich und unanstössig, der Frau ihre Bitte zu gewähren, und jene blosse Klugheitsrücksicht kann es nicht gewesen sein, welche Jesum davon eine Weile zurückhielt. Damit nun nicht eine Abneigung ge- gen Heiden als dieser Grund sich zeige, hat man vermu- thet, um das Incognito nicht zu brechen, das er nach Markus (7, 25.) in jener Gegend suchte, habe Jesus kein messianisches Werk thun mögen 3). Dann aber musste er 2) So Reinhard, a. a. O.; Planck, Geschichte des Christen- thums in der Per. seiner Einführung, 1, S. 179 ff. 3) Paulus, Leben Jesu, 1, a, S. 380 f. Hase, L. J. §. 95.
Viertes Kapitel. §. 64. zu beschränken, da er vielmehr 8, 11 f., 21, 33 ff., 22, 1 ff.28, 19 f. Jesum deutlich von der Berufung der Heiden spre- chen läſst: so hatte er keinen Anlaſs, einen so partikulari- stischen Zusatz zu machen; wohl aber die andern, das Dik- tum, zur Vermeidung des Anstoſses bei den nunmehr auf- genommenen Heiden, wegzulassen. Da es aber bei Mat- thäus stehen geblieben ist, so sucht die Auslegung den An- stoſs dadurch zu entfernen, daſs sie die Vorschrift Jesu als bloſse Klugheitsmaſsregel darstellt 2), und es ist nicht in Abrede zu stellen, daſs Jesus, wenn auch seine Plane auf Heiden wie auf Juden giengen, doch, um es mit sei- nen Volksgenossen nicht für immer zu verderben, für den Anfang jene Einschränkung sich und den Jüngern zur Regel machen muſste. Hieraus lieſse sich, wie es scheint, auch Jesu eigenes Verfahren bei einer andern Gelegenheit erklären, wo er der Bitte des kananäischen Weibes um Heilung ihrer kranken Tochter deſswegen nicht entspre- chen will, weil er nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israël gesandt sei (Matth. 15, 24). Indessen han- delte es sich hier nicht um Einladung zum messianischen Reich, sondern nur um eine einzelne, zeitliche Wohlthat, wie dergleichen schon Elias und Elisa auch Nichtisraëli- ten erwiesen hatten (1 Kön. 17, 9 ff; 2 Kön. 5, 1 ff.), wor- auf sich Jesus sonst beruft (Luc. 4, 25 ff). Deſswegen fan- den auch die Jünger es natürlich und unanstöſsig, der Frau ihre Bitte zu gewähren, und jene bloſse Klugheitsrücksicht kann es nicht gewesen sein, welche Jesum davon eine Weile zurückhielt. Damit nun nicht eine Abneigung ge- gen Heiden als dieser Grund sich zeige, hat man vermu- thet, um das Incognito nicht zu brechen, das er nach Markus (7, 25.) in jener Gegend suchte, habe Jesus kein messianisches Werk thun mögen 3). Dann aber muſste er 2) So Reinhard, a. a. O.; Planck, Geschichte des Christen- thums in der Per. seiner Einführung, 1, S. 179 ff. 3) Paulus, Leben Jesu, 1, a, S. 380 f. Hase, L. J. §. 95.
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Viertes Kapitel. §. 64.
zu beschränken, da er vielmehr 8, 11 f., 21, 33 ff., 22, 1 ff.
28, 19 f. Jesum deutlich von der Berufung der Heiden spre-
chen läſst: so hatte er keinen Anlaſs, einen so partikulari-
stischen Zusatz zu machen; wohl aber die andern, das Dik-
tum, zur Vermeidung des Anstoſses bei den nunmehr auf-
genommenen Heiden, wegzulassen. Da es aber bei Mat-
thäus stehen geblieben ist, so sucht die Auslegung den An-
stoſs dadurch zu entfernen, daſs sie die Vorschrift Jesu
als bloſse Klugheitsmaſsregel darstellt 2), und es ist nicht
in Abrede zu stellen, daſs Jesus, wenn auch seine Plane
auf Heiden wie auf Juden giengen, doch, um es mit sei-
nen Volksgenossen nicht für immer zu verderben, für den
Anfang jene Einschränkung sich und den Jüngern zur
Regel machen muſste. Hieraus lieſse sich, wie es scheint,
auch Jesu eigenes Verfahren bei einer andern Gelegenheit
erklären, wo er der Bitte des kananäischen Weibes um
Heilung ihrer kranken Tochter deſswegen nicht entspre-
chen will, weil er nur zu den verlorenen Schafen des
Hauses Israël gesandt sei (Matth. 15, 24). Indessen han-
delte es sich hier nicht um Einladung zum messianischen
Reich, sondern nur um eine einzelne, zeitliche Wohlthat,
wie dergleichen schon Elias und Elisa auch Nichtisraëli-
ten erwiesen hatten (1 Kön. 17, 9 ff; 2 Kön. 5, 1 ff.), wor-
auf sich Jesus sonst beruft (Luc. 4, 25 ff). Deſswegen fan-
den auch die Jünger es natürlich und unanstöſsig, der Frau
ihre Bitte zu gewähren, und jene bloſse Klugheitsrücksicht
kann es nicht gewesen sein, welche Jesum davon eine
Weile zurückhielt. Damit nun nicht eine Abneigung ge-
gen Heiden als dieser Grund sich zeige, hat man vermu-
thet, um das Incognito nicht zu brechen, das er nach
Markus (7, 25.) in jener Gegend suchte, habe Jesus kein
messianisches Werk thun mögen 3). Dann aber muſste er
2) So Reinhard, a. a. O.; Planck, Geschichte des Christen-
thums in der Per. seiner Einführung, 1, S. 179 ff.
3) Paulus, Leben Jesu, 1, a, S. 380 f. Hase, L. J. §. 95.
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