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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 67.
licher Zufall. Tiefer in den See hineinfahren wollte Jesus
nach Paulus 2) zuerst nur, um das Volk zu entlassen, und
erst als er im Hinfahren einen fischreichen Platz zu be-
merken glaubte, forderte er den Petrus auf, hier das Netz
auszuwerfen. Ein doppelter Widerspruch gegen die evan-
gelische Erzählung. Wenn doch Jesus in unmittelbarer
Verbindung sagt: epanagage eis to bathos, kai khalasate
ta diktua k. t. l. so hatte er offenbar schon bei der Ab-
fahrt die Absicht, einen Fischzug zu veranlassen, und
sprach er diese schon am Ufer aus, so konnte seine Hoff-
nung auf einen glücklichen Fang nicht Resultat der Beobach-
tung einer fischreichen Stelle auf der Höhe des Sees sein,
die sie noch gar nicht erreicht hatten. Man müsste also
mit dem Verfasser der natürlichen Geschichte sagen, Jesus
habe überhaupt vermuthet, dass unter den gegebenen Um-
ständen (vielleicht bei herannahendem Sturme) der Fang
auf der Mitte des Sees jezt besser als in der Nacht gelin-
gen werde 3). Allein, vom natürlichen Gesichtspunkt aus-
gegangen, wie sollte Jesus diess besser zu beurtheilen ge-
wusst haben, als die Männer, welche ihr halbes Leben als
Fischer auf dem See zugebracht hatten? Gewiss, bemerk-
ten die Fischer nichts, was ihnen zu einem guten Fange
Hoffnung machen konnte: so kann auch Jesus etwas der
Art natürlicherweise nicht bemerkt haben, und das Zusam-
mentreffen des Erfolgs mit seinem Worte muss, den natür-
lichen Standpunkt festgehalten, rein auf Rechnung des Zu-
falls geschrieben werden. Doch welche unbesonnene Ver-
messenheit, so auf Gerathewohl etwas zu versprechen, was
nach dem Vorgang der verflossenen Nacht eher fehlschla-
gen als gelingen konnte! Aber, sagt man, Jesus fordert
ja den Petrus auch nur auf, noch einen Versuch zu machen,
ohne ihm etwas Bestimmtes zu versprechen 4). Allein in

2) Exeg. Handb. 1, b, S. 449.
3) 2, S. 159.
4) Paulus, a. a. O.

Fünftes Kapitel. §. 67.
licher Zufall. Tiefer in den See hineinfahren wollte Jesus
nach Paulus 2) zuerst nur, um das Volk zu entlassen, und
erst als er im Hinfahren einen fischreichen Platz zu be-
merken glaubte, forderte er den Petrus auf, hier das Netz
auszuwerfen. Ein doppelter Widerspruch gegen die evan-
gelische Erzählung. Wenn doch Jesus in unmittelbarer
Verbindung sagt: ἐπανάγαγε εἰς τὸ βάϑος, καὶ χαλάσατε
τὰ δίκτυα κ. τ. λ. so hatte er offenbar schon bei der Ab-
fahrt die Absicht, einen Fischzug zu veranlassen, und
sprach er diese schon am Ufer aus, so konnte seine Hoff-
nung auf einen glücklichen Fang nicht Resultat der Beobach-
tung einer fischreichen Stelle auf der Höhe des Sees sein,
die sie noch gar nicht erreicht hatten. Man müſste also
mit dem Verfasser der natürlichen Geschichte sagen, Jesus
habe überhaupt vermuthet, daſs unter den gegebenen Um-
ständen (vielleicht bei herannahendem Sturme) der Fang
auf der Mitte des Sees jezt besser als in der Nacht gelin-
gen werde 3). Allein, vom natürlichen Gesichtspunkt aus-
gegangen, wie sollte Jesus dieſs besser zu beurtheilen ge-
wuſst haben, als die Männer, welche ihr halbes Leben als
Fischer auf dem See zugebracht hatten? Gewiſs, bemerk-
ten die Fischer nichts, was ihnen zu einem guten Fange
Hoffnung machen konnte: so kann auch Jesus etwas der
Art natürlicherweise nicht bemerkt haben, und das Zusam-
mentreffen des Erfolgs mit seinem Worte muſs, den natür-
lichen Standpunkt festgehalten, rein auf Rechnung des Zu-
falls geschrieben werden. Doch welche unbesonnene Ver-
messenheit, so auf Gerathewohl etwas zu versprechen, was
nach dem Vorgang der verflossenen Nacht eher fehlschla-
gen als gelingen konnte! Aber, sagt man, Jesus fordert
ja den Petrus auch nur auf, noch einen Versuch zu machen,
ohne ihm etwas Bestimmtes zu versprechen 4). Allein in

2) Exeg. Handb. 1, b, S. 449.
3) 2, S. 159.
4) Paulus, a. a. O.
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[533/0557] Fünftes Kapitel. §. 67. licher Zufall. Tiefer in den See hineinfahren wollte Jesus nach Paulus 2) zuerst nur, um das Volk zu entlassen, und erst als er im Hinfahren einen fischreichen Platz zu be- merken glaubte, forderte er den Petrus auf, hier das Netz auszuwerfen. Ein doppelter Widerspruch gegen die evan- gelische Erzählung. Wenn doch Jesus in unmittelbarer Verbindung sagt: ἐπανάγαγε εἰς τὸ βάϑος, καὶ χαλάσατε τὰ δίκτυα κ. τ. λ. so hatte er offenbar schon bei der Ab- fahrt die Absicht, einen Fischzug zu veranlassen, und sprach er diese schon am Ufer aus, so konnte seine Hoff- nung auf einen glücklichen Fang nicht Resultat der Beobach- tung einer fischreichen Stelle auf der Höhe des Sees sein, die sie noch gar nicht erreicht hatten. Man müſste also mit dem Verfasser der natürlichen Geschichte sagen, Jesus habe überhaupt vermuthet, daſs unter den gegebenen Um- ständen (vielleicht bei herannahendem Sturme) der Fang auf der Mitte des Sees jezt besser als in der Nacht gelin- gen werde 3). Allein, vom natürlichen Gesichtspunkt aus- gegangen, wie sollte Jesus dieſs besser zu beurtheilen ge- wuſst haben, als die Männer, welche ihr halbes Leben als Fischer auf dem See zugebracht hatten? Gewiſs, bemerk- ten die Fischer nichts, was ihnen zu einem guten Fange Hoffnung machen konnte: so kann auch Jesus etwas der Art natürlicherweise nicht bemerkt haben, und das Zusam- mentreffen des Erfolgs mit seinem Worte muſs, den natür- lichen Standpunkt festgehalten, rein auf Rechnung des Zu- falls geschrieben werden. Doch welche unbesonnene Ver- messenheit, so auf Gerathewohl etwas zu versprechen, was nach dem Vorgang der verflossenen Nacht eher fehlschla- gen als gelingen konnte! Aber, sagt man, Jesus fordert ja den Petrus auch nur auf, noch einen Versuch zu machen, ohne ihm etwas Bestimmtes zu versprechen 4). Allein in 2) Exeg. Handb. 1, b, S. 449. 3) 2, S. 159. 4) Paulus, a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/557>, abgerufen am 21.11.2024.