[s]einer bestimmten Aufforderung, welche sich auch durch die Bemerkung des Petrus, wie ungünstig die Umstände dem Fange seien, nicht irren lässt, liegt doch zugleich ein Versprechen, und schwerlich hat das khalasate k. t. l. in unsrer Stelle einen andern Sinn, als bei der ähnlichen Sce- ne Joh. 21. das balete eis ta dexia mere tou ploiou to dik- tuon, kai euresete (V. 6.). Wenn ferner Petrus selbst seine Bedenklichkeit in den Worten zurücknimmt: epi de to Remati sou khalaso to diktuon, so mag zwar Rema nicht geradezu durch Zusage, sondern durch Befehl zu überse- zen sein, in jedem Falle aber liegt die Hoffnung darin, dass, was Jesus gebiete, nicht erfolglos sein werde. Diese Hoffnung, wenn sie Jesus nicht hatte erregen wollen, muss- te er alsbald wieder niederschlagen, um sich nicht der Be- schämung durch einen etwaigen ungünstigen Erfolg auszu- setzen, und in keinem Falle durfte er nach gelungenem Fang den Fussfall des Petrus annehmen, wenn er ihn nicht bes- ser, als durch einen auf gut Glück gegebenen Rath ver- dient hatte.
Es bleibt also der ganzen Tendenz der Erzählung zu- folge nichts übrig, als hier ein Wunder anzuerkennen; was nun entweder mehr als Wunder der Wirksamkeit oder des Wissens gefasst werden kann. Zunächst ergäbe sich die erste Auffassungsweise, dass Jesus durch seine Wunder- macht die Fische im See dahin zusammengetrieben hätte, wo er den Petrus das Netz auswerfen hiess. Nun dass Je- sus auf Menschen, an deren Geist seine Geisteskraft ei- nen Anknüpfungspunkt hatte, unmittelbar durch seinen Willen einzuwirken vermochte, diess kann man sich viel- leicht noch denken, ohne von den Gesetzen psychologischer Wirksamkeit allzuweit abzukommen; aber wie er auf ver- nunftlose Wesen, und zwar nicht auf einzelne und ihm unmittelbar gegenwärtige, sondern auf Schaaren von Fischen in der Tiefe eines Sees auf diese Weise habe wirken kön- nen, das lässt sich nicht vorstellig machen, ohne in das
Zweiter Abschnitt.
[s]einer bestimmten Aufforderung, welche sich auch durch die Bemerkung des Petrus, wie ungünstig die Umstände dem Fange seien, nicht irren läſst, liegt doch zugleich ein Versprechen, und schwerlich hat das χαλάσατε κ. τ. λ. in unsrer Stelle einen andern Sinn, als bei der ähnlichen Sce- ne Joh. 21. das βάλετε εἰς τὰ δεξιὰ μέρη τοῦ πλοίου τὸ δίκ- τυον, καὶ εὑρήσετε (V. 6.). Wenn ferner Petrus selbst seine Bedenklichkeit in den Worten zurücknimmt: ἐπὶ δὲ τῷ ῥήματί σου χαλάσω τὸ δίκτυον, so mag zwar ῥῆμα nicht geradezu durch Zusage, sondern durch Befehl zu überse- zen sein, in jedem Falle aber liegt die Hoffnung darin, daſs, was Jesus gebiete, nicht erfolglos sein werde. Diese Hoffnung, wenn sie Jesus nicht hatte erregen wollen, muſs- te er alsbald wieder niederschlagen, um sich nicht der Be- schämung durch einen etwaigen ungünstigen Erfolg auszu- setzen, und in keinem Falle durfte er nach gelungenem Fang den Fuſsfall des Petrus annehmen, wenn er ihn nicht bes- ser, als durch einen auf gut Glück gegebenen Rath ver- dient hatte.
Es bleibt also der ganzen Tendenz der Erzählung zu- folge nichts übrig, als hier ein Wunder anzuerkennen; was nun entweder mehr als Wunder der Wirksamkeit oder des Wissens gefaſst werden kann. Zunächst ergäbe sich die erste Auffassungsweise, daſs Jesus durch seine Wunder- macht die Fische im See dahin zusammengetrieben hätte, wo er den Petrus das Netz auswerfen hieſs. Nun daſs Je- sus auf Menschen, an deren Geist seine Geisteskraft ei- nen Anknüpfungspunkt hatte, unmittelbar durch seinen Willen einzuwirken vermochte, dieſs kann man sich viel- leicht noch denken, ohne von den Gesetzen psychologischer Wirksamkeit allzuweit abzukommen; aber wie er auf ver- nunftlose Wesen, und zwar nicht auf einzelne und ihm unmittelbar gegenwärtige, sondern auf Schaaren von Fischen in der Tiefe eines Sees auf diese Weise habe wirken kön- nen, das läſst sich nicht vorstellig machen, ohne in das
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Zweiter Abschnitt.
seiner bestimmten Aufforderung, welche sich auch durch
die Bemerkung des Petrus, wie ungünstig die Umstände
dem Fange seien, nicht irren läſst, liegt doch zugleich ein
Versprechen, und schwerlich hat das χαλάσατε κ. τ. λ. in
unsrer Stelle einen andern Sinn, als bei der ähnlichen Sce-
ne Joh. 21. das βάλετε εἰς τὰ δεξιὰ μέρη τοῦ πλοίου τὸ δίκ-
τυον, καὶ εὑρήσετε (V. 6.). Wenn ferner Petrus selbst
seine Bedenklichkeit in den Worten zurücknimmt: ἐπὶ δὲ
τῷ ῥήματί σου χαλάσω τὸ δίκτυον, so mag zwar ῥῆμα nicht
geradezu durch Zusage, sondern durch Befehl zu überse-
zen sein, in jedem Falle aber liegt die Hoffnung darin,
daſs, was Jesus gebiete, nicht erfolglos sein werde. Diese
Hoffnung, wenn sie Jesus nicht hatte erregen wollen, muſs-
te er alsbald wieder niederschlagen, um sich nicht der Be-
schämung durch einen etwaigen ungünstigen Erfolg auszu-
setzen, und in keinem Falle durfte er nach gelungenem Fang
den Fuſsfall des Petrus annehmen, wenn er ihn nicht bes-
ser, als durch einen auf gut Glück gegebenen Rath ver-
dient hatte.
Es bleibt also der ganzen Tendenz der Erzählung zu-
folge nichts übrig, als hier ein Wunder anzuerkennen; was
nun entweder mehr als Wunder der Wirksamkeit oder des
Wissens gefaſst werden kann. Zunächst ergäbe sich die
erste Auffassungsweise, daſs Jesus durch seine Wunder-
macht die Fische im See dahin zusammengetrieben hätte,
wo er den Petrus das Netz auswerfen hieſs. Nun daſs Je-
sus auf Menschen, an deren Geist seine Geisteskraft ei-
nen Anknüpfungspunkt hatte, unmittelbar durch seinen
Willen einzuwirken vermochte, dieſs kann man sich viel-
leicht noch denken, ohne von den Gesetzen psychologischer
Wirksamkeit allzuweit abzukommen; aber wie er auf ver-
nunftlose Wesen, und zwar nicht auf einzelne und ihm
unmittelbar gegenwärtige, sondern auf Schaaren von Fischen
in der Tiefe eines Sees auf diese Weise habe wirken kön-
nen, das läſst sich nicht vorstellig machen, ohne in das
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 534. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/558>, abgerufen am 21.11.2024.
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