die Erzählungen, namentlich die beiden ersten. Dagegen ist es völlig im Ton der Sage, des Zöllners Freude und Jesu Herablassung gegen ihn dadurch auszudrücken, und zu- gleich die folgenden Vorwürfe wegen der Sünderfreund- schaft dadurch anzuknüpfen, dass sie unmittelbar auf die Be- rufung ein grosses Zöllnermahl bei dem Berufenen fol- gen liess.
Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dieser Erzäh- lung noch der Umstand, dass, nach der gewöhnlichen Vor- aussetzung über den Verfasser des ersten Evangeliums, in diesem Matthäus selbst die Geschichte seiner Berufung er- zählen würde. Dass nun positive Spuren hievon in der Erzählung sich keine finden, ist als eingestanden anzuneh- men, und es fragt sich daher nur, ob keine negativen vor- handen sind, die jene Annahme unmöglich machen? Dass der Evangelist hier nicht in der ersten Person von sieh re- det, und nicht sofort diejenigen Begebenheiten, welche er selbst miterlebte, in der ersten Person des Plural, wie der Verfasser der A.G., vorträgt, diess freilich kann noch nichts beweisen, da auch ein Cäsar und andre Historiker von sich in der dritten Person schreiben, und das Wir des Pseudomatthäus im Ebionitenevangelium gerade höchst verdächtig klingt. Aber dass er sich selbst durch den al- lerfremdesten Ausdruck: anthropon, Matthaion legomenon bezeichnet, diess geht doch darüber hinaus, aus treuer Hin- gabe an den Gegenstand und naiver Reflexionslosigkeit er- klärt werden zu können 10), und man wird es mit Schulz11) als ein Zeichen ansehen müssen, dass der Verfasser des ersten Evangeliums nicht eben dieser Matthäus war. Auch das Übrige erzählt das erste Evangelium weit weniger an- schaulich, als namentlich das dritte; man weiss dort nicht, wie auf einmal von einem anakeisthai en te oikia die Re-
10)Olshausen, 1, S. 315.
11) Über das Abendmahl, S. 308.
Das Leben Jesu I. Band. 35
Fünftes Kapitel. §. 68.
die Erzählungen, namentlich die beiden ersten. Dagegen ist es völlig im Ton der Sage, des Zöllners Freude und Jesu Herablassung gegen ihn dadurch auszudrücken, und zu- gleich die folgenden Vorwürfe wegen der Sünderfreund- schaft dadurch anzuknüpfen, daſs sie unmittelbar auf die Be- rufung ein groſses Zöllnermahl bei dem Berufenen fol- gen lieſs.
Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dieser Erzäh- lung noch der Umstand, daſs, nach der gewöhnlichen Vor- aussetzung über den Verfasser des ersten Evangeliums, in diesem Matthäus selbst die Geschichte seiner Berufung er- zählen würde. Daſs nun positive Spuren hievon in der Erzählung sich keine finden, ist als eingestanden anzuneh- men, und es fragt sich daher nur, ob keine negativen vor- handen sind, die jene Annahme unmöglich machen? Daſs der Evangelist hier nicht in der ersten Person von sieh re- det, und nicht sofort diejenigen Begebenheiten, welche er selbst miterlebte, in der ersten Person des Plural, wie der Verfasser der A.G., vorträgt, dieſs freilich kann noch nichts beweisen, da auch ein Cäsar und andre Historiker von sich in der dritten Person schreiben, und das Wir des Pseudomatthäus im Ebionitenevangelium gerade höchst verdächtig klingt. Aber daſs er sich selbst durch den al- lerfremdesten Ausdruck: ἂνϑρωπον, Ματϑαῖον λεγόμενον bezeichnet, dieſs geht doch darüber hinaus, aus treuer Hin- gabe an den Gegenstand und naiver Reflexionslosigkeit er- klärt werden zu können 10), und man wird es mit Schulz11) als ein Zeichen ansehen müssen, daſs der Verfasser des ersten Evangeliums nicht eben dieser Matthäus war. Auch das Übrige erzählt das erste Evangelium weit weniger an- schaulich, als namentlich das dritte; man weiſs dort nicht, wie auf einmal von einem ἀνακεῖσϑαι ἐν τῇ οἰκίᾳ die Re-
10)Olshausen, 1, S. 315.
11) Über das Abendmahl, S. 308.
Das Leben Jesu I. Band. 35
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Fünftes Kapitel. §. 68.
die Erzählungen, namentlich die beiden ersten. Dagegen
ist es völlig im Ton der Sage, des Zöllners Freude und Jesu
Herablassung gegen ihn dadurch auszudrücken, und zu-
gleich die folgenden Vorwürfe wegen der Sünderfreund-
schaft dadurch anzuknüpfen, daſs sie unmittelbar auf die Be-
rufung ein groſses Zöllnermahl bei dem Berufenen fol-
gen lieſs.
Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dieser Erzäh-
lung noch der Umstand, daſs, nach der gewöhnlichen Vor-
aussetzung über den Verfasser des ersten Evangeliums, in
diesem Matthäus selbst die Geschichte seiner Berufung er-
zählen würde. Daſs nun positive Spuren hievon in der
Erzählung sich keine finden, ist als eingestanden anzuneh-
men, und es fragt sich daher nur, ob keine negativen vor-
handen sind, die jene Annahme unmöglich machen? Daſs
der Evangelist hier nicht in der ersten Person von sieh re-
det, und nicht sofort diejenigen Begebenheiten, welche er
selbst miterlebte, in der ersten Person des Plural, wie
der Verfasser der A.G., vorträgt, dieſs freilich kann noch
nichts beweisen, da auch ein Cäsar und andre Historiker
von sich in der dritten Person schreiben, und das Wir
des Pseudomatthäus im Ebionitenevangelium gerade höchst
verdächtig klingt. Aber daſs er sich selbst durch den al-
lerfremdesten Ausdruck: ἂνϑρωπον, Ματϑαῖον λεγόμενον
bezeichnet, dieſs geht doch darüber hinaus, aus treuer Hin-
gabe an den Gegenstand und naiver Reflexionslosigkeit er-
klärt werden zu können 10), und man wird es mit Schulz 11)
als ein Zeichen ansehen müssen, daſs der Verfasser des
ersten Evangeliums nicht eben dieser Matthäus war. Auch
das Übrige erzählt das erste Evangelium weit weniger an-
schaulich, als namentlich das dritte; man weiſs dort nicht,
wie auf einmal von einem ἀνακεῖσϑαι ἐν τῇ οἰκίᾳ die Re-
10) Olshausen, 1, S. 315.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/569>, abgerufen am 22.11.2024.
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