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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
kommt bei Lukas auch sonst, namentlich in der Paral el
vom reichen Manne, vor, und ohne hier schon zu unter-
suchen, welche von beiden Darstellungen wohl die ur-
sprüngliche sein möge, bemerke ich nur, dass eben die
des Lukas ganz in dem ebionitischen Geiste gemacht ist,
welchen man neuestens im Matthäusevangelium hat finden
wollen. Bei den Ebioniten nämlich, wie sie namentlich
in den klementinischen Homilien sich darstellen, ist diess
ein Hauptsaz, dass, wer sich in dieser Zeit sein Theil
nehme, in der künftigen leer ausgehe, wer aber auf irdi-
schen Besiz verzichte, sich dadurch himmlische Schätze
sammle 13). Der lezte makarismos bezieht sich auf dieje-
nigen, welche um Jesu willen verfolgt werden. Lukas in
der Parallelstelle hat eneken tou uiou tou anthropou, und so
kann auch das eneken emou bei Matthäus Jesum nur in der
Eigenschaft des Messias bezeichnen. Ist nun wirklich die
Bergrede so in die erste Zeit von Jesu Wirksamkeit zu
setzen, wie sie die Evangelisten stellen: so kann er da-
mals, wo er nach dem Obigen sich selbst noch gar nicht
für den Messias erklärt hatte, unmöglich schon so gespro-
chen haben, sondern, wenn er wirklich eneken emou gesagt
hat, so ist der ganze Ausspruch aus späterer Zeit, oder
wenn er vom Menschensohn in der dritten Person gespro-
chen hat, so wollte er diesen damals noch nicht als iden-
tisch mit ihm selbst bezeichnen 14).

Auf die Makarismen folgen bei Lukas ebensoviele ouai,
welche bei Matthäus fehlen. In ihnen tritt die ebionitische
Entgegensetzung des `vlm hv und hb noch schroffer
hervor, wenn ohne Weiteres den plousiois, empeplesmenois
und gelosi wehe zugerufen, und in der kommenden, mes-
sianischen Weltordnung mit entsprechenden Übeln gedroht

13) Homil. 15, 7 u. s. vgl. Credner in Winer's Zeitschrift f. w.
Theol. 1, S. 298 f. Schneckenburger, über das Evangelium
der Ägyptier, §. 6.
14) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 29.

Zweiter Abschnitt.
kommt bei Lukas auch sonst, namentlich in der Paral el
vom reichen Manne, vor, und ohne hier schon zu unter-
suchen, welche von beiden Darstellungen wohl die ur-
sprüngliche sein möge, bemerke ich nur, daſs eben die
des Lukas ganz in dem ebionitischen Geiste gemacht ist,
welchen man neuestens im Matthäusevangelium hat finden
wollen. Bei den Ebioniten nämlich, wie sie namentlich
in den klementinischen Homilien sich darstellen, ist dieſs
ein Hauptsaz, daſs, wer sich in dieser Zeit sein Theil
nehme, in der künftigen leer ausgehe, wer aber auf irdi-
schen Besiz verzichte, sich dadurch himmlische Schätze
sammle 13). Der lezte μακαρισμὸς bezieht sich auf dieje-
nigen, welche um Jesu willen verfolgt werden. Lukas in
der Parallelstelle hat ἔνεκεν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνϑρώπου, und so
kann auch das ἕνεκεν ἐμοῦ bei Matthäus Jesum nur in der
Eigenschaft des Messias bezeichnen. Ist nun wirklich die
Bergrede so in die erste Zeit von Jesu Wirksamkeit zu
setzen, wie sie die Evangelisten stellen: so kann er da-
mals, wo er nach dem Obigen sich selbst noch gar nicht
für den Messias erklärt hatte, unmöglich schon so gespro-
chen haben, sondern, wenn er wirklich ἔνεκεν ἐμοῦ gesagt
hat, so ist der ganze Ausspruch aus späterer Zeit, oder
wenn er vom Menschensohn in der dritten Person gespro-
chen hat, so wollte er diesen damals noch nicht als iden-
tisch mit ihm selbst bezeichnen 14).

Auf die Makarismen folgen bei Lukas ebensoviele οὐαὶ,
welche bei Matthäus fehlen. In ihnen tritt die ebionitische
Entgegensetzung des עולם הוא und הבא noch schroffer
hervor, wenn ohne Weiteres den πλουσίοις, ἐμπεπλησμένοις
und γελῶσι wehe zugerufen, und in der kommenden, mes-
sianischen Weltordnung mit entsprechenden Übeln gedroht

13) Homil. 15, 7 u. s. vgl. Credner in Winer's Zeitschrift f. w.
Theol. 1, S. 298 f. Schneckenburger, über das Evangelium
der Ägyptier, §. 6.
14) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 29.
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[576/0600] Zweiter Abschnitt. kommt bei Lukas auch sonst, namentlich in der Paral el vom reichen Manne, vor, und ohne hier schon zu unter- suchen, welche von beiden Darstellungen wohl die ur- sprüngliche sein möge, bemerke ich nur, daſs eben die des Lukas ganz in dem ebionitischen Geiste gemacht ist, welchen man neuestens im Matthäusevangelium hat finden wollen. Bei den Ebioniten nämlich, wie sie namentlich in den klementinischen Homilien sich darstellen, ist dieſs ein Hauptsaz, daſs, wer sich in dieser Zeit sein Theil nehme, in der künftigen leer ausgehe, wer aber auf irdi- schen Besiz verzichte, sich dadurch himmlische Schätze sammle 13). Der lezte μακαρισμὸς bezieht sich auf dieje- nigen, welche um Jesu willen verfolgt werden. Lukas in der Parallelstelle hat ἔνεκεν τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνϑρώπου, und so kann auch das ἕνεκεν ἐμοῦ bei Matthäus Jesum nur in der Eigenschaft des Messias bezeichnen. Ist nun wirklich die Bergrede so in die erste Zeit von Jesu Wirksamkeit zu setzen, wie sie die Evangelisten stellen: so kann er da- mals, wo er nach dem Obigen sich selbst noch gar nicht für den Messias erklärt hatte, unmöglich schon so gespro- chen haben, sondern, wenn er wirklich ἔνεκεν ἐμοῦ gesagt hat, so ist der ganze Ausspruch aus späterer Zeit, oder wenn er vom Menschensohn in der dritten Person gespro- chen hat, so wollte er diesen damals noch nicht als iden- tisch mit ihm selbst bezeichnen 14). Auf die Makarismen folgen bei Lukas ebensoviele οὐαὶ, welche bei Matthäus fehlen. In ihnen tritt die ebionitische Entgegensetzung des עולם הוא und הבא noch schroffer hervor, wenn ohne Weiteres den πλουσίοις, ἐμπεπλησμένοις und γελῶσι wehe zugerufen, und in der kommenden, mes- sianischen Weltordnung mit entsprechenden Übeln gedroht 13) Homil. 15, 7 u. s. vgl. Credner in Winer's Zeitschrift f. w. Theol. 1, S. 298 f. Schneckenburger, über das Evangelium der Ägyptier, §. 6. 14) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 29.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/600>, abgerufen am 22.11.2024.