Einzelne dieses Gebets betrifft, so ist es zwar unleugbar, was Wetstein sagt: tota haec oratio ex formulis Hebrae- orum concinnata est28): aber eben so richtig bleibt, was Fritzsche erinnert, dass so allgemeine Wünsche gar wohl von Verschiedenen auf unabhängige Weise im Gebete, und zwar selbst mit ähnlichen Worten, ausgesprochen werden konnten 29), was am besten die von Wetstein auch aus nichtjüdischen Schriften aufgehäuften Parallelen beweisen. Das nach dem Schluss des Gebetes angehängte Corollarium zur drittlezten Bitte steht hier nach der Unterbrechung durch die folgenden Bitten um so weniger gut, als es auch am Folgenden keinen Halt hat, wo V. 16--18. dem frühe- ren Gedankengange gemäss gegen das Heuchlerische des pharisäischen Fastens gesprochen wird; doch hat Markus 11, 25. diesen Ausspruch, sammt der Anweisung, beim Ge- bet seinen Feinden zu vergeben, an die vorangegangenen Reden von der Kraft des glaubensvollen Gebetes noch üb- ler angehängt.
Von 6, 19. an sollten alle Ausleger mit Paulus beken- nen, dass ihnen der Faden des engeren Zusammenhangs ent- falle, nur dass man dann nicht mit ebendemselben behaup- ten kann, unerachtet des mangelnden Zusammenhangs ha- be doch Jesus selbst auch die folgenden Gnomen noch zu- sammen gesprochen, sondern hier hat die neuere Kritik Alles für sich, wenn sie eine Zusammenstellung verschie- denzeitiger Aussprüche vermuthet. Voran steht die Gno- me von irdischen und himmlischen thesaurois (V. 19--21.), welche Lukas 12, 33 f. in einer seine Anhänger von irdi- schen Sorgen abmahnenden Rede Jesu wahrscheinlich im rich- tigeren Zusammenhang hat. Hierauf (V. 22 f.) die Sentenz vom Auge als des Leibes Licht, welche bei Lukas 11, 34 f. der schon erwähnten Gnome von dem auf den Leuchter
28) N. T. 1, S. 323. Man sehe die Parallelen bei ihm und Lightfoot.
29) Comm. in Matth. p. 265.
Zweiter Abschnitt.
Einzelne dieses Gebets betrifft, so ist es zwar unleugbar, was Wetstein sagt: tota haec oratio ex formulis Hebrae- orum concinnata est28): aber eben so richtig bleibt, was Fritzsche erinnert, daſs so allgemeine Wünsche gar wohl von Verschiedenen auf unabhängige Weise im Gebete, und zwar selbst mit ähnlichen Worten, ausgesprochen werden konnten 29), was am besten die von Wetstein auch aus nichtjüdischen Schriften aufgehäuften Parallelen beweisen. Das nach dem Schluſs des Gebetes angehängte Corollarium zur drittlezten Bitte steht hier nach der Unterbrechung durch die folgenden Bitten um so weniger gut, als es auch am Folgenden keinen Halt hat, wo V. 16—18. dem frühe- ren Gedankengange gemäſs gegen das Heuchlerische des pharisäischen Fastens gesprochen wird; doch hat Markus 11, 25. diesen Ausspruch, sammt der Anweisung, beim Ge- bet seinen Feinden zu vergeben, an die vorangegangenen Reden von der Kraft des glaubensvollen Gebetes noch üb- ler angehängt.
Von 6, 19. an sollten alle Ausleger mit Paulus beken- nen, daſs ihnen der Faden des engeren Zusammenhangs ent- falle, nur daſs man dann nicht mit ebendemselben behaup- ten kann, unerachtet des mangelnden Zusammenhangs ha- be doch Jesus selbst auch die folgenden Gnomen noch zu- sammen gesprochen, sondern hier hat die neuere Kritik Alles für sich, wenn sie eine Zusammenstellung verschie- denzeitiger Aussprüche vermuthet. Voran steht die Gno- me von irdischen und himmlischen ϑησαυροῖς (V. 19—21.), welche Lukas 12, 33 f. in einer seine Anhänger von irdi- schen Sorgen abmahnenden Rede Jesu wahrscheinlich im rich- tigeren Zusammenhang hat. Hierauf (V. 22 f.) die Sentenz vom Auge als des Leibes Licht, welche bei Lukas 11, 34 f. der schon erwähnten Gnome von dem auf den Leuchter
28) N. T. 1, S. 323. Man sehe die Parallelen bei ihm und Lightfoot.
29) Comm. in Matth. p. 265.
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Zweiter Abschnitt.
Einzelne dieses Gebets betrifft, so ist es zwar unleugbar,
was Wetstein sagt: tota haec oratio ex formulis Hebrae-
orum concinnata est 28): aber eben so richtig bleibt, was
Fritzsche erinnert, daſs so allgemeine Wünsche gar wohl
von Verschiedenen auf unabhängige Weise im Gebete, und
zwar selbst mit ähnlichen Worten, ausgesprochen werden
konnten 29), was am besten die von Wetstein auch aus
nichtjüdischen Schriften aufgehäuften Parallelen beweisen.
Das nach dem Schluſs des Gebetes angehängte Corollarium
zur drittlezten Bitte steht hier nach der Unterbrechung
durch die folgenden Bitten um so weniger gut, als es auch
am Folgenden keinen Halt hat, wo V. 16—18. dem frühe-
ren Gedankengange gemäſs gegen das Heuchlerische des
pharisäischen Fastens gesprochen wird; doch hat Markus
11, 25. diesen Ausspruch, sammt der Anweisung, beim Ge-
bet seinen Feinden zu vergeben, an die vorangegangenen
Reden von der Kraft des glaubensvollen Gebetes noch üb-
ler angehängt.
Von 6, 19. an sollten alle Ausleger mit Paulus beken-
nen, daſs ihnen der Faden des engeren Zusammenhangs ent-
falle, nur daſs man dann nicht mit ebendemselben behaup-
ten kann, unerachtet des mangelnden Zusammenhangs ha-
be doch Jesus selbst auch die folgenden Gnomen noch zu-
sammen gesprochen, sondern hier hat die neuere Kritik
Alles für sich, wenn sie eine Zusammenstellung verschie-
denzeitiger Aussprüche vermuthet. Voran steht die Gno-
me von irdischen und himmlischen ϑησαυροῖς (V. 19—21.),
welche Lukas 12, 33 f. in einer seine Anhänger von irdi-
schen Sorgen abmahnenden Rede Jesu wahrscheinlich im rich-
tigeren Zusammenhang hat. Hierauf (V. 22 f.) die Sentenz
vom Auge als des Leibes Licht, welche bei Lukas 11, 34 f.
der schon erwähnten Gnome von dem auf den Leuchter
28) N. T. 1, S. 323. Man sehe die Parallelen bei ihm und Lightfoot.
29) Comm. in Matth. p. 265.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/608>, abgerufen am 24.11.2024.
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