de Diktum, dass der Jünger kein besseres Loos als der Meister anzusprechen habe (V. 24 f.); endlich die der Re- de bei Matthäus eigenthümliche Anweisung, von einer Stadt in die andre zu fliehen, sammt dem dazugefügten Troste (V. 23): dergleichen Aussprüche, haben die Kriti- ker wohl mit Recht erklärt 6), passen nicht gut zu dieser ersten Aussendung der Zwölfe, welche, wie die angebli- che der Siebenzig, nur erfreuliche Resultate lieferte (Luc. 9, 10. 10, 17), sie setzen vielmehr die getrübteren Verhält- nisse voraus, wie sie nach Jesu Tode und vielleicht auch schon in der lezten Zeit seines Lebens sich gestalteten. Demnach hätte Lukas das Richtigere, indem er diese Re- den in die lezte Reise Jesu versezt 7): wenn nicht gar dergleichen Schilderungen des späteren Schicksals der Apostel und übrigen Anhänger Jesu erst nach dessen Tode ex eventu gemacht, und ihm als Weissagungen in den Mund gelegt worden sind.
Die nächste längere Rede Jesu bei Matthäus ist die, so weit sie sich auf den Täufer bezog, bereits betrachtete, K. 11. Von der V. 20--24 folgenden Klage und Drohung gegen die galiläischen Städte, en ais egenonto ai pleisai dunameis aut[ou], und welche doch ou metenoesan, möchten die neuesten Kritiker vielleicht mit Recht behaupten, dass sie mitten in die galiläische Wirksamkeit hinein, wohin Mat- thäus sie stellt, weniger passe, als in die Zeit, in welche sie Lukas (10, 13 ff.) versezt, als Jesus Galiläa verlassen und sich zum lezten Versuche nach Judäa und Jerusalem
6)Schulz, S. 308; Sieffert, S. 82 ff.
7) Den durchaus befriedigenden Zusammenhang übrigens, wel- chen die neuere Kritik in dem 12ten Kapitel des Lukas fin- det, kann ich ebenso wenig entdecken, als Tholuch, Ausleg. der Bergpr. S. 13 f., welcher hier zugleich die Parteilichkeit Schleiermacher's für den Lukas und gegen den Matthäus treffend gezeichnet hat.
Sechstes Kapitel. §. 73.
de Diktum, daſs der Jünger kein besseres Loos als der Meister anzusprechen habe (V. 24 f.); endlich die der Re- de bei Matthäus eigenthümliche Anweisung, von einer Stadt in die andre zu fliehen, sammt dem dazugefügten Troste (V. 23): dergleichen Aussprüche, haben die Kriti- ker wohl mit Recht erklärt 6), passen nicht gut zu dieser ersten Aussendung der Zwölfe, welche, wie die angebli- che der Siebenzig, nur erfreuliche Resultate lieferte (Luc. 9, 10. 10, 17), sie setzen vielmehr die getrübteren Verhält- nisse voraus, wie sie nach Jesu Tode und vielleicht auch schon in der lezten Zeit seines Lebens sich gestalteten. Demnach hätte Lukas das Richtigere, indem er diese Re- den in die lezte Reise Jesu versezt 7): wenn nicht gar dergleichen Schilderungen des späteren Schicksals der Apostel und übrigen Anhänger Jesu erst nach dessen Tode ex eventu gemacht, und ihm als Weissagungen in den Mund gelegt worden sind.
Die nächste längere Rede Jesu bei Matthäus ist die, so weit sie sich auf den Täufer bezog, bereits betrachtete, K. 11. Von der V. 20—24 folgenden Klage und Drohung gegen die galiläischen Städte, εν αἷς έγένοντο αἱ πλεῖςαι δυνάμεις αὐτ[οὐ], und welche doch οὐ μετενόησαν, möchten die neuesten Kritiker vielleicht mit Recht behaupten, daſs sie mitten in die galiläische Wirksamkeit hinein, wohin Mat- thäus sie stellt, weniger passe, als in die Zeit, in welche sie Lukas (10, 13 ff.) versezt, als Jesus Galiläa verlassen und sich zum lezten Versuche nach Judäa und Jerusalem
6)Schulz, S. 308; Sieffert, S. 82 ff.
7) Den durchaus befriedigenden Zusammenhang übrigens, wel- chen die neuere Kritik in dem 12ten Kapitel des Lukas fin- det, kann ich ebenso wenig entdecken, als Tholuch, Ausleg. der Bergpr. S. 13 f., welcher hier zugleich die Parteilichkeit Schleiermacher's für den Lukas und gegen den Matthäus treffend gezeichnet hat.
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Sechstes Kapitel. §. 73.
de Diktum, daſs der Jünger kein besseres Loos als der
Meister anzusprechen habe (V. 24 f.); endlich die der Re-
de bei Matthäus eigenthümliche Anweisung, von einer
Stadt in die andre zu fliehen, sammt dem dazugefügten
Troste (V. 23): dergleichen Aussprüche, haben die Kriti-
ker wohl mit Recht erklärt 6), passen nicht gut zu dieser
ersten Aussendung der Zwölfe, welche, wie die angebli-
che der Siebenzig, nur erfreuliche Resultate lieferte (Luc.
9, 10. 10, 17), sie setzen vielmehr die getrübteren Verhält-
nisse voraus, wie sie nach Jesu Tode und vielleicht auch
schon in der lezten Zeit seines Lebens sich gestalteten.
Demnach hätte Lukas das Richtigere, indem er diese Re-
den in die lezte Reise Jesu versezt 7): wenn nicht gar
dergleichen Schilderungen des späteren Schicksals der
Apostel und übrigen Anhänger Jesu erst nach dessen Tode
ex eventu gemacht, und ihm als Weissagungen in den
Mund gelegt worden sind.
Die nächste längere Rede Jesu bei Matthäus ist die,
so weit sie sich auf den Täufer bezog, bereits betrachtete,
K. 11. Von der V. 20—24 folgenden Klage und Drohung
gegen die galiläischen Städte, εν αἷς έγένοντο αἱ πλεῖςαι
δυνάμεις αὐτοὐ, und welche doch οὐ μετενόησαν, möchten die
neuesten Kritiker vielleicht mit Recht behaupten, daſs sie
mitten in die galiläische Wirksamkeit hinein, wohin Mat-
thäus sie stellt, weniger passe, als in die Zeit, in welche
sie Lukas (10, 13 ff.) versezt, als Jesus Galiläa verlassen
und sich zum lezten Versuche nach Judäa und Jerusalem
6) Schulz, S. 308; Sieffert, S. 82 ff.
7) Den durchaus befriedigenden Zusammenhang übrigens, wel-
chen die neuere Kritik in dem 12ten Kapitel des Lukas fin-
det, kann ich ebenso wenig entdecken, als Tholuch, Ausleg.
der Bergpr. S. 13 f., welcher hier zugleich die Parteilichkeit
Schleiermacher's für den Lukas und gegen den Matthäus
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/615>, abgerufen am 22.07.2024.
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